laut.de-Kritik

Trübsinnig und pseudotraurig: die englischen Unheilig.

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Die große Geste beherrschen nur wenige, denn der Übermut und Pomp, der bei anderen Musikern übertrieben wirkt, macht verletzlich. Die Grenzen zwischen Harlekin, Cheerleader, Zirkusdirektor und traurigem Clown sind fließend und dünn; Meister dieser Klasse mäandern mühelos vom einen in die andere Stage, andere haben ihr festes Revier gefunden und beherrschen es nach Belieben. Theo Hutchcraft und Adam Anderson wirkten 2010 so, als hätten sie mit ihrem unterkühlten Gary-Numan-Auftreten, konterkariert mit den pathetischsten Songs seit Wagner, eine eigene Nische gefunden. Nur ersetzt der Auftritt nicht das Songwriting und alles nach dem Hurts-Debüt "Happiness" machte einen einfach nicht froh.

Daran knüpft "Faith" an, zwischenzeitliche Soundöffnungen sind vergessen, es regieren die Synthies und der Trübsinn. Dieser stellt sich dann auch beim Hörer ein, denn der Anfangstrack "Voices" schreit einen an als Mischung aus Alexander Lemtov aus Will Ferrells ESC-Film und Alt-J – das hört sich leider spannender an, als der Song dann wirklich ist: Ein ESC-Song für eine dystopische Welt, den könnte 2021 die belarussische Exilopposition einreichen. Das nächste Stichwort sitzt ebenfalls: "Suffer" fühlt sich zumindest an wie Arbeit. Der Kaputte-Kaffeemaschinen-Bass am Anfang ist nett, aber zu wenig konsequent. Der ganze Song wirkt halbstark, wie ein Depeche Mode-Cover der Schulband der 11b. Wenn ich ein Lied "Suffer" nenne, reicht der Sound einer kaputten Kaffeemaschine halt nicht, da muss ganz anderes passieren. Jedes Mal, wenn Hutchcraft "I feel" singt, denkt man sich unwillkürlich: wirklich?

"Fractured" versucht, anders zu sein, gerät dabei aber völlig auf die schiefe Bahn. Hört sich an wie Nick von den Backstreet Boys, der Ty Dolla $ign nachmacht, dazu kommt dann ein B-Demo-Beat von Disclosure. Unfreiwillig komisch, dringende Hörempfehlung. Dann geht es aufwärts: "Slave To Your Love" ist um Längen besser, befreiter, weniger verkrampft. Die große Geste bleibt, aber sie bekommt etwas dynamisches im Stile der Manic Street Preachers, was vor allem an der tollen Bridge liegt, die selbstbewusst Raum einnehmen kann. Überhaupt, Platz: Das wirklich gute "White Horses" (eine heimliche Hommage) ist nach "Slave To Your Love" der zweitlängste Song und Hurts geben sich auf diesen beiden Tracks selber den Platz, den sie dann auch souverän füllen. Die Chöre von "White Horses" sind cheesy, die Struktur ist monoton, und doch geht der Song auf, da Dynamik drin ist und der Beat passt.

Genau dieses Zusammenspiel findet ansonsten nicht statt. Eine fade Nummer wie "All I Have To Give" holt 2020 niemanden hinter dem Ofen vor. "Liar", das eigentlich keine Erwähnung wert ist, das ebenso schreckliche "Redemption" mit unerträglicher Keyboardgeige zum Schluss und schlussendlich noch "Numb", gefühlt ein Bootleg einer frühen Duran Duran-Single, in der mehrere Soundspuren fehlen. Die Powerpopballade "Somebody" hat man so schon mehrere tausend Mal gehört, das hatte Andersons Keyboard wahrscheinlich vom Werk vorprogrammiert.

"Faith" fällt düsterer aus als "Desire", aber leider auch deutlich oberflächlicher. Hurts geraten endgültig in die Rolle der englischen Unheilig mit ihrer dämlichen pseudotraurigen Erbauungslyrik, die sich mit genau nichts wirklich befasst. Die H-Blockx konnten vor 30 Jahren auch kein Englisch, machten das aber kaum schlechter als Hurts. Beispielhafte Versatzsprachstücke aus dem fürchterlichen "Darkest Hour": "In your darkest hour / I will light the way / I will help you cope / through the hardest days."

Sänger Hutchcraft hält sich nach so vielen Jahren als Musiker immer noch damit auf, möglichst gleich voluminös und bedeutungsschwanger zu singen; in einer Welt, in der Samuel T. Herring es ihm doch eigentlich netterweise vormacht, wie es ginge. Überhaupt können Del Rey und Chelsea Wolfe exzessiv düster eh besser. Hurts fühlen sich sichtbar unwohl in ihrer Noir-Haut und werfen sich den nassen Lappen erneut über, anstatt konsequent eine neue Schale zu suchen, die 2020 für sie besser passt.

Trackliste

  1. 1. Voices
  2. 2. Suffer
  3. 3. Fractured
  4. 4. Slave To Your Love
  5. 5. All I Have To Give
  6. 6. Liar
  7. 7. Somebody
  8. 8. Numb
  9. 9. Redemption
  10. 10. White Horses
  11. 11. Darkest Hour

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