laut.de-Kritik
... und die maschinelle Apokalypse war vollzogen.
Review von Markus BrandstetterDie Mitte der Neunziger Jahre waren nicht nur für den Metal, sondern auch besonders für Roadrunner Records eine goldene Zeit. 1994 veröffentlichten Machine Head mit "Burn My Eyes" einen bis heute schwer zu übertreffenden Neo-Thrash-Volltreffer, zwei Jahre später setzten Sepultura (ein letztes Mal in Originalbesetzung mit den Cavalera-Brüdern) mit "Roots" neue Maßstäbe - und läuteten damit unfreiwillig den Nu Metal ein.
Und 1995? Kyuss veröffentlichten ein letztes Album und lösten sich auf. Rammstein debütierten mit "Herzeleid". Devin Townsend wollte mit Strapping Young Lad und "Heavy As A Real Heavy Thing" das härteste Album der Geschichte machen. Von Ozzy kam "Ozzmosis", von Paradise Lost "Draconian Times", Morbid Angel brachten ihren vierten Longplayer "Domination" auf den Markt, Meshuggah setzen mit "Destroy Erase Improve" die Messlatte für progressiven Metal höher. Iron Maiden stellten ihren Interims-Vokalisten Blaze Bayley vor und begeisterten mit "The X-Factor" nur bedingt, während Deicide auch auf "Once Upon The Cross" Religion immer noch nicht so wirklich zu mögen schienen.
In Los Angeles, Kalifornien definierten währenddessen vier junge Männer den Kosmos Industrial Metal neu. Schon mit ihrem ersten Release, "Soul Of A New Machine" machten Fear Factory von sich reden. Die Härte und Präzision von Death Metal, Industrial-Kulissen und ein Frontmann, der sich nicht nur die Stimmbänder rausbrüllte, sondern auch eine ganz eigene Art hatte, Refrains zu singen. Richtig: zu singen, nicht unbedingt etwas das in den Kreisen dieses Genres an der Tagesordnung stand.
Und dann: "Demanufacture", eine fieberhafte Dystopie von einem Szenario, in der die Maschinen alles Menschliche längst obsolet gemacht haben. Ins Studio ging man gemeinsam mit zwei Produzenten: zum einen mit Ross Robinson, dem damaligen Mann der Stunde und Haus- und Hofproduzenten von Roadrunner, der auch für Machine Heads "Burn My Eyes", Sepulturas "Roots" und Hunderte andere verantwortlich zeichnete. Zum anderen war auch Rhys Fulber mit im Boot, der mit Front Line Assembly einer der Wegbereiter für den jüngeren Industrial war.
Musikalisch war die Band in unfassbarer Hochform: Raymond Herreras völlig trockene Doublebass-Attacken und Blast Beats, Dino Cazares' Stakkato-Riffgewitter, ohne jegliche Solo-Gedanken, präzise, tiefgestimmt und groovend. Cazares spielte auch den Großteil der Bässe ein (Christian Olde Wolber war während des Songwritings noch nicht in der Band und war nur an zwei Stücken beteiligt). Und natürlich: Burton C. Bell, der mit seiner Schrei/Sing-Mixtur, mit diesem flächigen, Chorus-getränkten Gesang ganze Heerscharen von Shoutern der neuen Metal-Generation beeinflusste.
Tödlich präzise und knochentrocken schießt die Bassdrum beim Titeltrack nach vorne und legt damit alles, aber auch wirklich alles, in Schutt und Asche. "I've got no more goddamn regrets / I've got no more goddamn respect", schreit Bell. "Self Bias Resistor" ist ein ebenso brutal-präzises Monster – und dann kommt einer dieser markanten Refrains, die einem nicht mehr aus dem Kopf wollen. Synthesizer malen düstere Zukunftsperspektiven (als Inspiration nannte die Band "Terminator 2"), spielen Fanfaren, ehe der maschinelle Rhythmus alles niederwalzt. Es ist keine schöne neue Welt, in die uns "Zero Signal" führt: "Watching come life undone", und dann immer wieder das fieberhafte Stoßgebet mitten in die Verdammnis rein: "I am down on my knees / Praying beyond belief / The silence deafens my eears / And welds the shackles / Onto my fears".
Dann: "Replica", die Übersingle, der Übersong, das Überstatement von Fear Factory. There is no love. Was Cazares hier aus seinen sieben Saiten holt, ist so brutal wie mitsingbar eingängig. Große Hooklines, große Drumlines, großer Refrain.
Elf Songs hat "Demanufacture", keinen einzigen zu viel, keine einzige Schwäche, keinen überflüssigen Ton. Das technoide "New Breed". Die Coverversion von Head Of Davids "Dog Day Sunrise" (man hätte allerdings wohl eine glücklichere zweite Single-Auskopplung wählen können als dieses Stück). Ganz am Ende liegt die Welt, oder das, was von ihr noch über ist, völlig brach. "A Therapy For Pain" ist der symphonische Epilog der Apokalypse, langsam, beklemmend und durchgehend gesungen. "I welcome death with Open Arms" singt Bell, es sind die letzten Ruinen ohnehin schon nur noch lodernde Asche: "When we finally reach the end / She lets go of my hand / Walking into realms of light / There will be no death tonight / Tried so hard".
Die Apokalpyse war damit vollzogen. Besser konnten Fear Factory gar nicht mehr werden.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
10 Kommentare mit 6 Antworten
Replica? Quatsch. Weiß doch jeder Anfänger, dass Resurrection DER Song von Fear Factory ist.
Resurrection ist auch super, find ich auch - da haben sie dann so richtig auf die Sci-Fi-Industrialballadenkacke gehauen . IMHO ist "Replica" trotzdem der Song, der FF dorthin katapuliert hat, wo sie hin gehörten. Und einfach eine scheißgeile Single.
mir treibts beim refrain von resurrection noch immer die tränen in die augen...
aber ich finde auch replica war der song der ff noch bekannter gemacht hat - immerhin hat es den song in der zeit auch im (m-) tv auf und abgespielt in den entsprechenden sendungen....
absoluter klassiker, auch nach 20 jahren noch immer topaktuell
Der beste Song von FF ist Archetype. Da geht nix drüber.
Ich weiß noch, wie ich so 1997/98 Carmageddon ins CD-ROM Laufwerk gepackt hab, um Androiden (ja, deutsche Version ) zu überfahren. Und da war im Introvideo dieses geile Instrumental zu hören und generell war ich vom Soundtrack so angetan, dass ich die Spieledisc in die Stereoanlage warf, um zu testen, ob der CD-Player auch eine CD-ROM wiedergibt... und siehe da, er tat wie ihm geheißen und ich war mit meinen 13 Jahren sehr geflasht und hörte FF (leider rein instrumental) und generell Industrial Metal zum ersten Mal... *seufz* gute alte Zeit! Verdienter Meilenstein.
Koennte man sich tatsaechlich mal wieder anhoeren. Chugga chugga fing natuerlich schon mit Godflesh an, aber das hier war noch primitiver und hatte die besseren hooks. Und die fetteren Bandmitglieder.
@Neffe3: du bist noch jung, oder? Demanufacture ist ein Meilenstein der Metal-Geschichte, kein Album von FF kam mehr an diese geniale Scheibe heran.
Sorry da muss ich dich enttäuschen ich war damals schon 18 als die Scheibe raus kam und bin mit Metal groß gewordem. Ich mag FF und Für damals war es freilich was revolutionäres und einzigartiges. Keine Ahnung warum nicht so recht an das Teil rankomme...
...aber sie fängt mir langsam an zu gefallen
verdienter Meilenstein, der nicht nur (leider) der Band selbst eine Latte legte, die sie selbst nie mehr erreichten (wenn auch einzelne Songs immer wieder in die Nähe kamen, und "Mechanize" von 2010 wieder einigermaßen die Höhe erreichte), sondern an den auch viele andere Bands aus dem Genre nichtmal entfernt drankamen.
Für mich ist es ein gutes Beispiel für eine glückliche Fügung aus Besetzung, intelligentem Songwriting, perfekter Instrumentierung, Stimmarbeit die einem die ganze Bandbreite menschlichen Empfindens aufzeigen, dem allgemeine Zeitgeist ("Industrial-Metal" war noch neu und nicht ausgelutscht), den beiden Weltklasse-Producern Robinson und Fulber sowie einem Publikum (z.B. ich), das auf so einen Output nur gewartet hat!
Apropos Rhys Fulber: Wie wärs mal mit einem Front Line Assembly Album als Meilenstein? Mein Vorschlag: Technical Neural Implant (1992).
Ein großartiges Album, das hier zurecht als Meilenstein gefeiert wird.
Eine gute Rezension. Allerdings hat sich da ein Fehler eingeschlichen: Ross Robinson hat weder "Demanufacture" noch "Burn My Eyes" von Machine Head produziert. Colin Richardson war der Produzent dieser beiden Alben. Ross Robinson hat dagegen das 1999 erschienene "The Burning Red" von Machine Head produziert und das 1991 aufgenommene, jedoch erst 2002 nachträglich veröffentlichte, "Concrete" von Fear Factory produziert.