laut.de-Kritik
Britannischer Punkrock wider sämtliche Genredogmata.
Review von Mathias MöllerMit schöner Regelmäßigkeit - gefühlt viertelstündlich - proklamiert die nicht unumstrittene britische Institution NME auf ihrem Cover das Next Big Thing. Und finden dabei ähnlich dem blinden Huhn quasi zwangsläufig auch mal ein Korn. Letztjährig "entdeckte" der NME beispielsweise die großartigen Gallows, heuer darf es für die Hartwurstfraktion noch ein bisschen mehr sein: Fucked-Up-Fronter Pink Eyes ist (im Gegensatz zu Gallows-Schreihals Frank Carter) ein echter Pfundskerl. Zu sehen unlängst in dezent blutverschmierter Pose auf dem Cover der Zeitschrift.
Bei soviel optischem Säbelrasseln ist man natürlich gespannt auf den derben Sound der Kanadier, der angeblich keinen Club unrenoviert lässt. Dabei führt das Cover vielleicht in die Irre: Sonnenuntergang in einer nordamerikanischen Häuserschlucht, dazu der Titel "The Chemistry Of Common Life", das wirkt eher wie Manic Street Preachers. Der Opener "Son The Father" beginnt demgemäß mit 30 Sekunden lieblichster Querflöte. Fuck me, Ian Anderson!
Als sich dann Gitarren dazu gesellen, frohlockt der Punkrocker in mir. Endlich gehts los. Doch zunächst schichtet sich in bester Neorockmanier eine Gitarrenschicht auf die andere. Erst nach anderthalb Minuten explodiert dieser abgefuckte Vulkan. Drummer Mr. Jo treibt den Sechseinhalbminüter mit einer lebendigen Spritzigkeit voran, dass es dem Hörer ein fettes Grinsen ins Gesicht schlägt. Sänger Pink Eyes offenbart sich übrigens als fast perfektes Dicky-Barrett-Double. Lange nicht mehr hab ich so ein Reibeisen von Stimme gehört.
Mit Punkrock hat das allerdings recht wenig zu tun, zumindest in der dogmatisch engen Definition. Melodiosität, Songstruktur, Soli, Bridges, musikalische Cliffhanger, endlose Drumrolls - Fucked Up ziehen alle Register. Und klingen dabei manchmal mehr wie die Kings Of Leon als wie die Dreiakkordsportler deines Vertrauens. Zu Beginn von "Magic Word" warten sie folglich sogar mit Tablas auf. Hat mal jemand eine neue Schublade? Psychedelic Neo Space Punk? Holla.
Mitunter wirkt das Gefüge ein wenig behäbig, doch gerade, wenn es anfängt zu nerven, treten sie das Gaspedal durch. Mit Nummern wie dem langsamen, Moog(!)-getriebenen Instrumental "Golden Seal" stellen sie den Hörer auf die Probe, mit dem folgenden Brecher "Days Of Last" entschädigen sie. Peitsche und Zuckerbrot - Fucked Up sind eigenwillig. Oder wer hat schon mal ein French Horn auf einem "Punk"-Album gehört? Wer gewillt ist, sich darauf einzulassen, wird das Klicken im Kopf hören. Nach dem zweiten oder dritten Durchlauf schließt man Fucked Up unweigerlich ins Herz.
2 Kommentare
grad mal reingehört.ist wirklich net schlecht
Fand Hidden World besser.