laut.de-Kritik
Ein neuer Release der legendären Krautrockband.
Review von Daniel StraubAllein schon die die Umstände, die zu dieser Aufnahme geführt haben sind eine Anekdote wert. In der niedersächsischen Provinz nahe der Rattenfänger-Stadt Hameln gibt am 23. März 1974 die Band Harmonia ein Konzert. Ort des Geschehens ist der Penny Station Club im Dorf Griessem. Vor rund 50 Zuhörern spielt das Trio seinen improvisierten Mix aus psychedelischem Rock und elektronischer Experimentiererei. Irgendjemand schneidet das Konzert mit. Mehr als 30 Jahre später werden die fünf Stücke veröffentlicht.
Inzwischen zählen Harmonia illustre Musiker wie Aphex Twin und David Bowie zu ihrer Fanschar. Heute sind Harmonia einer der wichtigsten Vertreter eines Genres, das vor allem in Großbritannien für Aufsehen sorgte und dort auf den Namen Krautrock getauft wurde. Und während die bekanntesten Krautrock-Vertreter bei uns durch die Provinz tingelten, konnte es in England passieren, dass sie ganze Hallen füllten. Neu!, Faust, Cluster und die frühen Kraftwerk waren allesamt Teil dieser spezifisch deutschen und düsteren Rockkultur.
Harmonia wurden 1973 von Michael Rother, Dieter Mobius und Hans-Joachim Roedelius gegründet und bestand bis 1976. Rother war währenddessen zudem Teil des Duos Neu!. Mobius und Roedelius spielten bei Cluster. Dass die Band heute legendär ist, verdankt sie ihren beiden Albumveröffentlichungen "Musik Von Harmonia" und "Deluxe". Auf "Harmonia Live 1974" sind fünf lange Improvisationen mit bis zu 17 Minuten Spielzeit zu hören, die sich auf keinem der Alben finden.
Mit ihren stoischen Rhythmus-Patterns nehmen Harmonia hier vorweg, was Rother ein Jahr später mit dem letzten Album seiner Band Neu! weiter perfektioniert. Hypnotische Percussionelemente und unaufdringliche Improvisationen auf Gitarre und frühen elektronischen Orgeln prägen den Charakter der Stücke. Die zart eingeflochtene Dynamik dient als regulierendes Element im Improvisationsflow. Sie weist einzelnen Elementen jeweils die Lead-Funktion zu.
Der scheinbar endlose Groove der Band und der Einsatz elektronischer Klangerzeuger haben in späteren Jahren wesentlich zum Kultstatus von Harmonia beigetragen. Eine direkte Linie führt vom Krautrock zu Industrial-Bands wie Throbbing Gristle, SPK und Coil. Später haben viele Technoproduzenten Anknüpfungspunkte an diese spezielle deutsche Variante des Rock entdeckt. Diese wird am 27. November im Berliner Haus der Kulturen der Welt für einmal wiederbelebt: Harmonia treten 30 Jahre nach ihrem letzten Livekonzert noch einmal auf.
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