laut.de-Kritik

White treibt einem die Fremdschamesröte ins Gesicht.

Review von

Es gibt Momente, da will das Kritikerherz überquellen vor Freude. Wenn man etwa aus dem Untergrund ein noch dreckiges glitzerndes Etwas fischt und es entpuppt sich als Edelstein. Wenn eine Lieblingsband live ein Stück spielt, das man seit gefühlten zehn Jahren nicht gehört hat, damals aber schon Fanboy war. Oder aber, wenn lange unterschätzte Rapper plötzlich mit eindrücklichen Reimen überzeugen.

Leider hat das nichts mit dem Album von Südberlin Maskulin zu tun. "Rap ist mein Motiv, Junge / Dieser Track ist Kokain, ich will dass du ziehst, Junge / Fick dein Team, Junge". 2003 warf der damals schon nicht mehr größte deutsche Rapper Samy Deluxe die Frage in den Raum: "Wen wollt ihr denn jetzt noch beeindrucken mit nem Doppelreim?" Fler und Godsilla bieten über weite Strecken nicht mal das, Junge.

Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, als die deutsche Hauptstadt ihren Frontalangriff auf die Rapszene vorbereitete, Junge. Düstere, pure MPC-Sounds gegen die damals als industireanbiedernden Popscheiß empfundenen Fetten Brote und Freundeskreise, dazu Texte von einer rücksichtslosen Bösartigkeit, wie man sie höchstens kannte, falls man Konkret Finn kannte oder zufällig Onkelzfan war, Junge. Die Protagonisten damals: Westberlin Maskulin, heute besser bekannt als Kool Savas und Taktloss. Das - Entschuldigung - fickte die Rapszene damals gar kräftig in den Kopf. Bis heute hat sie sich von diesem Fellatio nicht erholt, Junge.

Zehn Jahre später hat sich Berlin nicht nur seinen Teil des Kuchens geschnappt, sondern sämtliche anderen Krümelanwärter zusammengeschlagen und als nicht ernstzunehmenden Ökorap gedisst. Die Beats zu den Aggro- und Ersguterjunge-Ergüssen stammen nach wie vor von Produzenten, die durch einen Stilmix aus dicken Drums und eingehenden Synthiemelodien bereits 2002 einen ganz neuen Standard von Popmusik geschaffen haben. Die Innovation, die die beiden Protagonisten Fler und Godsilla der deutschen Rapszene daher 2008 bescheren: gleich null. Alleine deshalb hätten sie besser daran getan, ihr Album auf einen anderen Namen zu taufen. Obwohl Taktloss - damals absichtlich - auch nicht besser reimte als Fler und Godsilla heute.

Meinetwegen kann Südberlin noch mehr Testosteron in die Luft pumpen als der ganze Westen zusammen. Bei den Mengen an Anabolika, die in Südberlin anscheinend konsumiert werden, kann es sich ohnehin nur noch mit der Ostberliner Kugelstoßerinnenauswahl der Achtziger messen. Was das mit dem Album zu tun hat? Gar nichts. Was das Album mit ernstzunehmendem Deutschrap zu tun hat? Keine Ahnung. Mit Westberlin Maskulin zumindest gar nichts. Aber das war ja ohnhin nicht zu erwarten, Junge.

Wenigstens die ohnehin äußerst fragwürdige Deutschtümelei wischt Fler nachdrücklich weg. Sein Partner Godsilla und er wirken hinsichtlich Stimmlage und Rapstil wie gegenseitige Kopien, und beide klingen nicht, als wären sie gebürtige Deutsche. Vom Wortschatz mal abgesehen: Vergleicht man die beiden mit Immigrantenrappern, braucht man sich kaum noch Gedanken um die Sprachbeherrschung junger Türken oder Russen zu machen. Wenn erfolgreiche gebürtige Deutschrapper schon über einen Wortschatz von 500 Worten plus eine Hand voll Anglizismen verfügen, dann ist das gesamte Gebrüll nach Deutschkursen für Ausländer völlig unnötig.

"Ich bin nicht Tony D, doch meine beste Punchline: anschrein" - ein Hauch unfreiwilliger Selbstkritik könnte man als einzigen Pluspunkt ins Feld führen. Die oft genannten Aggro-Instrumentals setzten einst Standards für den Rest einer Szene, die sie inzwischen überholt hat. Nehmen wir den Rap weg, legen die zehnte Synthiespur über die Instrumentals, und schon steht H. P. Baxxter bereit zum sinnbefreiten Shouten. "Deutscher Rap will Ghetto werden, doch die Nutte weiß nicht wie", prophezeihte Flers damaliger Homie Bushido einmal. Eine halbe Dekade später heißt der Leitsatz "Deutscher Rap will Pop-Schlampe werden, doch das Ghetto ist zu homophob". Äh, Junge?

Welcher Jugendliche feiert eine so offensichtliche Selbstausschlachtung? Selbst wenn man die hoffnungslos romantischen Oldschool-Vorstellungen mal ganz außer acht lässt - mit Hip Hop hat das nichts mehr zu tun. Mit Rap mangels Reime ohnehin nicht. Das hier ist einfach nur noch albern und beschämend.

Dass Hip Hop seinen lyrischen Spitzenanspruch so freigiebig unter sämtliche Peinlichkeiten der Popmusik einordnet, ist zwar keine völlig neue Entwicklung, aber trotzdem hochgradig peinlich. Sido ist trotz begrenztem Reimtalent längst den Schritt zum begnadeten Entertainer gegangen. Auf ein Album mit Fler-Beteiligung, das sein Geld wert ist, warte ich noch immer. "Südberlin Maskulin" zielt daran meilenweit vorbei, Junge.

Trackliste

  1. 1. Erster Track Feat. Beko (Intro)
  2. 2. Dein Leben
  3. 3. Vater Unser
  4. 4. Skit 1 Feat. Uebelst
  5. 5. Ich Bin Ein Rapper
  6. 6. Bizz Action Drive Feat. Orgi 69
  7. 7. Glaub An Dich Feat. She-Raw
  8. 8. Was Los?!?
  9. 9. Auf Der Straße
  10. 10. Wenn Der Beat Nicht Mehr Läuft
  11. 11. Unsere Zeit
  12. 12. Alqaida Auf Deutsch
  13. 13. Skit 2
  14. 14. Zunami Business
  15. 15. Schlaflos Feat. Sido, Ozean
  16. 16. Maskulin Maskulin Feat. Bass Sultan Hengzt
  17. 17. Zu Oft
  18. 18. Seit MTV
  19. 19. Letzter Track (Deine Frau)

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658 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 16 Jahren

    da muss ich doch glatt mal den guten Sodhahn zitieren: Aus Prinzip schlecht bewertet!
    Wieso wird nicht die geile Atmosphäre erwähnt oder die hammer beats?

  • Vor 16 Jahren

    war so klar :lol:

    abe raus!!

    ich sag zu der wertung nichts mehr

    fred wird sowieso vollgemüllt von kindern die sich extra dafür einloggen.
    beste album der letzten jahre in diesem bereich
    beats allesamt großartig und haben die ccn atmo perfekt eingefangen, frank white/silla ein harmonisches team undsoweiter undsofort. hab schon genug im rap-forum geschrieben
    6/5

    abe 0/5
    leute lasst doch in zukunft die aggro reviews. wird sowieso immer dasselbe
    ;)

    also nicht abschrecken lassen leute von der wertung. wem solche musik gefällt der bekommt DAS perfekte album

  • Vor 16 Jahren

    nur fair.
    die schicken ja auch immer dasselbe.

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 9 Jahren

    Es gibt Rapper, die eine derartig beschissene Entwicklung durchlaufen, dass sie mir auch ihre Frühwerke versauen. Silla gehört definitiv dazu. Glaube daher kaum, dass ich mir das heutzutage noch gut geben könnte, aber auch damals fand ich's definitiv schwächer als die Fler-Alben davor und danach. Beattechnisch gibt es nicht viel zu meckern, dafür raptechnisch und lyrisch umso mehr. Während wohl auch CCN und VBBZS ziemlich schnell geschrieben und aufgenommen wurden, merkt man das hier doch deutlich. Verstehe zwar, warum das bei einigen gut ankam, aber in meinen Augen funktioniert(e) dieser Stil auf ihren ausgefeilteren Solo-Projekten (CoG, FieL, KKKMM) deutlich besser.

    Die Review ist natürlich trotzdem lächerlich, aber eben auch von vorgestern. ;)

    • Vor 9 Jahren

      "Rap ist mein Motiv, Junge / Dieser Track ist Kokain, ich will dass du ziehst, Junge / Fick dein Team, Junge"

      Der Rhyme ist fett, der Rhyme ist fett!

      Finde die Rezi schon ganz witzig :D

      Garri, feierst du das noch? ;)

    • Vor 9 Jahren

      jap modern classic 6/5 nach wie vor
      was ich vor 7 jahren schrieb, stimmt hier auch heute

      2008 war ein sehr starkes jahr für fler. nachdem er auf dem sehr guten FieL den frank white stil wieder ausgepackt hatte, hat das undercover ccn wirklich gesprengt
      auch silla damals noch fresh (aber als gangsta ähnlich ernstzunehmend wie als fitnessguru..)

      der nachfolger war dagegen nicht mehr so stark, eher richtung wack und kein vergleich zum original (wie bei jbb)

    • Vor 9 Jahren

      Geht mir ähnlich, Icy. Das Einzige von Silla, was ich mir noch geben kann, ist Schmutzige Euros 1. Und FieL ist auf jeden Fall das bessere SBM1.

  • Vor 9 Jahren

    btw: schade um texas und den testave. fehlen