laut.de-Kritik
Die zeitlosen Synthesizer- und Schlagzeugträume des Monsieur Séquenceur.
Review von Kerstin KratochwillAls Drummer der Krautrock-Band Ashra, Mitmusiker des deutschen Pioniers der so genannten Kosmischen Musik Klaus Schulze und eine Weile auch am Schlagzeug einer damals unbekannten Truppe namens Scorpions ist Harald Grosskopf ab Ende der 1960er Jahre gut in der deutschen Avandgarde-Musiklandschaft vernetzt. Bis heute ist er an über hundert Alben beteiligt, etwa Joachim Witts Debütalbum "Silberblick" von 1980 mit dem Hit "Goldener Reiter", bei dem er mitspielt.
Ebenfalls im Jahr 1980 wechselte er für sein Solo-Debüt das Instrument. Der Albumtitel "Synthesist" verrät es schon, Sequencer und Synthesizer sind ab nun die Hauptprotagonisten. Auf diesem Erstling finden sich acht instrumentale Kompositionen, die Grosskopf überwiegend alleine einspielt und die geradezu schwebend wirken.
Die von Synths und Schlagzeug getragenen Melodien erinnern an die frühen Arbeiten von Kraftwerk, aber auch an Italo-Disco-Inspirationen wie von Giorgio Moroder, Dark-Ambient-Werke von Steve Roach, die Sounds seiner Berliner Elektronikfreunde wie etwa Klaus Schulze oder Tangerine Dream und auch an die "kosmischen" Sessions und Weltraum-Space-Rock-Erkundungen der frühen siebziger Jahre. Sie haben aber eine individuelle, geradezu luftige bis heitere Klangfarbe.
Auch deshalb gilt "Synthesist" weltweit unter den Liebhabern elektronischer Musik längst als Klassiker, der an eine aufregende musikalische Ära erinnert und auch in diesem Jahrtausend noch aktuell klingt. Vor zehn Jahren vom Label Bureau B wieder veröffentlicht, fand Grosskopf endlich die Aufmerksamkeit, die sein Sound verdient. Zum 40. Jubiläum kam noch eine Cover-Compilation zum Album heraus, auf dem unter anderem Thorsten Quesching (heutiger Kopf von Tangerine Dream), Kreidler oder Camera dem Synth-Pionier Tribut zollten. Zwischen der Originalaufnahme und den neuen Versionen eröffnet "Synthesist" so eine schier endlos hörbare Einführung in Grosskopfs Musik, die damit auch gleichzeitig einen faszinierenden Einblick in den Klang einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes bietet – und diese gleichermaßen transzendiert.
"So weit, so gut" möchte man meinen, und so lautet auch der Opener-Titel des Albums, das technisch ein Meisterwerk ist. Grosskopfs Grundidee, mehrere Sequenzen parallel laufen zu lassen, stellten sich jedoch anfangs als schwierig heraus, der MIDI-Standard war schließlich noch nicht erfunden. Aufgenommen in der Wohnung eines Freundes in Krefeld hatte er einen Minimoog, einen primitiven Sequenzer, einen 8-Spur-Reel-to-Reel-Recorder und viel Zeit allein. Ein Bekannter half schließlich Spezialkabel zu löten, und so konnte auf dem 8-Spur-Gerät eine Spur zur Synchronisation genutzt werden, um somit die Sequenzer zu steuern. Dem Klang der Tracks verlieh diese Notlösung jedoch ihren bemerkenswerten Charakter. Ohne klassische Strophe-Refrain-Struktur ausgestattet, lässt einen ihr elektrischer Puls und ihre pop-freundliche Melodie dennoch mitsummen und die komplexe Musik bekommt eine schwebende, luftige Qualität, die stets in Bewegung scheint sowie zusammenfließt und die faszinierenden analogen Strukturen hervorhebt.
Dieses Jahr wird Grosskopf 75 Jahre alt und blickt auf sein Musikerleben in seiner vor Storys und Erinnerung übersprudelnder Autobiographie namens "Monsieur Séquenceur" zurück. So nannte ihn 1976 ein französisches Musikmagazin in Anspielung auf seine Schlagzeugbegleitung zum Moog-Sequenzer von Klaus Schulze auf dem Album "Moondawn". Ein schöner Anlass, noch einmal "Synthesist" aufzulegen und in den kosmisch-krautigen Synth-Träumen des Monsieur Séquenceur mitzufliegen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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