laut.de-Kritik
Die Männer aus Bristol rumpeln hart, aber herzlich.
Review von Jasmin Lütz"All you need is love", war ein Hit der Beatles. "All is love" heißt es bei den Idles. Die Männer aus Bristol rumpeln hart, aber herzlich. Im letzten Jahr erschien ihr Debüt "Brutalism" und haute schon so manche Kritiker vom Hocker. Seitdem sind sie weltweit ununterbrochen auf Konzertreise. Zwischen den Live-Shows und der intensiven Social Media Präsenz gibt es nun ein zweites Album. "Joy As An Act Of Resistance". Und diese krachenden, emotionalen Power-Hits toppen noch einmal den Vorgänger und blasen einem ordentlich das Hirn frei.
Der Opener "Colossus" schleicht sich langsam an. Fast schon minimalistisch das Klopfen am Trommelrand. Ist das jetzt Jazz oder die Ruhe nach dem Sturm? Keineswegs, der Rockbrocken steigert sich zum ekstatischen Wutausbruch.
Sänger Joe Talbot und seine schwer schuftende Kapelle können kaum Luft holen, denn da geht es schon in die zweite Runde mit "Never Fight A Man With A Perm". Ah, da ist er wieder, der gute alte Rumpel-Punk aus Bristol. Talbot liefert schlagfertig Zeile für Zeile und lässt seinem Gegenüber keine Chance zur Gegenargumentation: "You are a catalogue plastic Sinatra, a try-hard. Should have tried harder". Dynamik wie bei einem Boxkampf, nur ohne Schläge, abgesehen von der wilden Trommelarbeit von Schlagzeuger Jon Beavies. Dazu die schweißtreibende Gitarren-Brause der Saitentänzer Mark Bowen und Lee Kiernan und die volle Dröhnung Bass von Adam Devonshire. Es ist eine verbale Schlacht zwischen Gewalt, Liebe, Verlust und Freundschaft.
Talbot braucht meist nur einen Satz, der alle Emotionen vereint. "This snowflake is an avalanche." Wer braucht schon Typen, die für das Vereinte Königreich töten: "I don't care about the next James Bond. He kills for country, queen and god. We don’t need another murderous toff, I'm just wondering where the high street's gone. Cause I’m scum. I’m scum." ("I'm Scum").
Auf der Bühne sind sie die rauen Kerle, verschwitzt, laut und immer wieder wütend in Bewegung. Aber es mischt sich auch eine Verletzlichkeit hinzu. Sänger Joe weiß, wie man durch Stimme und Mimik, seine Meinung zum Ausdruck bringt. Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht ein bisschen beängstigend. Dennoch gibt es keinen Grund sich zu fürchten. Die wollen nur spielen und beißen sich emotional in deinem Herzen fest. "Samaritans" entblößt die Männlichkeit. Harte Schale, weicher Kern. Maske runter und Emotionen zeigen. "I'm a real boy and I cry." Da funktioniert Joe auch mal kurz Katy Perrys Hit-Zeile um: "I kissed a boy and I liked it." Danke!
Eingängige Melodien, Rotzgesang, Punkrock-Rhythmus und immer wieder große Liebes-Hymnen. So breitet sich auch "Danny Nedelko" im Herzen aus. Ein ganz spezielles Lied für Freund und Einwanderer Danny, der ursprünglich aus der Ukraine stammt. Für mehr Solidarität gegenüber Immigranten. Noch persönlicher wird es mit "June". In der sensiblen Ballade singt Talbot über die Totgeburt seiner Tochter. Und das ist nicht seine erste schmerzliche Konfrontation mit dem Arschloch Tod. Den Verlust seiner Mutter, die er eine Zeit lang gepflegt hat, bevor sie starb, verarbeitete er bereits im Erstlingswerk "Brutalism".
Man ist frustriert und der Brexshit ist Realität. Sie verabscheuen Homophobie und Fremdenhass ("Great"). Immer laut und noch lauter für alle Idioten, die es nicht verstehen wollen. "Joy As An Act Of Resistance", der Titel der Platte steht für Mut zum Optimismus. Kommunikation ist alles und auch der Zusammenhalt innerhalb der Band ist eine Herzensangelegenheit. Talbot erlebt diesen, besonders, als es ihm richtig dreckig geht. Diese Liebe, den Halt und die Harmonie bekommen auch die Fans zu spüren.
Der Festival-Sommer ist zwar vorbei, aber die Konzerte gehen weiter. Daher ist es Pflicht, sich mindestens einmal im Leben von Idles anbrüllen zu lassen. Neben Sleaford Mods sind sie aktuell die beste Band aus England und live ein wahnsinniges Vergnügen. Egal ob mit Bier oder Kakao (Sänger Joe offenbarte auf Tour seine Liebe zur Schokomilch). Support your Lieblingsband. No Idles for assholes!
1 Kommentar
Jasmin Lütz wühlt gar nicht in der Musikgeschichte, für sie sind die Idles die großartigen Idles. Im Oevre der Band ist 70s BritPunk, 80s Nörgelei wie bei The Fall, und als junges Gift Textarbeit, ehrlich bis auf die Haut, persönlich, politisch, satirisch zu nennen. Das prächtigste Pfund dieses Albums ist seine Herzhaftigkeit, die Kunst, ohne Peinlichkeit von sich selbst zu erzählen in maßgeschneiderten musikalischen Brettern.
Wir haben 2018 mit Mark E. Smith (The Fall) und Pete Shelley (The Buzzcocks) die beiden humorvollsten und frechsten Musiker als Satiriker und Kritiker innerhalb und außerhalb des Punk-Genres verloren und fügen uns dankbar dem Genuß dieses Albums, seinem Zorn und seiner Zärtlichkeit, das für manche das Album des Jahres 2018 sein wird.