laut.de-Kritik
Zwischen kauziger Eigenbrötlerei und echter Verneigung.
Review von Toni HennigDie Veröffentlichung der letzten richtigen Jazz-Platte Helge Schneiders namens "Heart Attack No. 1", die gemeinsam mit Pete York entstand, liegt vier Jahre zurück. Die kam oftmals ohne den Schabernack des selbsternannten "Music-Clowns" aus. Vorigen Sommer kündigte er ein Klavieralbum "ohne Quatsch" an. Dass man seine Aussagen nicht immer für bare Münze nehmen sollte, verdeutlicht nun "Die Reaktion - The Last Jazz Vol. II".
Das nimmt zwar im Untertitel Bezug auf seine 1987er-Scheibe "The Last Jazz", hat aber nicht nur Jazz zu bieten, sondern auch Blues, Klassik, Schneider-typischen Nonsens und ein kurzes Hörspiel. Bis auf zwei hat sich der 65-Jährige alle Nummern selbst spontan einfallen lassen und so gut wie alle Instrumente nacheinander alleine eingespielt. Nur im von Tadd Dameron komponierten "The Tadd Walk" sitzt sein elfjähriger Sohn Charlie 'The Flash' an den Drums.
In "Das Alte Klavier" spielt sich der Mann aus dem Ruhrpott mit beschwingten Akkorden am alten Klavier kurz warm, um mit "Der Pabst" die erste Blödel-Attacke folgen zu lassen. In dem Stück singt er zu abgehangenen Blues-Klängen davon, dass der Papst "gar nicht in die Eisdiele gehen" kann, "ohne erkannt zu werden", da er "weltberühmt" ist. Dafür liest er "sehr interessante Bücher". "Genau das hat er" Helge "am Telefon gesagt". Immerhin ist man jetzt um eine interessante Erkenntnis reicher.
Leichtfüßig wie in einem Edgar Wallace-Streifen geht es später in "Mann Ohne Gesicht" zu, wenn ein "Mann ohne Gesicht" in einem "Paket", das er aus einem "Schließfach" am "Bahnhof“ herausholt, "sein Gesicht" findet. Davor und danach lassen sich jedoch auch künstlerische Ansätze ausmachen.
In "Astral Houdini" kommt zu melancholisch jazzigen Pianotönen eine gedämpfte Trompete zum Einsatz. Trompetensounds vernimmt man auch zu torkelnden Rhythmen in "Großstadtgemecker", flankiert von wilden Saxofon-Klängen. Dieses Torkelnde, das sich immer etwas schrullig und neben der Spur anhört und wahrscheinlich nur so in Mühlheim an der Ruhr entstehen kann, zog sich auch schon durch "The Last Jazz". Nur hatte man es auf der Platte mit Jazz-Standards zu tun. Auf der spielte Helge auch mal was von John Coltrane.
Diesmal findet seine Verehrung für den US-Amerikaner ihren Niederschlag in zwei Eigenkompositionen. In "Bluebird Flying In The Sky" entfacht der Mann aus dem Ruhrpott mit swingenden Schlagzeug-, federnden Bass-, gesetzten Klavier- und klagenden Saxofon-Klängen die Magie, die die Musik 'Tranes' so besonders machte. "Interstellare Begegnung" verweist mit wilden und verspielten Sounds auf die kosmische Spätphase des Saxofonisten. Dazwischen gibt es mit "Spinett (Am Strand)" zu barocken Spinett-Tönen einen Abgesang auf den Selbstoptimierungsdrang in unserer Zeit und mit "Mondscheinelise" einen simulierten Hustenanfall zu den Klängen Ludwig van Beethovens.
Klassischen Tönen begegnet man auch in der zweiten Hälfte immer wieder. In "Helge Schneider Spielt Verschollene Werke Von Bach Und Händel" und "Variationen Auf Händels Verschollene Aufzeichnungen Aus Halle An Der Saale" widmet sich Helge verschollenen barocken Werken und Aufzeichnungen, die es nie gegeben hat und versucht, sich in das strenge Kompositionsschema Bachs und Händels hineinzuversetzen. Dabei hinterlässt er alles andere als einen schlechten Eindruck, verliert er doch bei aller Strenge und Gesetztheit nie das Gefühlvolle aus den Augen.
Primär steht jedoch Schneiders abseitiger Humor im Vordergrund. In "Silver Hammond Dreams" hört sich die Orgel des Mittsechzigers so schrullig an wie eh und je. In "Nordic Walking (Hörspiel)" spricht er unter seinem Alter Ego Klaus mit seinem Kumpel darüber, wie er "mit Nordic Walking" die Schallgrenze "dorchbrochen" hat. "Les Baguettes" wirkt wie ein Tom Waits-Instrumental, das sich musikalisch versehentlich nach Frankreich verirrt hat.
Als Highlight kristallisiert sich noch das bereits erwähnte "The Tadd Walk" heraus, swingen doch die Rhythmen federleicht vor sich hin, während Helge immer wieder verquere solistische Akzente an der Trompete und am Saxofon setzt.
Letzten Endes schlägt Schneider mit "Die Reaktion - The Last Jazz Vol. II" erfolgreich die Brücke zwischen kauziger Eigenbrötlerei und echter Verneigung. Man sollte ihn daher nicht einzig und allein auf die Rolle des "Music-Clowns" reduzieren. Zumal seine bemerkenswerten Fähigkeiten als Multiinstrumentalist, der verschiedenste Instrumente souverän beherrscht, und sein überaus breites stilistisches Repertoire zwischen E- und U-Musik hervorragend zur Geltung kommen. Eine reine Jazz-Platte darf es irgendwann aber trotzdem mal wieder sein.
2 Kommentare
Judging by his taste in clothing he seems to be a really cool guy.
Live natürlich dope as fuck, aber auf Platte fehlt mir leider gerade bei den Instrumentalstücken der komplette Charme.