laut.de-Kritik

Analverkehr für alle!

Review von

"Der Asphalt glänzt, wenn es regnet.
Die Wolken sind schwarz.
Der Asphalt glänzt, wenn es regnet.
Wir ficken dein' Arsch.
Die Felgen spiegeln sich im Asphalt.
"

Zeilen von solch dadaistischer Schönheit, man muss sie einer Annäherung an Flers, pardon, Frank Whites aktuelles Werk einfach voran stellen. Das in endlosen Weiten frei kreiselnde Hirn spuckt nämlich plötzlich ganz neue, nahezu alarmierende Fragestellungen aus: Habe ich mich diesem Künstler die ganzen Jahre über mit der komplett falschen Einstellung genährt? Habe ich es am Ende gar nicht mit einem Rapper, sondern mit einem Nonsense-Poeten von Morgensternschem Format zu tun? Kroklokwafzi?

Hui, vermutlich jault in Berlin in diesem Moment schon ein Motor auf. "Noch ein falsches Wort, und du siehst vor deinem Haus den Benzer stehen", so lautet schließlich die unmissverständliche Drohung an Journalisten, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen. Ob das inzwischen unter "Real Talk" fällt: keine Ahnung. Die Schnittchen, die wir nach der letzten Besuchsankündigung vorsorglich geschmiert hatten, mussten wir dann ja auch alleine essen. Schade, eigentlich. Ich hätte da noch so einige Fragen gehabt, die sich vielleicht hätten klären lassen.

Allen voran das große Mysterium: Wie zum Teufel passt zusammen, dass ausgerechnet diejenigen, die die Vokabel "schwul" wieder und immer wieder zu Schmähzwecken heranziehen, am laufenden Band von kaum etwas anderem reden als davon, wessen Ärsche sie zu ficken beabsichtigen? Bushido, Silla, Hengzt, Farid Bang, Elyas M'Barek, Toxik, Staiger, Blumio, Cro, Yoko und Klaas ... Die Liste ist sicher nicht komplett, zeigt aber doch eine klare Tendenz: Unter den im Verlauf von "Keiner Kommt Klar Mit Mir" namentlich Beleidigten finden sich relativ wenige Opfer weiblichen Geschlechts. Ist eine Analverkehrsverheißung dann nicht irgendwie, irgendwo, wenigstens ein kleines bisschen schwul?

Stopp. Ich verfalle schon wieder in alte Denkmuster. Hab' ich nicht eben gelernt, dass man jemandem, der Lyrik des Kalibers "Was für Krawatte? Ich trage meine Collegejacke. Micaela Schäfer, Möchtegern-Modelschlampe" abfeuert, nicht mit so prosaischen Dingen wie Logik kommen sollte?

Überhaupt: Muss man bei Fler nicht vielleicht andere Maßstäbe anlegen als bei anderen Kindern? "Dieser Heimjunge wuchs in der Gosse auf." Vielleicht sollte man mehr Mitgefühl entwickeln. Wenn man einen traumatisierten Tierheimhund adoptiert, müsste man auch hinter extrem blauen Augen unterwegs sein, um zu erwarten, dass er sich von Tag eins an reibungslos ins Familienleben eingliedert.

Andererseits: Inzwischen ist Fler, wie er nicht müde wird zu betonen, schon eine ganze Weile im Geschäft - und reibungslose Eingliederung erwartet auch keiner. Wie langweilig das klingt, haben schon ganz andere vorgeführt. Nö, noch so einen zahmen Familienunterhalter braucht wirklich niemand. "Ich mach' Geld mit Gewalt, Brutalität", "Ich mach' Real Talk von Brutalität", "Ich ficke deutschen Rap ohne Gleitmittel": klingt schon eher nach Gemetzel. Allein: Es bleibt bei leeren Versprechungen.

Statt auch nur ein einziges Mal wirklich garstig auf den Tisch zu hauen, dass es scheppert, beschränkt sich Fler darauf, gebetsmühlenartig abwechselnd seinen Vorreiter- und seinen Außenseiterstatus zu beschwören. "Du weißt, wer ich bin, ich brauch' mich nicht mehr vorzustellen." Was ihn keineswegs daran hindert, es wenig später doch zu tun: "Ich bin Frank White, der von dem ihr rappen habt, der von dem ihr wisst, wie man am Mikrofon auf Gangster macht." "Jeder macht mich nach, weil den Schwänzen nichts mehr einfällt." "Ich will keine Credits, doch hab' den Trend gesettet", host mi?

Auf Technik setzt er, wie er mindestens genau so häufig wissen lässt, dabei einen dampfenden Haufen ("Mein Flow ist gangsta, bei mir gibts kein Doubletime", Silben zählen sollen andere gehen), und den nächsten auf "dein Facebook, Twitter oder Instagram", denn: "Das Leben Ist Kein Internet". So weit, so wahr. Das wars dann aber auch schon, mit dem Inhalt. Mit Absicht, versteht sich: "Es gibt keine Message bei mir, außer, dass ich dir die Fresse polier'."

"Spaß beiseite, ihr habt keine Ideen", wirft Fler allen anderen vor. Im Gegenzug kommt verdammt wenig rum. "Die Szene? Eine Nutte. Die Medien? Alles Nutten. Deutsche Rapper? Übernutten." Alles klar. "Ich fick' dich und dein Album mit einem coolen Satz." Ja, los! Immer raus damit!

"Deutscher Rap, er hasst mich, weil ich zu viel provoziere." Ehrlich? Halbmotivierte Tritte in die erwarteten Richtungen austeilen und ansonsten reglos hingegossen auf dem längst erarbeiteten Lorbeerposter herumfläzen, das geht jetzt schon als Provokation durch? Wenn das stimmt, braucht deutscher Rap wirklich dringend einen zünftigen Arschfick. Doch, Obacht, dabei könnte man sich leicht etwas wegholen: "Deutscher Rap ist 'ne Geschlechtskrankheit."

Einzig anderes Thema: Die Enttäuschung darüber, nirgends richtig dazu zu gehören. Die scheint bei Fler doch tiefer zu sitzen, als zuzugeben wirklich cool wäre. Sich aus der Ablehnung, die einem entgegen schlägt, eine Pose zu basteln, um wenigstens einen letzten Rest Würde und Selbstachtung zusammenzukratzen: im Grunde eine nachvollziehbare Reaktion. Wenn man in den Club nicht reinkommt, kackt man halt vor die Tür. Wenn einen keiner leiden kann, schreit man: Alles Fotzen!

Joaquin Phoenix hat eben erst im Zeit-Interview beschrieben, wie er im Nachhinein seine eigenen despektierlichen Äußerungen gegenüber der Oscarverleihung empfindet: "Es ist so, als ob der hässliche Junge eines Tages zur Party der coolen Kinder eingeladen wird. Und weil er weiß, dass er sowieso nicht wieder eingeladen wird, sagt er: Total blöde Party." Kommt mir bei Fler ziemlich ähnlich vor. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um drogeninduziert schwer verzerrte Selbstwahrnehmung. Auch in diesem Fall sollte man eigentlich Nachsicht und Milde walten lassen. "Ich bin drauf", unter diesen Umständen liegt der Trugschluss oft nahe: "Ich hab' es drauf."

Aus aktuellem Anlass bietet sich eine Rückbesinnung auf selige "CCN"-Zeiten fast zwingend an. Weswegen Fler auch musikalisch in den Rückspiegel schaut, wie er unter anderem bereits im Interview mit hiphop.de auseinander nahm: "Ich hab' mir das ganze erste 'Carlo Coxxx Nutten' wieder angehört", verriet er dort, "und ich hab' mir so gedacht: 'Krass, Alter! Wie wenig eigentlich.' ... Die Stimmung, der Vibe, da hab' ich mich eiskalt am ersten Ding orientiert."

Wie wenig: stimmt auffallend. Nachdem Fler seinen Produzenten offenbar nachhaltig gezeigt hat, wie man Beats baut, blieben minimalistische Synthiekulissen übrig, die wirklich mit keinerlei Überraschungen mehr vom Hauptdarsteller in diesem Gansterfilmchen ablenken. Nicht schlecht, aber auch kein Stück aufregend, mitreißend oder in irgend einer Form berührend. Das spannendste Stück Musik steckt tatsächlich in der funky Hintergrundberieselung aus dem "McFit Skit". Ansonsten weiß man nach zehn Sekunden bei jedem einzelnen Track, wohin der lahme Hase läuft. Nein, er schlägt auch keinen Haken mehr.

Blöd halt nur, dass Fler das Problem eigentlich selbst benennt: "Heute ist nicht gestern, deutscher Rap verändert sich." Wer da nicht mitzieht, musikalisch wie technisch, läuft schnell Gefahr, überholt zu wirken. Trotzdem gefällt mir die älteste Idee immer noch am besten: Ein weiteres Mal steigt "Fler Vs. Frank White" in den Ring. Über drei Runden battlen sich die beiden Alter Egos. Schade bloß, dass man die Staffelstabübergaben, wenn sie nicht angesagt werden, beinahe verpasst: Im Vortrag lässt sich jedenfalls kein Unterschied ausmachen. Dennoch hat diese Fightclub-Veranstaltung viel Schönes. Wenn sich Fler selber aufs Maul haut, muss es schon kein anderer machen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Gangster Frank White
  3. 3. Anti Alles
  4. 4. Outlaw
  5. 5. Du Kek
  6. 6. Der Asphalt Glänzt
  7. 7. Das Leben Ist Kein Internet
  8. 8. McFit Skit
  9. 9. Du Bist Nicht Bereit Dafür
  10. 10. Alles Fake
  11. 11. 1 G
  12. 12. Schwanzlutscher
  13. 13. Ich Schwöre
  14. 14. Credits
  15. 15. Fler Vs. Frank White
  16. 16. Real Talk
  17. 17. Badewiese Pt. 2
  18. 18. Outro

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