laut.de-Kritik

Je rauer, desto mehr Isolation.

Review von

Plötzlich und ohne Vorwarnung steht der gute Freund, mit dem man bis vor zwei Jahren um die Häuser zog und jedes Problem bereden konnte, wieder vor einem. "Na, wie gehts denn so?" - "Ja, gut. Und selbst?" - "Ja, habe jetzt ein Kind." - "Toll, ich einen Hund." - "Hmhm - "Ja, muss dann mal weiter." - "Super, dich gesehen zu haben. Meld' mich." Wir wissen beide, dass das nicht geschehen wird. Zurück bleiben nur ein leeres Gefühl und die Erinnerung an die guten Zeiten.

Ähnlich verhält es sich mit "Vergifte Dich" von Isolation Berlin und mir. Ihre ersten EPs, auf "Berliner Schule / Protopop" zusammengefasst, und das Debüt "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" liefen auf Dauerrepeat. Nun fremdeln wir plötzlich und finden nicht mehr so recht zusammen. Dabei ist doch alles noch so, wie es die Band vor zwei Jahren hinterlassen hat.

Vielleicht ist dies ein Teil des Problems. Wir haben uns auseinandergelebt. Auf "Vergifte Dich" haben Isolation Berlin nur wenig Neues zu erzählen. Die wenigen ungestümen Songs, die es auf den Longplayer schafften, wirken etwas rauer, die vielen Schunkelballaden schunklen noch mehr, der Pessismismus zieht an, und das war es dann auch fast schon. Feintuning, bei dem es nicht gelingt, an Songs wie "Isolation Berlin", "Alles Grau", "Fahr Weg" oder "Schlachtensee" anzuschließen. Ein wirklich schlechtes Stück findet sich zwar nicht, doch der Großteil fließt vorbei, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Zu den herausstechenden Liedern zählt der reichlich vertraut klingende Opener "Serotonin". Eine Art Element Of Crime-Song ohne Trompete, aber auch ohne die Texttiefe eines Sven Regeners, auch wenn sich Sänger Tobias Bamborschke redlich bemüht. "Wenn du mich suchst, du findest mich am Pfandflaschenautomat / Da hol' ich mir zurück, was mir gehört." Eine Richtung, die die meisten Stücke, wie etwa "Antimaterie" und das größtenteils nur von einer Akustikgitarre begleitete "Vergeben Heißt Nicht Vergessen", weitergehen und darin langsam verebben.

"Marie" setzt nach "Annabelle" und "Lisa" die Vornamen-Reise fort. Der bittersüße Pop-Hit sticht dank seiner Eingängigkeit aus dem Longplayer hervor und schrammt nur wegen des rauen Umfelds, Bamborschkes Gesang, der Produktion und gestelzten Textzeilen wie "Deine Augen blinzeln in das Licht meiner Erkenntnis" am Kitsch vorbei. Das funktioniert dieses eine Mal, lässt aber bedrohliche Schatten einer Zukunft aufziehen, in der sich die gemäßigten Isolation Berlin entschließen, es ruhiger anzugehen und nur noch solche Songs zu schreiben. Bitte, lasst es niemals so weit kommen!

Am besten funktionieren die Berliner eben doch, wenn sich ihre Wut und ihr Pessimismus wie in "Wenn Ich Eins Hasse, Dann Ist Das Mein Leben" tief in die Musik fressen. Wenn sich Max Bauers Gitarre gegen die Wände des Titelstücks wirft, während die Dramaturgie die Schnur um den Hals langsam zuzieht. "Hast du Angst, dich zu erschießen / Möchtest du kein Blut vergießen / Vergifte dich / Ich mach' auch mit / Rauschgift."

Je rauer, desto mehr Isolation. Eben jenen Sound, der sich gegen Ende des Longplayers mit dem DAF-Minimalismus paart und so doch noch zaghaft neue Einflüsse und Inspiration zulässt. So zeigen die beiden kürzesten Stücke "Die Leute" und vor allem das voranstampfende "Kicks" einen anderen Weg in die Zukunft der Band auf. Bassist David Specht und Schlagzeuger Simeon Cöster liefern das tanzbare Grundgerüst, Bauer schürt darüber an, und Bamborschke reduziert sich selbst auf das Wesentliche. Bitte, lasst es so weit kommen!

Trackliste

  1. 1. Serotonin
  2. 2. Vergifte Dich
  3. 3. Wenn Ich Eins Hasse, Dann Ist Das Mein Leben
  4. 4. Melchiors Traum
  5. 5. Vergeben Heißt Nicht Vergessen
  6. 6. Marie
  7. 7. Antimaterie
  8. 8. In Deinen Armen
  9. 9. Die Leute
  10. 10. Kicks
  11. 11. Mir Träumte

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