laut.de-Kritik

Rasta-Hymnen für die Ewigkeit.

Review von

Die Liner Notes zur selbstbetitelten Debüt-EP "Ini Kamoze" verfasst der Hotstepper selbst. Er betont, dass er alles selbst schreibe und die Songs persönlich arrangiere. Alles komme, selbst wenn es Kunst sei, ganz natürlich aus dem Herzen heraus, denn er sei ein 'Heartist' - kein 'Artist' im Sinne von 'Entertainment'. Zu dieser Zeit textet Kamoze auch Gedichte und Theaterstücke. Sein Gespür für Wortkaskaden mit einem sehr smoothen Lauf zeichnet all sein Material aus. Auch wer kein native speaker ist, fühlt die Vibes seiner Reime, den proklamierenden Witz und die Unmittelbarkeit in seinen Lyrics, da sich viel von deren Herzblut in die Musik, in den Sprachrhythmus der Songs überträgt. So ist "Statement" ein perfekter, zutreffender Titel für den ersten richtigen Longplayer.

Dessen wesentliches Stilmittel ist die Wiederholung gepaart mit Übertreibung. Wenn Kamoze die Polizei ruft in "Call The Police", dann wirkt das makaber für jemanden, der gerade eine Vergangenheit als Drogendealer hat. Doch die Dringlichkeit des Rufs nach der Polizei ist eine ironische: Sie muss kommen, weil ein Musiker mit einem neuen Stil aufwartet, der "suspect" wirkt.

Irgendwo an der Ecke von "R and B", dort sollen die Einsatzkräfte hin kommen, und Kamoze wiederholt "Calling all stars / Calling all stars", ein Funkspruch direkt an den Satelliten zwischen den Himmelsgestirnen, denn "This is an emergency". Achtung Herr Kommissar, ein schwerer Schlag steht bevor, "I'm about to make a hit". Und Kamoze hat vollkommen Recht, nur dass es bis zu seinem wirklich großen Hit "Here Comes The Hotstepper" noch ein ganzes Jahrzehnt dauern soll.

"Statement" ist die idealtypische Blaupause des Rub-a-Dub, einer Bassline-getränkten und immer eine Spur beschwipst anmutender Fortführung des Roots Reggae der 1970er. "Statement" ist bei weitem nicht die erste Scheibe in dieser Richtung, aber eine mit sehr langlebigen Songs und eine, in der die Lyrik so wichtig wie bei einer Rap-Platte ist. "Statement" behauptet sich zwar als Statement, ist aber eine erfolglose LP.

Heute sieht man sie als Klassiker, weil jüngere Artists sie geadelt haben. Heute sieht man das kommerzielle Potenzial, weil Kamoze später durch die Decke ging. Heute erkennt man die irren Grooves der Scheibe, weil immer weniger Leute diese fetten Rub-a-Dub-Bässe drauf haben, weil wiederum immer mehr Reggae und Dancehall am Laptop und in flachem mp3 produziert wird. Heute versteht man, dass das Zusammenspiel aus Kamozes Stimme und Sly & Robbies vielschichtigem Drum & Bass-Treiben eine zeitlose Klangästhetik hat, die eigentlich Vinyl erfordert, um zur Geltung zu kommen. Heute verehrt man das Material, weil Robbie Shakespeare nun tot ist und jetzt klar wird, wie früher in Jamaika Newcomer gefördert wurden.

Und nicht nur das, Bob Dylan, Grace Jones, Joan Armatrading, mit wem kooperierten Sly & Robbie in jenen Jahren Anfang der '80er nicht alles? Ini Kamoze befand sich im Fahrwasser einer großen Sache, der 'Offbeatisierung' der internationalen Rock- und Pop-Musik.

Und daher scheint es aus seiner Sicht sonnenklar: "I'm going to make a hit, yeah". Während er da so die Polizei ruft, wiederholt, unablässig, da rub-a-dubbt er ganz trocken: "We analyze / like a computer". Computer waren 1984 ganz klar eine Sache für große Firmen und für Reiche, aber umgekehrt machten Synthesizer-Sequencing und Casio-Keyboards das Produzieren von Musik für die Allgemeinheit erschwinglicher und computerisierten den Dancehall-Trend, was damals in der Welle von Lone Ranger bis Lieutenant Stitchie zu einer schrägen und durchaus angesagten Auslegung dieser Musiksorte führte. So wie wenn wir heute gewissen Synthpop von 1984 hören und gleich bestimmte Pullover-Muster vor Augen haben, so war der Mainstream werdende Sound jamaikanischer Tanzschuppen so wie die '80er eben waren: Kultig und peinlich zugleich, und manche guten Hymnen waren darunter und überlebten die Mode.

Der Taxi Gang um Sly & Robbie kam sowas nicht ins Haus. Deren Kombination aus den Synths von Robbie Lyn plus organischer Band war zwar teurer, aber amortisierte sich durch Gigs in England, den USA und Afrika. So blieben die Taxi-Leute schön bei der analogen Wärme, und mit Island sorgte der damals größte Player für Rasta-Tonträger für die Verbreitung. Was sie nicht auf der Rechnung hatten: Kamoze war überhaupt keine Rampensau, ein schüchterner Kerl im Grunde, der sich nur dann traut etwas zu sagen, wenn er eine Geschichte mit fix genieteten Reimen im Taktmaß zu erzählen hat. Auf LP überzeugte das, zu Interviews kam es nie, zu einem echten Video-Clip nur einmal ("Listen Me Tic"), wenn man davon absieht, dass zwei Songs es sowieso in Filme hinein schafften, und bei dem einen Mal blieb die Sonnenbrille fest auf der Nase des sich unbeholfen und lustlos vor der Kamera wogenden Artists. Nur als Geschichtenerzähler, da war Ini der größte.

Noch ein anderer Track auf "Statement" bringt die Polizei und Staatsgewalt mit ins Spiel, wenn in "Babylon, Babylon" das "investigation department" tätig wird. In dem Song geht es um eine eifersüchtige Freundin, die mit Misstrauen und Schnüffelei alle Romantik kaputt crasht. "Put away your weapon / cause that soft to I", rät der männliche Protagonist ihr, sie soll ihre Waffe fallen lassen, "level yu vibes", sich selbst kontrollieren, und das Spiel vom Karma, vom Geben und Nehmen, lernen: "Everything you giving / that shall you receive", mal für einen Tag nett sein und sich etwas Schönem zuwenden, denn "Learn that how you live / Is how you die". So wie man lebt, stirbt man. Bämm.

Solche Zeilen sind die typischen Kamoze-Classics, das Leben in acht Silben auf den Punkt gebracht. Die Präferenz für einsilbige Wörter macht die Sprache seiner Songs wohl so dynamisch und ragga-mäßig herunter ratterbar. Wenn das Versmaß mal nicht aufging, führte das aber zu den besten Momenten, so in "Don't single me out as the worst offender" ("Call The Police") - Kamoze machte mit dem Twang in seiner Stimme alles passend, egal ob es Takt-rechnerisch passte. Zeilen wie "Jump off my stool outa mi corner" knallen so perkussiv, dass sie wie ein Schlagzeug brettern, oder auch "Exterminating the plagues and the pests" ("Taxi For Me", "Plagen und Pest ausrotten") oder "Get it on the double its emergency".

Da der Sänger Bilder beim Singen vor Augen hat, kommt den Stücken eine enorme Lebendigkeit zu. In "England Be Nice" heißt es etwa "I was the cook in a ya kitchen", "ich war dein Koch in deiner Küche", ein Frontalangriff auf die Queen. Klar kann man andere Länder kolonialisieren, wenn man die militärische Macht hat. Man kann deren Territorien zum eigenen Grundstück erklären, da mögen britische Häuser mit britischen Küchen draufstehen, aber in denen wird karibische Kultur gekocht. Das alltägliche Leben und das Brauchtum, das kann man nur mit enormer Mühe kolonialisieren, gerade weil sich in der lokalen Küche die Eigenständigkeit und die Erinnerung ans kulturelle Erbe ausleben lässt.

"England Be Nice" rechnet auf bissige Art mit der Kolonialstruktur ab, Protoje leitet daraus das Cover "Kingston Be Wise" mit neuem Text ab, das 2013 ins gleiche Horn stößt und dem Meister Props gibt: "I'm living I-N-I like I'm Mister Kamoze" - "Ich lebe in spiritueller Einheit mit Gott, als wär' ich Herr Kamoze." Jamaika ist seit 1962 keine Kolonie mehr, aber es gibt eine privilegierte scharf abgegrenzte Oberschicht aus Verwaltungsleuten, Wirtschaftsbossen, Clan-Strippenziehern, Politikern und Presse. Was sie zusammen schweißt, ist Schmiergeld.

Ini vermerkte 1984 sarkastisch: "I gave you the lion on your shilling". Das UK bedruckte sein Kleingeld, indem es dem schnöden Mammon hinterher lief. Löwenhaften Stolz lehrten erst die unterdrückten Rastas die versnobten Engländer. "Klare Sprache, mit Message!", würdigt Jahcoustix, deutscher Roots-Künstler mit umfassenden Kenntnissen des Reggae der '80er, und sagt uns: "Jeder, der sich mit dem Genre auskennt, weiß schon, was der Typ da für 'ne Rolle gespielt hat. Er war 'one of the forefathers', er hat alle, die danach kamen, inspiriert."

Es sind gestalterische Details wie die steif tönenden Glocken des Londoner Big Ben, die ins Intro des Tracks "England Be Nice" gemischt sind, die aufhorchen lassen. Die Sprungfedern in den Grooves von "Call The Police" injizieren eine in die Hüften schraubende Hypnotik und weisen eine gewisse Nähe zu den Talking Heads auf. Warum diese Musik in ihrer Gleichmäßigkeit so gern für abstraktere minimalistische Elektronik zur Basis wurde, erklärt sich wohl damit, dass sie sich für lange Wiederholungen eignet, was in den Twelve Inch- und Taxi Gang-Live-Fassungen mit Weltklasse-Soundeffekten in epischer Breite erprobt wurde; so auch bei "Call The Police". Und nicht nur die Polizei wird gerufen, auch ein Taxi - klar das Label hieß ja sogar 'Taxi'! "Taxi For Me" kann trommlerisch als Sly Dunbar-Meisterwerk gelten.

Sly und Robbie wirkten damals auch an "Night Nurse" von Gregory Isaacs mit, und sie wenden dieselbe Technik hier an: Dass Schlagzeug und Bass space-artiges Eigenleben entfalten müssen, bis zu dem Punkt, dass das Musikbett ohne Gesang funktionieren würde. Im Funk-Pop "I Want It Ital" spielt das Taxi Gang-Team mit Echos, aber auch dem Verschwimmen von Klangschärfe, gedehnt wie Wellpappe. Die Soundfarbe ähnelt nicht zufällig der von Grace Jones an, haben Dunbar und Shakespeare doch auch bei ihr zu jener Zeit die Finger mit ihm Spiel.

Doch Ini Kamoze vergeigte seine Karriere. Warum eigentlich, war nicht zu recherchieren. Auf Social Media nicht präsent, ein Kollege auf der Insel versucht seit Jahren einen Kontakt anzubahnen, doch der Künstler scheint abgetaucht. Vielleicht war es das Surreale, mit manchen Songs wirklich Gehör zu finden und sich international einen Namen zu machen, das in seinem Kopf nicht 'funktionierte'. Viele Jamaikaner träumen bis heute den ganz großen American Dream, vom Soundcloud-Uploader zum nächsten Bob oder Buju, aber geschafft haben es in letzter Zeit nur zwei äußerst untypische junge Frauen bis zur EP oder LP mit weltweiter Resonanz.

Und da es so selten passiert mit dem Ruhm und dem Ausbrechen aus dem Insel-Kokon, fehlen irgendwann auch Glauben und Selbstbewusstsein. Da ist dieses schlechte Gewissen, der fehlende eigene Wert, zumal angesichts von Kamozes Milieu als Kind, das beim Opa aufwuchs, weil keiner den Knaben haben wollte, und der Opa wollte ihn auch nur, wenn der Junge mal studiert und viel Geld verdient. Danach sah es 1984 wahrlich nicht aus, als der Sänger mit 26 die 'Rhythm Twins' für seine kruden Poesien einspannte. Gut dass wenigstens die Generation von Jah9, Jesse Royal, Samory-I, Chronixx und Co. den Stellenwert des Künstlers immer wieder würdigt, auf die alten Riddims neue Texte singt, sich die lyrische Prägnanz zum Vorbild nimmt und sich von den eingängigen, bassgesättigten und originellen Stücken inspirieren lässt.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Settle With Me
  2. 2. Babylon, Babylon
  3. 3. I Want It Ital
  4. 4. Jump For Jah
  5. 5. Call The Police
  6. 6. Taxi For Me
  7. 7. England Be Nice
  8. 8. Live A Little Love

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