laut.de-Kritik
Genie und Fremdscham.
Review von Josephine Maria BayerIm Oktober 1986 steht Falco auf der Bühne der Berliner Eissporthalle und ruft: "Hey Freunde, vielleicht habt ihr da draußen vor der Halle diesen großen Wagen gesehen. Da stehen drei 24-Kanal-Tonbandmaschinen drinnen (...) Wisst ihr warum? Wir nehmen das ganze Konzert einfach auf!" Für das Folgejahr kündigt der Wiener die Live-LP an. Daraus sollte nichts werden. Der Live-Mitschnitt erscheint erst 13 Jahre später und enthält nicht einmal die ganze Setlist des Abends. Laut Warner Music war ein Teil der Songs verschollen, nach intensiver Suche fand sie ein Mitarbeiter schließlich im Archiv der Hamburger Boogie Park Studios. Nun also ist das Konzert erstmals in voller Länge (und dieses Mal auch in richtiger Reihenfolge) zu hören. Die Doppel-CD umfasst 22 Tracks, die für die Veröffentlichung neu gemischt und gemastert wurden.
Der internationale Erfolg, in dem sich Falco zu jenem Zeitpunkt sonnte, findet seinen Ausdruck in der riesigen Band, wildem Applaus und der Superstar-Attitüde des Sängers. Mit "Falco 3" hatte er es bis in die US-Charts geschafft und für den einzigen deutschsprachigen Nummer-Eins-Hit in den Staaten gesorgt: Das ikonische "Rock Me Amadeus", mit dem Falco auf der Erfolgswelle des schrägen Biopics "Amadeus" (1984) unter der Regie von Miloš Forman mitschwamm.
Das Konzert dieses Oktober-Abends ist jedoch vor allem dem Folgealbum "Emotional" gewidmet. Mit knallendem Schlagzeug, mysteriös anmutenden E-Gitarren- und Synthklängen geht es los. Den ersten Song "Kamikaze Cappa" trägt Falco komplett auf Englisch vor. Die folgende Nummer "The Sound Of Musik" markiert den Auftakt für die darauffolgenden "denglischen" Lieder, in denen Falco in beiden Sprachen rappt und singt. Ab und zu versucht er sich in der gesanglichen Improvisation, was ihm jedoch nicht immer so gut gelingt.
Die Show wirkt routinehaft heruntergespult. Das energiegeladene "Männer Des Westens - Any Kind of Land" bietet zwar mit Bläsern und Schlagzeug-Solo etwas Abwechslung im sonst eher Synth- und Gitarren-lastigen Set, Falcos knödelig-jodelnder Schrei-Gesang strengt jedoch zuweilen an. In "The Kiss Of Kathleen Turner", das mit einem kleinen Schauspiel-Monolog beginnt, lacht der Sänger mehrmals gekünstelt und macht deutlich, warum er kein Schauspieler geworden ist. In "Jeanny" wirkt der Backgroundgesang überladen und bedient sich des Öfteren piepsig-hoher Tonlagen, während die Sprecheinlagen Falcos eher Fremdscham provozieren.
Es ist, als müsse sich das Publikum den Genuss der großen Hits durch geduldiges Abwarten verdienen. Doch "Der Kommissar" und "Vienna Calling" sind schlichtweg eingängiger als das leicht prätentiöse "Les Nouveaux Riches". Gegen Ende der Show geht die Band richtig ab, die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt. Mit seinem ausgedehnt-gerollten "R" verzaubert Falco das hörbar begeisterte Berliner Publikum, das den für sie so exotisch klingenden Entertainer auf Händen trägt.
Schließlich ist es soweit: "Freunde, ich habe euch schwer im Verdacht, dass ihr heute nicht nach Hause gehen werdet, bevor wir nicht ein ganz bestimmtes Lied gespielt haben." Tosender Applaus. Die Rede ist natürlich von "Rock Me Amadeus", das Falco für den Schluss aufgehoben hat. Doch bevor es dazu kommt, gibt der Sänger noch ein Cover von Bob Dylans "It's All Over Now, Baby Blue" nach dem Arrangement Van Morrisons zum Besten. Dem Refrain gibt der Österreicher seinen eigenen Twist: "Was vorbä ist, ist vorbä, Baby Blue.". Im finalen Song, den Falco dem Superstar der Wiener Klassik widmete, läuft die Band noch einmal zu Höchstform auf. Das Gekreische der Backgroundsängerinnen irritiert jedoch. Im Outro ertönt Mozarts "Kleine Nachtmusik" aus den Speakern.
Die zusätzlichen Tracks, die für die Neuauflage von "Live Forever" mit Mühe und Eifer hervorgekramt wurden, bilden keine wesentliche Bereicherung für das Album. Insgesamt also ein wenig enttäuschend, entstanden die Aufnahmen doch auf dem Höhepunkt von Falcos Karriere. Das Publikum schien an jenem Abend dennoch uneingeschränkt euphorisch. Man muss wohl selbst dabei gewesen sein.
4 Kommentare mit einer Antwort
was ne Räuberpistole... man nimmt mit großem AUfwand 72 Spuren auf und dann sind die Bänder verschollen.... herrjeh
Ich hatte Spaß mit diesem Live Mitschnitt.
Live Konzerte von ihm sind ohnehin Mangelware, da war ich vom Sound positiv überrascht.
Das er hier und da lustlos klingt lag wohl eher an der chemischen Unausgeglichenheit.
Trotzdem 4*
Relativ unerträglich
Genau wie der Kommentar.
Habe seit langem die ursprüngliche Version und diese auch immer und immer wieder gerne mal gehört.
Frage mich nun, ob sich diese hier lohnen würde, wenn man die erste mochte, oder ob man dann eher enttäuscht wird