laut.de-Kritik

Der Gegenentwurf zu kopflosem Eskapismus.

Review von

Hannah Epperson blickt auf ihrem zweiten Album in die Abgründe einer ganzen Generation. Was ist der Unterschied zwischen einem netten Menschen, der sich gesund und nachhaltig ernährt, Yoga macht und einem wirklich guten Menschen? Ihre Erkenntnis: "Ich kenne viele Leute, die nett sind, aber das sind keine guten Menschen. Vancouver ist so nett, so hübsch, jeder macht Yoga und trinkt grüne Smoothies. Aber die Leute wollen nicht mit irgendeiner Art von Kompromiss belästigt werden, der die Dinge wirklich verbessern könnte."

Epperson, in Vancouver aufgewachsen und inzwischen in New York zu Hause, spricht die unangenehmen Dinge an - und klingt dabei mal nach verschrobenem Neo-Folk und dann wieder nach zuckersüßem Pop, bewegt sich ästhetisch also irgendwo zwischen Joanna Newsom und Julia Holter. Anstatt einer Harfe - wie bei Ersterer - ist aber die Geige ihr Instrument. Dieser entlockt sie eine vielfältige Variation an Tönen, melodisches Zupfen ebenso wie schräges Geschrammel. Diese beiden musikalischen Seiten sind bereits in der Konzeption von "Slowdown" angelegt: Eigentlich enthält das Album nur fünf Songs, die aber jeweils in zwei verschiedenen Varianten existieren.

Als erstes steht dort eine Pop-Seite, auf die der leisere, fast klassisch arrangierte zweite Teil folgt. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob diese im Grunde fünf Songs ausreichend Stoff für ein Album bieten. Doch Epperson bedient sich mittels dieser Zweiteilung eines erzählerischen Kniffs: Die Texte sind je aus der Erzählperspektiven zweier extrem unterschiedlicher Charaktere verfasst. Zunächst tritt die eher selbstbewusst wirkende, umtriebige, unbändige Amelia auf den Plan (passend deshalb auch die eher poppigen Songs), dann die zurückhaltende, reflektierte Iris.

Ihre Perspektiven treffen sich in einer dritten Person, einem jungen Mann, der sich von der Welt entfremdet hat. So tritt dann auch das zentrale Anliegen von "Slowdown" hervor: In einer Welt, in der sich die Menschen immer schneller bewegen, kommt es nur noch selten zu Momenten des Innehaltens, des Sichberührens, so dass wir uns alle zwangsläufig voneinander entfernen.

Epperson beschreibt genau solche Momente der Entfremdung, aber auch solche der Begegnung. Die Lösung, die uns die Kanadierin anbietet, heißt Entschleunigung. Und dieses Loslassen fühlt sich wunderschön an: "We're shapes without form, shades without colour / here we are, walking with nowhere to go", singt Epperson zu einem weiten Geigenteppich in "40 Numbers (Amelia)", dem Mittelpunkt des Albums. Hier wirkt Epperson auch physisch sehr präsent, ergriffen, verstört, weil sie zwischen dem Singen der einzelnen Zeilen hörbar um Luft ringt, um anschließend ihre leicht kratzigen Töne hervorzubringen.

Ja, Epperson hat Spaß am Spiel mit folkartiger Leichtigkeit und melancholischer Tiefe, am Spiel mit der Sehnsucht nach dem Natürlichen. Mit profanem Hippietum hat "Slowdown" deshalb nichts zu tun. Vielmehr ist das Album ein äußerst klug ausgearbeitetes Werk, das immer genau weiß, wann leise oder psychedelische Töne angebracht sind und dabei ebenso ein Gespür für eingängige Melodien besitzt. Das hier ist ernst gemeintes Aussteigertum – und kein kopfloser Eskapismus.

Trackliste

  1. 1. 20/20 (Amelia)
  2. 2. Cat's Cradle (Amelia)
  3. 3. We Will Host A Party (Amelia)
  4. 4. Tell The Kids (Amelia)
  5. 5. 40 Numbers (Amelia)
  6. 6. 40 Numbers (Iris)
  7. 7. Tell The Kids It's Gonna Be Alright (Iris)
  8. 8. We Will Host A Party (Iris)
  9. 9. Cat's Cradle (Iris)
  10. 10. 20/20 (Iris)

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