laut.de-Kritik
Südamerikanischer Prog mit ganz eigener Dramaturgie.
Review von Manuel BergerLetztes Mal ging es um Steine. Jetzt sind die Vögel dran. Die Naturesoterikschiene hat es Homínido angetan. Und sie entlockt ihnen auch auf Album Nummer zwei facettenreiche Jazz-Prog-Rock-Kompositionen.
Der größte Unterschied, den die Chilenen im Vergleich zum Debüt "Estirpe Lítica" präsentieren, ist der Wechsel am Mikro. Dort steht nicht mehr Eliana Valenzuela, sondern Javier Briceño. Dessen Job geht zwar in Ordnung, im Duell mit seiner Vorgängerin fehlt ihm allerdings doch einiges an Ausstrahlung. Seine besten Momente hat er in der Ballade "Fio Fio". Die glänzt vor allem durch ihre Trompetenmelodien und die leise im Hintergrund (auch mal mit Pizzicato) agierenden Streicher.
Homínido setzen auf "Alados" vor allem auf entspannten, träumerischen Prog, der dem spirituellen Kontext zugute kommt. Ausbrüche gibt es nichtsdestotrotz. Bisweilen schrammen die Riffs auch nah am Metal vorbei. Und gleich der Opener "Tenca" wartet mit einer durchgehenden Steigerung auf, die schließlich in fulminantem Bläserhöhepunkt gipfelt. An entsprechender Stelle wünscht man sich, die Produktion würde mit der Durchschlagskraft der Instrumente mitziehen. Aber gut, das liebe Geld: "Alados" ist selbst produziert, die Band verschuldete sich dafür, um es umsetzen zu können.
Kern des Sounds Homínidos ist wie schon beim Debüt die Rhythmusarbeit Rodrigo Gonzáles Meras. Erneut greift er auf eine Vielzahl perkussiver Instrumente zurück, schraubt so das südamerikanische Volksmusik-Barometer nach oben. Ein Höhepunkt stellt sein Drumsolo in "Queltehue" dar. Überhaupt zählt der Achtminüter zu den stärksten und abwechslungsreichsten Tracks des Albums.
Auch "Loica" dominiert zunächst Mera mit treibendem Tom-Beat, der bald von tiefen Streichern, Native-Chor und Trommeln unterstützt wird. Der Track entpuppt sich zunächst als Rhythmusbombe, deren Führung aber bald schon an Gitarrist Pablo Cárcamo übergeht. Erst ebenfalls im Dienst des Rhythmus, im zweiten Teil jedoch in Form eines Solos, das ab der Hälfte noch eine Bläsermelodie doppelt.
Das Problem: Die angesprochenen Höhepunkte sind insgesamt leider zu rar gesät. Es ist ein bisschen wie bei Wagner: "Alados" hat geniale Momente, aber lange "Viertelstunden". Immer wieder ertappt man sich dabei, dass man die letzten Minuten unaufmerksam verschlafen hat, bis einen der nächste Aha-Moment weckt. Dahingehend funktionierte "Estirpe Lítica" deutlich besser. Was auch am Sängerwechsel liegen mag.
Nichtsdestotrotz ist "Alados" das Hören wert. Zumal Homínido weiterhin in ihrer ganz eigenen Nische des Prog unterwegs sind. Das liegt teils an ihrer Herkunft, teils auch einfach daran, dass ihre Kompositionen Wendungen und Dramaturgie besitzen, die man so nicht unbedingt kennt. Und ich bin gespannt welche Humananalogie nach Steinen und Vögeln beim nächsten Album ansteht.
Noch keine Kommentare