laut.de-Kritik

Astreines Hip Hop-Projekt des Linkin Park-Frontmannes.

Review von

Der aus einer Kollaboration zwischen Jay-Z und Linkin Park hervor gegangene Track "Numb/Encore" bildete im vergangenen Jahr einen der ganz seltenen Momente, in denen das viel strapazierte Konzept Crossover-Combo trifft auf Hip Hop-MC einmal wirklich funktioniert hat. Ob es diese Zusammenarbeit war, die Mike Shinoda, Rapper und Produzent der kalifornischen Rocker, zu seinem Solo-Projekt Fort Minor inspiriert hat? Wir wissen es nicht. Das Auftreten Jay-Zs als Executive Producer des Debüt-Albums "The Rising Tied" lässt allerdings darauf schließen, dass der Austausch zwischen beiden Welten nach wie vor bestens klappt.

Wer mit dem Gedanken an Linkin Park im Hinterkopf mit einer Crossoverproduktion rechnet, befindet sich vollkommen auf dem Holzweg: Bei Fort Minor handelt es sich um ein astreines Hip Hop-Projekt. Shinoda betonte wiederholt, es gehe ihm bei seinen Solo-Ambitionen nicht darum, die großen Namen an Land zu ziehen, sondern darum, auf Augenhöhe mit Freunden und nahestehenden Kollegen zu arbeiten. Um so beachtlicher, dass ihm diese Herangehensweise erlaubt, neben der L.A.-Crew Styles Of Beyond unter anderem den Neo-Soul-Sänger und Pianisten John Legend, Black Thought von den Roots und Mikrofon-Gott Common auf seine Gästeliste zu setzen.

"This is 10 percent luck, 20 percent skill / 15 percent concentrated power of will / 5 percent pleasure, 50 percent pain / And a hundred percent reason to remember the name." Nun, ich würde ein wenig umverteilen. Meiner Meinung nach muss der Posten "Skills" deutlich höher angesetzt werden. An Mike Shinodas Leistung ist nicht zu rütteln; abgesehen von dem ein wenig dünn klingenden gesungenen Chorus in "Introduction" (der sich dennoch eingängig in die Gehörgänge schummelt) hat er das Mikrofon gut im Griff; seine Raps fließen gekonnt und reibungslos und vertragen sich hervorragend mit den Beiträgen seiner Gastkünstler.

Mit Ausnahme einiger Streicherparts spielt Shinoda darüber hinaus sämtliche Instrumente persönlich ein und besorgt Mix wie Produktion selbst. Ganz ehrlich? Nie im Leben hätte ich aus den Reihen Linkin Parks derartige Musikalität erwartet. Ich lag falsch mit meiner Einschätzung und beuge mein Haupt in Demut: Die Instrumentals strotzen nur so vor guten Einfällen; stimmungsvolle Pianoparts, die bereits erwähnten Streicher (beispielsweise in "Remember The Name" oder "Cigarettes" zu hören) und klug gewählte Loops verbinden sich zu äußerst melodischen Kompositionen. Die Stimmung ist nie wirklich düster, "Dämmerung" wäre eine bessere Beschreibung der herrschenden Atmosphäre. Reizvolle Kontraste zwischen Gesang und Rap bieten "Where'd You Go" mit einer von Holly Brooks klarer Stimme beigesteuerten Hookline oder "High Road". Hier trägt John Legend Sorge für den Chorus; ich verstehe sofort, warum unter anderem Kanye West, Snoop Dogg und Slum Village diesen Mann zu gemeinsamen Projekten luden.

Zudem kommt auch das Storytelling nicht zu kurz. Jawohl, man darf Hip Hop mit Zigaretten vergleichen; das Suchtpotenzial scheint mir in beiden Fällen ähnlich hoch zu sein. Thematisiert werden außerdem herzzerreißende Sehnsuchtslyrik ("Where'd You Go") und Band-Interna ("Get Me Gone") genau so wie die Situation japanischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs: Letzteres ("Kenji") gerät besonders berührend, da Mike Shinoda, unterlegt mit Stimmaufzeichnungen seiner Tante und seines Vaters, ein Stück der eigenen Familiengeschichte dokumentiert.

Mit wenigen Ausnahmen ("Petrified", oder das mit Rockgitarren garnierte "Red To Black") bleibt das Tempo eher gemäßigt. Bedauerlich, denn der eine oder andere Track, der wirklich nach vorne geht, hätte "The Rising Tied" gut getan. Größeren Schaden richten allerdings die wirklich katastrophal kraftlosen Bässe an. Diese nämlich klingen selbst an Stellen, an denen sie breit und wuchtig angelegt sind, durchgehend blechern und flach und besitzen überhaupt keinen Nachhall. Schade, möchte ich sagen. In Anbetracht dessen, was so verschenkt wurde, ein äußerst unzureichender Kommentar.

Meine Bilanz also eher: mindestens "40 percent skill". Glück und Willenskraft lassen wir mal so stehen, dafür heben wir den Pleasure-Anteil und reduzieren den (durch die Bass-Schwäche ausgelösten) Schmerz. Der Name Fort Minor bleibt allerdings auch in dieser Rechnung hundertprozentig bemerkenswert.

Trackliste

  1. 1. Introduction
  2. 2. Remember The Name
  3. 3. Right Now
  4. 4. Petrified
  5. 5. Feel Like Home
  6. 6. Where'd You Go
  7. 7. In Stereo
  8. 8. Back Home
  9. 9. Cigarettes
  10. 10. Believe Me
  11. 11. Get Me Gone
  12. 12. High Road
  13. 13. Kenji
  14. 14. Red To Black
  15. 15. The Battle
  16. 16. Slip Out The Back
  17. 17. Be Somebody
  18. 18. There They Go
  19. 19. The Hard Way

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6 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Ich habe mir die CD heute zum ersten Mal komplett angehört und bin sehr begeistert von der Musik. Besonders der Titel RIGHT NOW entwickelt sich bereits beim ersten Anhören zum Ohrwuhm den man echt nicht mehr los wird. Auch WHERE'D YOU GO ist so ein Ohrwurm beim dem es, wie bei RIGHT NOW auch, nicht darauf ankommt was gerappt/gesungen wird. Die Titel klingen einfach sehr genial. Das is es wahrscheinlich was man unter Flow verstehen sollte (auf die Musik und die Stimmen bezogen). Man kann also sehnlichst auf ein würdiges zweites Album von FORT MINOR warten/hoffen.

    Im nachhinein ärger ich mich, dass ich mir die CD nocht schon viel früher angehört habe.

  • Vor 16 Jahren

    ich fand remember the name immer sehr gut und hab das album eben mal wieder hervorgekramt und ich muss sagen, dass die musik immer noch top ist.

  • Vor 16 Jahren

    Wirklich schade, dass es da scheinbar nichts Neues geben wird. Album ist und war eins der besten im Hip-Hop.

  • Vor 16 Jahren

    @Texas CrieZ (« Album ist und war eins der besten im Hip-Hop. »):

    Nja. :D

  • Vor 16 Jahren

    Finde ich auch ziemlich übertrieben. :D

    Waren damals live aber sehr geil und überraschend. Auch, wenn die ganzen Indie- und Emoschwutten das ganze dermaßen boykottiert haben, dass ich und mein Kumpel gleichzeitig in der ersten und letzten Reihe standen. :koks:

  • Vor 16 Jahren

    Also mir hat das Album damals extrem geil gefallen und daran hat sich nichts geändert.

    Beats sind fast ohne Ausnahme genial und sehr abwechslungsich. Technisch ist Shinoda sicher nicht der beste Rapper, aber seine Stimme ist gut, sein Englisch verständlich (für mich ist das wichtig, da das ganze manchmal bei anderen einfach in einem unverständlichen Geräusch-Brei untergeht). Die Texte sind auch sehr gut (besonders bei Kenji und Where'd you Go). Features sind auch erstklassig, besonders Styles of Beyond haben mir wirklich gut gefallen.

    Insgesamt sehr abwechslungsreiches und gelungenes Album.