laut.de-Kritik

Eine Stimme, die so klingt, wie Til Schweigers Gesicht aussieht.

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Nicht erst seit diesem Album ist der ehemalige H-Blockx-Sänger Henning Wehland bestrebt, Konsenskost für alle zu köcheln. Er mixt Rap-Metal in "Heiße Liebe" mit Rock'n'Roll, Surf und einer Soul-Bridge für all die, die es nicht zu hart mögen. Währenddessen springt Wehland mühelos zwischen Saufgelagen als "der Letzte an der Bar" und Fridays For Future-Demos hin und her.

Er findet, dass nicht die Worte von Politikern den Planeten retten, sondern seine eigenen. Glaubt ihm jemand nicht, dann ist es ihm "scheißegal". So macht er seine Position klar, Bruder, Schwester, Mutti. Die "Mudda" spielt neben dem Wachtmeister eine der Hauptrollen im "Gesetz Der Toleranz". Denn "Mama sagt: 'Du, Bubi, du'" in "Dububidu". Das hat nichts mit Dub zu tun, obwohl sonst fast alle Musikrichtungen auf dem Album ihren Platz finden, außer Dub und Klassik. Wobei "S.O.S. (Wir Haben 'Ne Situation)" tatsächlich den Bombast eines Klassik-Soundtracks auffährt. Inhaltlich liefert die Platte Anti-Rechts-Fragmente und Lippenbekenntnisse pro Klima für CabriofahrerInnen, während Wehlands Stimme im Vergleich zum Vorgänger eintönig und schwachbrüstig klingt. Der Everlast-Touch von 2017 ist verflogen, übrig bleibt eine Stimme, die so klingt, wie Til Schweigers Gesicht aussieht.

In "ABBA War Immer Dabei", einer indifferenten Alternative-Country-Electro-Rock-Nummer, wird "aber" zu ABBA, so wie in "Dububidu" "Bubi" zu "Buppi" wird. Armin aus der "Sendung mit der Maus" würde sagen: "Das war Norddeutsch." Gleichwohl der Albumtitel "Gesetz Der Toleranz" etwas unter die Räder kommt, beeindruckt die illustre Aufzählung deutscher Städtenamen. Die Mühe, diese Liste anhand von Vorfällen rassistischer oder sexistischer Gewalt zusammenzustellen, ist respektabel: "Rostock, Künzell, Mölln, Chemnitz, Mülheim, Duisburg und Köln, Berlin, Hamburg, Cuxhaven, Iserlohn!". Mit der Nennung scheint's aber getan: Wehland bemüht sich nicht um ergänzende Aussagen. Das Album könnte auch "#metoo" heißen, gemäß der Zeile "Haben wir denn keine Mädels mehr? Die Menschheit stirbt aus!" Ein weiterer denkbarer Albumtitel wäre "#wirsindmehr". Wobei sich die Frage stellt, ob respektvolle Menschen flexibel genug sind, ihre Mitmenschen wie er "Spack in der Gosse" zu nennen.

Auch zwei Klassiker-Figuren der Weltliteratur tauchen auf. Aus Peter Pan wird "Peter Punker": "Er hat anderthalb Freunde, für die er blind über Glas geht." Linke, die Punks verspotten, sind selten, aber Wehland ist eben nicht irgendein Linker. Er weiß genau: "Klatschen Kann Jeder", und er kann mehr. Entsprechend begeistert ist auch die Polizei, wenn "der Wachtmeister schreit, 'Wie geil seid ihr denn drauf?!'" (aus "Es Brennt Noch Licht In Der Stadt"). So redet die Polizei in der Welt des Peter Punker. Zumindest, bis Münchhausen auf Bomben reitet.

Klare Messages seien ihm wichtig, so das Söhne Mannheims-Bandmitglied gegenüber der News-Agentur Spot On News: "Ich glaube, das ist für mich persönlich, aber auch für die Menschen, die ich beeinflussen will, enorm wichtig." Moment - die Menschen, die er beeinflussen will. Finden etwas wichtig. Weil er sie beeinflusst. Nach dieser tiefschürfenden Begründung, die man auch Tautologie nennt, findet man eine weitere Botschaft auf diesem Niveau in "Hinter Meinem Rücken": "Leckt mich alle mal am Arsch."

Die minimalen Wechsel der Tonhöhen im fortwährenden Melodieverlauf flankiert der Sänger mit einem maximalen Wechsel zwischen zahllosen politischen und persönlichen Themen. Die diversen Musikstile verleimt er eher stillos mit "Sekundenkleber, damit ich den Moment fest halt". Womöglich gefällt der Mutti die Pladde vom Buppi.

Trackliste

  1. 1. Es Brennt Noch Licht In Der Stadt
  2. 2. Heiße Liebe
  3. 3. Klatschen Kann Jeder
  4. 4. Lass Das Licht An (Wenn Du Gehst)
  5. 5. Hinter Meinem Rücken
  6. 6. Peter Punker
  7. 7. ABBA War Immer Dabei
  8. 8. Dububidu
  9. 9. S.O.S. (Wir Haben 'Ne Situation)
  10. 10. Segelboot
  11. 11. Nackt Im Regen
  12. 12. Scharlatankomplex

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