9. Mai 2006

"Mein Song klingt wie 'Hurt'?"

Interview geführt von

Im März erschien nach sechsjähriger Pause Gary Numans neues Studioalbum "Jagged". Ab morgen ist der Brite in drei deutschen Städten live zu sehen: Berlin (10. Mai), Frankfurt (11. Mai) und München (12. Mai).Im Interview spricht der Ex-Tubeway Army-Sänger, der 1977 als erster Synthesizer-Popstar die Charts eroberte, über lange ersehnte Vaterfreuden, Sympathiebekundungen junger Bands und die Tücken des Unterbewusstseins im Prozess des Songwritings.

Seit deinem von der Kritik gefeierten Album "Pure" sind sechs Jahre vergangen. Statt eines neuen Studioalbums erschien ein Livealbum, eine Live-DVD und eine Greatest Hits-Platte. Was hast du gemacht?

Numan: Puh, wo fange ich an? Zunächst war da die Faulheit. Ich kannte ja das Gefühl gar nicht, euphorische Rezensionen für meine Alben zu erhalten. Daran hatte ich also eine gute Weile meinen Spaß. Bevor ich überhaupt wieder an einem neuen Song saß, vergingen bestimmt alleine eineinhalb Jahre. Aber dann lief es gut an und ich hatte relativ schnell 28 bis 30 Songs beisammen. Doch als der Studioprozess hätte beginnen können, wurde meine Frau schwanger. Ein großes Ereignis, da sie in den letzten sieben Jahren schon drei Fehlgeburten hinter sich hatte. Wir versuchten es auch schon mit einer künstlichen Befruchtung.

Als sie dann wieder schwanger wurde, reagierte ich fast panisch. Diesmal musste es klappen. Also stoppte ich meine Arbeit wieder. Als das Baby schließlich zur Welt kam, vor zwei Jahren, war das einfach das Größte für mich und ich hatte für nichts anderes Zeit. Versuche es besser gar nicht zu verstehen, wenn du keine Kinder hast, aber ich wollte nur meinen Jungen aufwachsen sehen.

Als ich dann mit der Platte weitermachen wollte, tat ich mich mit Produzent Andy Gray (u.a. Paul Oakenfold) zusammen, der zu dem Zeitpunkt aber gerade einen Umzug auf eine Insel am Laufen hatte. Als ich merkte, dass er dadurch wohl keine Zeit mehr für mich hatte, waren wieder ein paar Monate ins Land gegangen und ich kontaktierte den Produzenten meiner letzten Platte. Aber irgendwie schien auch der gerade an anderen Baustellen zu arbeiten. Anfang 2005 machte ich mich schließlich mit einem Freund daran, alle vorliegenden Songs noch einmal neu und von Grund auf zu bearbeiten, wodurch das Material nochmal in eine andere Richtung gebracht wurde. Erst im Juli vergangenen Jahres war dieser Prozess endlich abgeschlossen. Man kann also von einer Verkettung verschiedenster Umstände sprechen, obgleich ich weiß, dass sechs Jahre ein lächerlich langer Zeitraum zwischen zwei Alben sind. So was wird nicht mehr passieren, alleine schon weil wir keine Kinder mehr bekommen werden. Ende 2007 soll das nächste Album erscheinen, an dem ich jetzt bereits arbeite.

Mit deiner letzten Plattenfirma soll es aber auch Probleme gegeben haben, hörte man.

Ja, das kam auch noch dazu. Ich unterschrieb bei einer Firma, die erstmal eine Greatest Hits und eine Remixplatte veröffentlichte. Das war an sich in Ordnung, nur mit dem Bezahlen hatten sie es nicht so. Eigentlich sollten sie auch mein neues Album veröffentlichen. Doch schon vorher fingen sie an mir zu erzählen, sie könnten das Geld nur in monatlicher Ratenzahlung überweisen. Ich erklärte mich einverstanden, doch die Schecks, die eintrudelten, waren leider ungedeckt. Die ganze Mannschaft hat mir von Anfang an ins Gesicht gelogen, als schon überhaupt kein Geld mehr da war. Im Endeffekt habe ich also mehr Kohle in die Promotion für ihre Platten investiert, als sie in meine. Bizarr! Ich war bislang noch nie bei einer Plattenfirma, die mir Geld dafür abknöpfte, bei ihr unter Vertrag sein zu dürfen. Die anderen Künstler bekamen diese Geschäftspraktiken auch noch zu spüren. Bis auf zwei Bands verließen alle das Label. Ich war wirklich sehr enttäuscht.

Reden wir gerade über Eagle Rock?

Nein, die Plattenfirma danach, sie heißt Artful. Mit Eagle Rock hatte ich überhaupt keine Probleme. Hier gab es andere Gründe für die Trennung. Das waren ehrliche und gute Leute. Aber danach ließ ich mich eben auf ein kleines Indie-Label ein und das wurde zum Alptraum. Und ein weiteres Hauptproblem der langen Auszeit war ja auch, dass ich damals juristisch noch bei ihnen unter Vertrag stand. Jeder meiner neuen Songs sollte also ihnen gehören. Du kannst dir vorstellen, dass mich diese Umstände erst recht nicht zum Arbeiten angetrieben haben. Ab und an gab ich ihnen halt mal einen Song und dann wurde er gleich geremixt oder sonstwas. Ich weiß, das klingt alles abscheulich geschäftig, tut mir leid.

"Brian Warner? Wer soll das denn sein?"

Warst du zwischenzeitlich angenehm davon überrascht, dass sich sogar schon Girlgroups wie die Sugababes an deine Songs heran trauen?

Allerdings (lacht). Es gab aber in den letzten Jahren sehr viele Hinwendungen an alte Songs von mir, ob gesampelt oder gecovert. Mich freut besonders die stilistische Vielfalt: da gibt es die heavy Bands wie Nine Inch Nails, Foo Fighters oder Marilyn Manson. Dort die elektronische Ecke mit Sugababes, Basement Jaxx oder Afrika Bambaataa. Das Schöne daran ist, dass sie mir mein positives Gefühl hinsichtlich des Musikgeschäfts zurück gegeben haben. Meine jetzige Karriere wäre ohne diese Bands sicher nicht so gelaufen.

Weißt du noch, was in deinem Kopf vorging, als du vor einigen Jahren in Los Angeles auf der Bühne standest und dich Marilyn Manson für einen Song begleitete?

Klar. Das Lustige war ja, dass an jenem Nachmittag ein Typ anrief, der meinte, er sei Brian Warner und möchte mich am Abend bei einem Stück auf der Bühne begleiten. Brian Warner? Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Typ war. Also sagte ich: Sorry, nein. Da könnte ja jeder kommen. Wir sind doch hier nicht beim Kabarett. Schließlich sagte er, er sei Marilyn Manson und ab da war natürlich alles klar. Wir hatten uns vorher schonmal getroffen und uns gut verstanden, ich kannte eben nur seinen richtigen Namen nicht. Der Gast-Auftritt war natürlich klasse. An dem Abend kam an anderer Stelle sogar noch Wayne Hussey von The Mission auf die Bühne.

Depeche Mode hast du ja auch schon getroffen, die dich als Initialzünder ihrer Bandgründung nennen. Gab es für dich Künstler, die du aufgrund ihrer Musik unbedingt kennen lernen wolltest?

Es gibt jede Menge tolle Leute da draußen. Ich liebe Depeche Mode, vor allem ihr Album "Songs Of Faith And Devotion". Ich denke, dass die Treffen mit ihnen, Trent Reznor und Manson für mich als Fan am schönsten waren. Es kommt aber natürlich nicht auf den Bekanntheitsgrad an. Auf Tour trifft man ja einen Haufen Leute und auch in der unbekanntesten Supportband lernt man coole Typen kennen.

Hast du auch schonmal Rammstein getroffen?

Yeah. Ich habe sie schon drei- oder viermal in London gesehen. Ich bin ein großer Fan. In der Brixton Academy habe ich ihnen mal einen Award überreicht, ich glaube es war der Kerrang Magazine Award. Das war cool, obwohl wir uns anschließend nur etwa zehn Minuten unterhalten konnten. Für mich machen Rammstein vielleicht die beste Show, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Wahnsinn!

Sie sind in Amerika neben Kraftwerk wohl die bekannteste deutsche Band.

Wirklich? Cool, sie haben es verdient.

Auch auf deinem neuen Album sind wieder diese typischen brachialen Industrialsounds vorhanden, die schon "Pure" kennzeichnete. Ich würde das Album - trotz der langen Pause - als logischen Nachfolger bezeichnen. Siehst du das ähnlich?

Sie gehören definitiv zusammen. Ich würde aber sagen, dass die neue Platte elektronischer ausgefallen ist, gerade was die Leadmelodien angeht. Ich wollte diesmal noch hymnischere Refrains schreiben und hatte immer die Live-Situation vor Augen.

Ich möchte auf eine Stelle im Song "Before You Hate It" zu sprechen kommen. Dort heißt es: "Here it comes again, that old familiar pain." Zusammen mit den Moll-Akkorden musste ich sofort an "Hurt" von Nine Inch Nails denken. Absicht?

Was? Wirklich? Natürlich war das keine Absicht. Aber da ich ein großer NIN-Fan bin, fließt unbewusst sicher das ein oder andere mit in meine Musik ein. Ich höre privat eigentlich kaum Musik und wenn, dann sind es die genannten Bands, Korn und Deftones und sowas. Ich wäre also überrascht, wenn meine Hörgewohnheiten gar keinen Einfluss auf meine Musik hätten. Für Außenstehende ist es auch meist einfacher, Vergleiche zwischen Songs zu ziehen, als für den, der sie geschrieben hat.

Ein schönes Beispiel für die Vorgänge des Unterbewusstseins passierte vor einigen Jahren: Ich spielte meiner Frau einen neuen Song von mir vor und sie meinte gleich nach ein paar Sekunden: Das ist ein Siouxsie And The Banshees-Song. Ich sagte: "Bitte? Ich habe ihn gerade geschrieben!" Darauf sie: "Nein, das ist 'Cities In Dust'". Darauf ich: "Nein verdammt, ich kenne 'Cities In Dust' überhaupt nicht und höre auch die Banshees nicht."

Nun hatte sie den Song aber am Vortag ein paar Mal laufen lassen als ich gerade ein Stockwerk höher arbeitete und irgendwie muss ich die Melodie gehört haben. Als ich dann den Song fertig hatte, dachte ich, es sei mein Stück. Das hat mich eine Zeit lang wirklich beschäftigt. Stell dir vor, ich hätte es meiner Frau nicht vorgespielt und es in der ersten Form veröffentlicht. Das wäre ein Desaster gewesen! Seither spiele ich meine neuen Songs immer einigen Leuten vor und frage sie, ob ihnen irgendwas bekannt vorkommt. Aber offensichtlich hat es wieder nicht hundertprozentig funktioniert.

"Ich habe mein Flugzeug vor zwei Monaten verkauft"

Wie gesagt, Trent Reznor wählt in "Hurt" ähnliche Worte wie du und zusammen mit den dunklen Mollakkorden war die Assoziation eben da.

Was singt er genau?

Er singt nicht exakt "old familiar pain" aber sowas ähnliches.

Oh fuck! Das ist mir nicht aufgefallen.

Was solls. Sind beides gute Songs.

Okay (lacht).

Du hast ja deinem Genre entsprechend ein düsteres Image, das auch deine letzten Cover bedienten. Auf deiner Homepage zeigst du dagegen Privatfotos mit deinem Baby. Bist du es manchmal leid, ewig der dauermelancholische Gothic-Übervater zu sein?

Nein, so kann man das nicht sagen. Ich habe einfach auch eine andere Seite, nämlich die eines normalen Familienvaters. In meinem Umfeld gab es Leute, die meinten, ich solle diese Bilder nicht veröffentlichen. Sie meinten, es solle auf der Website um den Künstler Gary Numan gehen und nicht um den Menschen. Ich verstehe diese Sicht der Dinge: hier ist dieser geheimnisvolle Elektro-Gothic-Typ und dort lächelt er plötzlich wie ein Idiot mit seinem Baby auf den Schultern. Vielleicht nehme ich das alles nicht ernst genug. Ich liebe eben meine Musik und ich liebe meine Kinder. Ich sollte wohl einfach eine persönliche Sektion auf der Seite eröffnen, die "Baby-Sektion", so dass sich diejenigen nicht gestört fühlen, die nach der dunklen Gothic-Person suchen (lacht).

Besitzt du noch dein Flugzeug aus den 80er Jahren?

Ich habe es vor zwei Monaten verkauft. Das war mal ein seltsames Gefühl, denn es ist mir sehr ans Herz gewachsen, alleine da wohl kein anderer Gegenstand so lange mir gehörte. Es war ein alter Militärflieger, mit dem ich Flugshows und sowas machte. Aber da immer mal wieder furchtbare Unfälle bei solchen Events passieren, hat es mir meine Frau irgendwann verboten. Und ohne diese Unterstützung geht es auch gar nicht, da man unglaublich viel Zeit braucht und eben auch Geld. Zum Glück hörten viele meiner Freunde zur selben Zeit auf, so dass es nicht ganz so problematisch für mich war.

Wenn man auf deine Karriere zu sprechen kommt, werden meist deine Frühwerke mit Tubeway Army gelobt und der Rest ab den frühen 80ern komplett ausgelassen. Fühlst du dich dadurch künstlerisch vernachlässigt?

Äh nein, ich denke, sie bekamen das, was sie verdienten. (lacht)

Also ich mag ja noch das "Dance"-Album von 1981.

Ich weiß schon, was du meinst. "Dance" gefällt mir auch, aber danach habe ich mich einfach zu sehr radiofreundlichem Pop zugewendet. Parallel dazu bekam ich ab 1982 in England massive Probleme mit dem Radio. Bis heute komme ich dort praktisch nicht vor, was nunmal nicht unerheblich im Bezug auf neue Hörerschaften ist. Daher war ich ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nicht mehr bei den Leuten präsent. Ende der 80er und Anfang der 90er waren die Songs an sich aber auch einfach schlecht. Meinen Tiefpunkt hatte ich 1992, als ich ein absolutes Scheißalbum veröffentlichte. Aber es war eben das Beste, was ich damals zustande brachte.

Noch 1981 hast du ja mit großem Getöse deinen Abschied von der Bühne mit imposanten Konzerten gefeiert. Was waren die Gründe dafür?

Ich wollte flüchten. Der ganze Ruhm erwischte mich damals wie ein Schock. Ich hatte nicht erwartet, dass der ganze anfängliche Spaß irgendwann ins Gegenteil umschlagen würde - was er natürlich tat. Ich bekam sogar Morddrohungen. Nach und nach gab es Momente, in denen ich meine Reaktionen auf mein Umfeld nicht mehr im Griff hatte. Ich war eben noch jung und manchmal benahm ich mich geradezu kindisch. Es dauerte lange, bis ich heraus fand, was und wie man Dinge genießen kann, ohne sich schlecht dabei zu fühlen. 1981 hatte mich dann auch noch die Presse auf dem Kieker und irgendwann schob ich all die unangenehmen Seiten des Spiels und meine Depressionen aufs Touren. Das war der Moment, wo ich mir sagte: Geh wieder ins Studio und finde dort den Spaß an deiner Arbeit, wo du ihn am Anfang vor dem Erfolg hattest. Irgendwann merkte ich aber, dass das nicht der richtige Weg sein kann und ich mit meinen Ängsten klarkommen muss.

Würdest du als Freund des DVD-Formats heute eigene Konzerte aus deinen frühen Punktagen veröffentlichen wollen?

Wenn ich sie hätte, warum nicht? Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich damals furchtbar geklungen habe, aber die Fans würden das sicher begrüßen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Gary Numan

Wer im Mai 1979 die britische TV-Kultsendung Top Of The Pops einschaltete, wurde Zeuge eines spektakulären Auftritts: Auf der Bühne stand ein ernst …

Noch keine Kommentare