laut.de-Kritik
Der Titan des dunklen Lichtes: Bedrohlich und betörend zugleich.
Review von Johannes JimenoHyperion bedeutet so viel wie 'der hohe Sohn' oder 'der Obere' und ist in der griechischen Mythologie der Titan des Lichts. Warum der französische DJ Gesaffelstein sein Album nach ihm benennt und dabei das Cover komplett in Pechschwarz taucht, erschließt sich wohl nur ihm selbst.
Musikalisch gesehen ergibt die Farbwahl tatsächlich Sinn, gilt Mark Lévy doch als Dark Lord des Elektro. "Hyperion" fügt sich wunderbar in sein bisheriges Schaffen ein. Das merkt man sogleich beim Titeltrack und bei "Reset": beide ertönen hektisch und unheilvoll, gepaart mit verspielten Melodien und einem galanten Spannungsbogen. Sogar ein aufgeschrecktes Saxophon findet seinen Platz.
Das war es aber auch schon mit dem Gesaffelstein-typischen Stress. Denn anders als bei seinem Debütalbum "Aleph", hat er sich ein paar Feature-Gäste in sein dunkles Imperium eingeladen. "Lost In The Fire" stellt einen kontemporären, coolen Dark Wave-Pop-Hit dar, in dem The Weeknd seine wieder aufgenommene Beziehung zu Bella Hadid thematisiert und Drake eine Ohrfeige per Rückhand verpasst: "And I Just want a baby with the right one / Cause I could never be the one to hide one." Bereits auf Tesfayes EP "My Dear Melancholy" haben er und Lévy wunderbar harmoniert.
Pharrell Williams gibt sich auf "Blast Off" die Ehre und veredelt den lässigen, pulsierenden Achtzigerer-Song. Ebenfalls in denselben Gefilden wandert das Synthpop-Duo Electric Youth zusammen mit Lévys Landsmann The Hacker in "Forever". Kurz vor Schluss sorgt ein wild-fiependes Gewitter samt Beatwechsel für Ausgelassenheit.
Fast schon elysisch hört sich die Verschmelzung von sinistren, eindringlichen Beats und elfenhaftem Gesang an, wenn HAIM in "So Bad" über Reue und Vergangenheitsbewältigung sinnieren.
Doch das absolute Highlight auf "Hyperion" ist das versteckte "Ever Now": tief im Cyberpunk verwurzelt, führen mäandernde Melodien wie ein Pendel über schwelende Dämpfe hinfort und beschwören eine bedrückende Stimmung herauf. Ein Jammer, dass dieser Rohdiamant nur 98 Sekunden lang währt.
Gesaffelstein beeindruckt seit jeher auch mit einer elektronische Wehmütigkeit, die einen cineastischen Anstrich in sich trägt. Dies manifestiert sich in den beiden Abschlusstracks. "Memora" malt ein äußerst ruhiges sowie melancholisches Bild mit subtiler Beatstruktur und bildet den Auftakt für das Grande Finale "Humanity Gone": Ein fast elfminütiger elegischer Schwanengesang mit langen Orgelpassagen, die eine sakrale Stimmung evozieren. Die behutsame Orchestrierung erinnert stark an Air, wehende Synthies und ein im Hintergrund hallendes Saxophonsolo von Terrace Martin berichten vom Ende der Menschheit. Nach den bisher gut verdaulichen Happen serviert uns Lévy hier einen schweren, jedoch nicht minder appetitlichen Nachtisch.
Wenn man so will, bildet "Hyperion" den Titan des dunklen Lichtes. Er ist sinister, bedrohlich und gerade deswegen besonders betörend. Dank des zugänglichen Pop-Appeals seiner Features dürfte er nun ein breiteres Publikum ansprechen ohne seine eigene DNA aufzugeben. Pechschwarz ist das neue Bunt.
1 Kommentar
Schöne Platte, vor allem die Instrumentals.