laut.de-Kritik
Die Hamburger halten die Fahne des schlechten Geschmacks hoch.
Review von Toni HennigNach "Therapie Wirkt" von 2017 war es für das Performance-Kollektiv HGich.T erstmal an der Zeit, auf das bisher Geleistete zurückzublicken und die Chakren auszugleichen. Dafür gings drei Monate nach Indien. Zurück kamen die Hamburger nicht nur als "Yogis" statt als "Drogis", sondern auch mit frischem Material, falls man dem Pressetext zu ihrem fünften Studioalbum "Jeder Ist Eine Schmetterlingin" Glauben schenken mag.
So skandiert Vhagvan Swami, der sich früher mal Anna-Maria Kaiser nannte, in schunkeliger Manier zum Abschluss in "Apfelsaft": "Wir trinken heute alle Apfelsaft / Abgemacht ist abgemacht." Die Einsicht, dass man auch ohne Alkohol Spaß haben kann, reifte aber nicht erst vor Kurzem. Der Track erschien mitsamt dazugehörigem Clip schon 2012. So ganz ohne Ethanol geht es für HGich.T trotzdem natürlich nicht, wie sie im flehend-melancholischen "Parkbank Rider" verdeutlichen: "Ich sauf' in Moll / Ich trink' Sangria." Dass die Platte um Meditation und Achtsamkeit kreist, braucht man demnach nicht zu befürchten.
Nur das Verhältnis zwischen Party und Leben scheint dieses Mal ausgeglichener zu sein als zuletzt. Die Hanseaten lassen es hier und da auch mal etwas entspannter angehen. Darüber hinaus hat man beinahe den Eindruck, dass sie sogar ein aufklärerisches Anliegen besitzen, wenn es im kurz vor "Parkbank Rider" herausgebrachten "Titteschön" heißt: "Ein Fußball fliegt gegen die Titte / Danke, bitte." Man kann nicht oft genug an die allgemeinen Höflichkeitsfloskeln erinnern, die man in der heutigen Zeit scheinbar nicht mehr zu schätzen weiß.
Des Weiteren beleuchtet das Performance-Kollektiv die dunkle Seite der deutschen "S-Bahn". Sich mit dem fiesen Stelzbock opa16 als "Fahrscheinkontrolleur" anzulegen, braucht man gar nicht erst zu versuchen, denn sonst "geht's in den Knast". Dort sollte man es vermeiden, sich kurz "unter der Dusche" zu bücken, weil man sonst "was beigebracht" bekommt. Also denkt bitte daran, immer vorher ein Ticket zu ziehen, bevor ihr von A nach B düst. Dazu ertönt ein dynamischer, düsterer Electro-Beat, der zu den Sternstunden von HGich.T zählt. Vhagvan Swami nölt Nicht-Gesang dzu. Die Nummer hat mittlerweile aber auch ungefähr sieben Jahre auf dem Buckel.
Demzufolge bietet das Album nicht viel, das man sich ohnehin nicht schon längst auf dem YouTube-Kanal der Hamburger bei Apfelsaft und Salzcrackern aus dem Discounter zu Gemüte geführt hätte.
Dennoch sorgen gerade das taufrische "Aragon" und das erst kürzlich als Single mitsamt mysteriösem Wald-Video herausgekommene "U-Boot" durchaus für Begeisterung. In der erstgenannten Nummer erklärt uns Vhagvan Swami zu einem statischen 4/4-Beat mit verpeiltem Organ, wovon "Herr der Ringe auf DVD" eigentlich handelt, wenn er zum Beispiel singt: "Der Schluss ist tierisch lang." Daher eine gute Gelegenheit, um noch einmal sein Allgemeinwissen aufzufrischen. Letztgenanntes wartet dann zu stampfendem Goa mit Erkenntnissen auf, auf die man in seinem Leben nicht mehr missen möchte: "Am Gebüsch geht ein Rentnerpaar vorbei".
In "Bullenwache", das zu etwas zu gemächlich und einschläfernd ausfällt, geizt nicht mit Kritik an der Arbeitsmoral der Polizei: "Bullenwache Nachts um drei, alle trinken Kaffee." Die lässt sich nämlich von opa16 um ihre Kaffeekasse berauben, schlürft jedoch kurz danach in aller Gemütlichkeit ihr schwarzes Lieblingsgetränk, als sei nichts gewesen. Immerhin verfügt der dazugehörige Clip über mehr Action, wenn der Überschuss an Koffein in eine schwere Rauferei im Revier mündet. Jedenfalls funktionieren HGich.T als audiovisuelles Gesamtkunstwerk besser als auf Platte. Das war früher auch schon nicht anders.
Bestes Beispiel: "DJ18". Dort begeben sich Vater und Mutter "nach Amsterdam, um den verlorengegangenen Sohn zurückzuholen", der dort reichlich Haschisch konsumiert hatte. "Doch der Sohn ist" kurz darauf "schon in Polen", denn er "wusste schon, was kommen mag". Allerdings sieht der 18-jährige Sohn, gespielt vom Vorzeigetänzer Tutenchamun, im Video mindestens doppelt so alt aus wie seine "Hippiemama". Deswegen lässt sich eine gewisse unfreiwillige Komik nicht verleugnen.
Gegenüber der Bildkomponente fällt die Musik zum Video nicht ganz so unterhaltsam aus. Man hört entschleunigte Trap-Beats, die es von den Hamburgern so bisher noch nicht gab. Großartige visuelle Ideen besitzen HGich.T zweifelsohne, nur die klangliche Umsetzung lässt oftmals zu wünschen übrig.
Ebenso integrieren sie neue Elemente aus Industrial ("Hackertools") und Heavy Metal ("Demo Der Dämonen") kaum überzeugend ins Soundbild, da melodisch nur wenig hängen bleibt. Nach ordentlichem Beginn hält sich ab der Mitte die Hit-Dichte ziemlich in Grenzen. Wenn das Performance-Kollektiv nicht aufpasst, verkommt es bald zu zu einem Witz, der sich so langsam auserzählt hat.
Dann lieber doch Raven bis zum Abwinken. "Kinder Der Raver" geht jedenfalls als hyperaktiver Party-Track mit zuckenden Billigbeats direkt ins Tanzbein. Dabei löst der mit allerlei Stimm-Effekten angereicherte Refrain entweder pure Begeisterung oder blankes Entsetzen aus. Das zeigt aber, dass die die Fahne des schlechten Geschmacks bei den Hamburgern immer noch ziemlich hoch hängt. Kunst liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Am besten, man macht sich bei den noch anstehenden Konzerten durch Deutschland und Österreich von Juli bis Dezember selbst davon ein Bild. Sicherlich dürften die Songs bei den durchgeknallten Live-Shows der Hanseaten eine sowohl berauschendere als auch bewusstseinserweiterndere Wirkung entfalten als auf Tonträger. Danach dürften sämtliche Chakren ausgeglichen sein. Drogen benötigt man bei der Musik ja ohnehin nicht mehr.
6 Kommentare mit 6 Antworten
Irgendwann reichts auch mit nem Witz aus der Jahrzehntwende.
Hab gedacht die werden mal erwachsen, aber ne, die werden nur beliebiger. Fand und finde das Zeug von damals grossartig, aber zehn Jahre derselbe Witz (wenn auch mit anderen Pointen) zu erzählen wird halt auch irgendwann mal belanglos...
Verstehe ich. "Mein Hobby: Arschloch" war noch in etwa so durchgehend befriedigend, während bei den restlichen Alben das Pulver nach der ersten Hälfte schon verschossen war und danach nur noch verzeinzelt ein paar Lichtblicke durchschimmerten.
Das Beste buzw. einzig Gelungene an denen ist immer noch der Lebenslauf von Opa16: https://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Kuh…
Schon der erste Satz lässt erahnen, dass er seinen Eintrag selbst geschrieben hat.
wie auch immer, großartiger typ.
Wie immer die Frage /Gibt es Menschen die sich auf sowas freuen und das für Kunst und total deep halten? Bei manch einer mucke will sich ja niemand outen das er sie hört
Die Clips schau ich ganz gerne.
Ich mag eigentlich keine Musik mit Gesang, da meistens belanglos und intellektuell beschränkt. H.GichT stellen eine Ausnahme dar. In jeder Hinsicht absolute Profis.
Sorry, aber ich weigere mich, diesen unerträglichen Schwachsinn zur Kunst hochzustilisieren! Wer sowas hört, hasst Musik!
Unterschreib ich so.
Bin vermutlich einfach zu dumm um darin "Kunst" zu sehen. Aber klar, man kann sich alles irgendwie zurecht reden und die werden sich auch mit Sicherheit IRGENDWAS dabei gedacht haben aber ich weigere mich da irgendwas Positives rein zu interpretieren.
Uff, ist wie ein Typ der dir dauernd in die Fresse boxt. Sehr hart, sehr oft aber immer genau gleich und sehr lieblos dabei...