laut.de-Kritik
Rebel Rebel Rüttenscheid.
Review von Michael SchuhSie kommen aus Essen, führen ein Zweitprojekt, das den Namen Düsseldorf mitführt, singen aber von Schalke. Es war absehbar, dass das irgendwann nicht mehr gut geht. International Music sind drei Jahre nach dem "Ententraum" aufgewacht, und präsentieren Eingeweihten einen Albumtitel, der ein Loblied singt auf ihre Heimat, dort wo alles begann, in der Kneipe, im Nebel. Nur nicht auf der Konzertbühne, denn ihr erster Auftritt fand nicht in besagtem Essener Stadtteil statt. Aber solche Details sind fortan unwichtig. "Come on home, komm mit heim", singen sie. Endless Rüttenscheid, "Europa Endlos" will man im Geiste ergänzen, aber jene Heimatliebenden kommen ja wiederum aus Düsseldorf.
Man muss nicht lange drumherum reden, als Süddeutscher ist einem Rüttenscheid kein Begriff. Fußball-Fans kennen maximal Wattenscheid und dann höchstens noch Katernberg, wegen Helmut Rahn. Geschichten aus der Vergangenheit. Essen ist nach dem Strukturwandel nicht mehr die graue Stadt der rauchenden Schlote, sondern vielmehr ein "Guter Ort" zu leben, behaupten International Music, halten aber auch fest: "Hier ist keiner, der lang bleibt."
Wie immer bleibt es der Fantasie der Zuhörenden überlassen, die abstrakte Vieldeutigkeit ihrer Texte zu entschlüsseln. Wo will man leben, baut sich einem als Grundsatzfrage auf, ist es vielleicht woanders schöner, should I stay or should I go? Der Song selbst ist jedenfalls die größte musikalische Überraschung der Platte und mixt knallende NDW-Beats mit angedeuteten Ska-Licks, schönen perkussiven Störgeräuschen und dem gewohnten Harmonie-Schönklang der IM-Goldkehlchen.
"Ententraum" platzte mitten in die Pandemie als voluminöses Sci-Fi-Rock-Monstrum vor dem Herrn und führte teilweise weg von der minimalistischen Ausgestaltung des Debüts. "Endless Rüttenscheid" klingt nun weniger wie ein "Ententraum"-Nachfolger als wie ein Bindeglied zwischen diesen zwei Alben. Die außerweltlichen Roboterstimmen sind verschwunden, auch die überbordende Tracklist, erstmals begnügen sich International Music mit branchenüblichen zwölf Songs. Geblieben ist ihr soghaft-mitreißender Zwirbelrock, der nun auf dem eigenen, neu gegründeten Label erscheint: Timeless Melancholic Music.
Und ebenso empfangen sie auch mit dem herrlich wummernden "Kraut", der wohl schönsten Velvet Underground-Reminiszenz ("I Can't Stand It") ihrer Laufbahn. Pedro gelingt sogar das Kunststück, in den Strophen noch gelangweilter zu klingen als Lou Reed. Eingebettet in eine abermals fette O.L.A.F. Opal-Produktion, die besonders in anschwellenden Noise- Momenten oder Chor-Effekten, etwa im Refrain sowie der "Come on home / Stay with me"-Coda, verzaubert. Schon ab hier kann eigentlich nichts mehr schief gehen.
Doch als reine Animateure der guten Laune wollen Pedro, Peter und Joel auch nicht angesehen werden, nur weil sie mit dem ansteckenden "Guter Ort" oder dem mit psychedelischem Hurra ausgestatteten "Liebesformular" nun auch waschechte Radio-Hits schreiben. Wo es eben noch lustig zuging, kann es schnell bierernst werden (siehe Cover), und mit diesem Wissen zieht einen "Fehler" mit überraschend fiesem Doom-Riff in einen tiefen Schlund.
Der Song handelt von Zwängen, denen jeder Mensch ausgesetzt ist, die zähen Strophen klingen wie ein eng anliegendes Korsett, das die Band im Refrain wuchtig durchbricht: "Ich hab' keine Worte mehr / Melodien ziehen vor mir her" ist einer der großen Lyric-Momente der Platte, der volle Gitarrensound überwältigend und doch nur vorbereitend auf den nächsten Screamo-Oneliner: "Ich mach' mir nichts vor / this house ain't got no door". Da ist sie wieder, die undurchschaubare Arrangement-Brillanz des Ententraums. Der wunderbare Beatles-Schönklang "Karma Karma" hätte ebenfalls auf den Vorgänger gepasst, doch danach geht's ab auf quälende "Kieselwege".
Der Song funktioniert technisch umgekehrt wie der "Fehler": Luftige Gitarren und ein fröhlicher Mantragesang erhellen die Strophen, anders lassen sich missliebige Kieselwege halt nicht ertragen. Erst im Refrain bremst einen dann eine Riffwalze aus, sie planiert sozusagen den unebenen Weg und die Band halluziniert von einer Party, und "ob da noch was geht." Dieses Spiel mit Gegensätzen und Erwartungshaltungen zeichnet die Band aus und hält ihr Konzept weiterhin spannend. So vollendet man etwa die Zeile "Ich frage mich seit Tagen schon, was ist denn das?" unwillkürlich mit "Drei Chinesen mit dem Kontrabass". Dies dürfte ganz nach dem Geschmack der vermeintlichen Flamenco-Comedians sein, als die das Trio auf dem Albumcover in Erscheinung tritt. Selbst eine Art Blockflötensolo fügt sich am Ende wunderbar ein.
An das legendäre Trio denkt man wiederum im kurzen Zwischenstück "International Heat", wenn langezogene "Ja Jaaaaa"-Chöre an das "Ja Ja Ja" der Remmler-Truppe erinnern. Schön zu sehen, dass sich der Dada-Minimalismus der Helden aus Großenkneten heute in Gestalt von International Music mit bereits drei tollen Alben langlebiger gestaltet als je erhofft.
Im zärtlichen Titelsong leisten sie kurz Abbitte: "Ich bin weggegangen, kannst du mir verzeihen?", danach wird es philosophisch: "Grenzen werden Übergänge sein." So verhält es sich in jedem Fall im Bezug auf die musikalischen Zutaten, denn die Essener vermengen wieder unnachahmlich Kraut-, Soft- und Psychedelic Rock zu einem spinnerten Faszinosum. Ebenfalls timeless melancholic und schwermütig gerät die "Mont St. Michel (Reprise)", eine Art Unpluggedversion des "Besten Jahre"-Originals.
Mit "Im Sommer Bin Ich Dein König" bekommen wir außerdem endlich die romantische Antwort auf Blurs "This Is A Low" - ist Peter nicht ohnehin schon unser Graham Coxon? Mit ihrer speziellen Metrik und generell den Texten, die immer neue Assoziationsräume öffnen, stehen International Music weiterhin wie ein Fels in der deutschen Musiklandschaft. Auch wenn sich das einem Beatsteaks-Festivalpublikum vielleicht spontan nicht erschließt.
Auf "Endless Rüttenscheid" findet man mal wieder keinen schlechten Song, dafür haufenweise Denkanstöße in abwechselnd filigranen wie überbordenden Songkonstrukten. Ein entschlacktes Destillat ihrer besten Momente, ja fast schon ihre erste Best-Of-Platte. Kauf dir ein Bier und zieh es dir rein! Rebel Rebel Rüttenscheid!
10 Kommentare mit 14 Antworten
Nach den ersten drei Sätzen war ich mir eigentlich sicher, dass es mir nicht gefallen kann, aber ich glaube, das gefällt mir.
Muss ich mal etwas ausgiebiger hören.
Habe lange mit International Music gefremdelt. Über das Nebenprojekt Düsseldorf Düsterboys habe ich aber dann den Zugang zu deren wundervoll verqueren Humor gefunden und nun bin ich Fan.
Einfach nur Liebe für die Boys ♥
"Guter Ort" läuft bei fluxfm rauf und runter. Starker Song, erinnert mich ein an Drangsal.
klingt nach schlager
Rüttenscheid ist voll lame so...
saugut