laut.de-Kritik

Synästhetischer und suggestiver Slasher-OST: Unsterblich und unheimlich gut.

Review von

Die italienische Progrock-Band Goblin verpasste dem legendären Giallo "Suspiria" von Dario Argento einen Soundtrack für die Ewigkeit: Nicht nur der Film, sondern auch der Score gelten als Heiligtümer im Horror-Genre. Argento und die Band arbeiteten damals sehr eng zusammen, um diesen dichten und atmosphärischen Sound zu schaffen, der einem bis heute einen Schauer nach dem anderen über die Haut jagt.

Die Folk-Horror-Flüstertitelmelodie wurde im Lauf der Zeit zu einer der berühmtesten im Horrorkino. Denn schon der Opener ist eine Oper des Grauens, musikalisch aufgefächert in mehrere Teile, denen man als Hörer gebannt folgt. Es ist eine Symphonie der Seufzer, bestehend aus Hexengeflüster und geisterhaften Tönen. Es ist ein kongeniales Thema mit Glockenspiel-Sample und geheimnisvollen Sound-Bruchstücken.

Und es ist ein Filmscore, der messerscharf musikalisch seziert und suggestiv Bilder eines Blutrauschs heraufbeschwört. Goblins Soundtrack ist dabei Synästhesie in Reinstform, (die Gabe beim Musikhören Muster und Farben zu sehen) und übersetzt Argentos ästhetisch umwerfende Farbdramaturgie im Film mühelos in kongeniale Fetzen von minimalistischer Musik, experimenteller Begleitung oder Freejazz-Schauern.

Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Soundtracks waren Synthesizer in Filmmusiken eher selten zu hören. Nach "Suspiria" gab es jedoch kaum noch einen Horror-Score, der nicht mit diesen musikalischen Möglichkeiten spielte.

John Carpenter etwa lauschte Goblin aufmerksam und bediente sich für "Halloween" an den akustischen Tricks der Italiener. Als der Regisseur, Filmmusikkomponist und gefeierte Elektromusiker ("The Fog – Nebel des Grauens", "Die Klapperschlange") einmal auf Goblin-Mastermind Claudio Simonetti traf, sagte er ihm angeblich auf den Kopf zu: "Ich kenne dich schon ganz gut. Ich habe deine ganze Musik geklaut".

Goblins Einfluss auf Horror-Musiken ist immens. Doch ihr eigenwilliger Mix aus Hardrock, Prog und Experimenten hat auch Sub-Genres wie No Wave, Post-Rock und Horror-Disco massiv beeinflusst.

Im 2018er Remake zum Film übernahm übrigens Radiohead-Mastermind Thom Yorke das schwere Erbe und schuf ein Geflecht von verschleppten, repetitiven und hypnotischen Beats, das vielleicht auch zu den zukünftigen Klassikern des Genres gehören wird. Ihm ging es dabei nicht darum, die sowieso unerreichbaren Goblin zu kopieren, sondern mit ihnen zu spielen: Auf "Suspirum" zitiert er das berühmte Glockenspiel des Original-Soundtracks, und auf "Volk" wagt sich Yorke schließlich endgültig an Goblins gespenstige Methode heran und öffnet die unheimlichen Giallo-Welten, begleitet von strangen Synthie-Sounds, wobei die Instrumentierung unruhig und kakophonisch hin und her schwingt - white and wicked noise at it's best.

"Suspiria" ist Goblins teuflisches Meisterwerk: Darauf Tracks, so blutrot wie in Hammer-Filmen, von denen auch Argentos Bilder beeinflusst sind. Soundfetzen so schaurig, dass man die dazugehörigen Bilder gar nicht braucht, um sich zu gruseln. Musikalische Experimente mit Instrumenten wie einer Tabla oder einer Bouzouki, die die Filmfigur der "Mutter des Seufzens" kraftvoll evozieren. Und schließlich ist dieser Soundtrack nicht nur laut, sondern gewaltig – die Klaviatur des Terrors von Flüstern bis Schreien wird hier nervenzerfetzend ausgereizt. Nie wieder wurde das Böse musikalisch so unheimlich gut heraufbeschworen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Suspiria
  2. 2. Witch
  3. 3. Opening To The Sighs
  4. 4. Sighs
  5. 5. Markos
  6. 6. Black Forest
  7. 7. Blind Concert
  8. 8. Death Valzer

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2 Kommentare

  • Vor 8 Monaten

    Ein toller Text und ein verdienter Meilenstein. Allerdings ist der dazugehörige Film kein Slasher sondern ein italienischer Giallo, also die Vorlage für die US-amerikanischen Slasher. Das ist schön im Text anhand von Carpenters Zitaten in Halloween erklärt.

  • Vor 8 Monaten

    Ich finde auch den Film dazu übrigens besser als er in vergangenen Diskussionen hier schon gemacht wurde. Also klar, ist erzählerisch und von der Figurentiefe her nicht gerade Shakespeare-Material und den Feminismus hat es bestimmt auch nicht vorangebracht. Aber ich finde ihn auch aus heutiger Sicht noch ästhetisch besonders genug, um diese Schwächen mehr als aufzuwiegen.