24. April 2009

"Auf der Straße fängst du bei Null an"

Interview geführt von

Die Münchner Band Jamaram steht seit dem Debüt "Kalahassi" von 2004 für eine unvergleichbare Mischung aus Reggae, Latin, Ska und vielen anderen Einflüssen. Im Rahmen ihres Auftritts im Konstanzer Kulturladen gab Drummer Murxen Alberti ein recht spontanes Interview.Als wir die Kula-Bar betreten, sitzen alle Bandmitglieder entspannt an der Theke und begrüßen uns sehr herzlich. Von Gitarrist Sam Hopf erfahren wir, dass wir das Interview mit Drummer und Sprachrohr Murxen Alberti halten werden.

Nachdem Support-Act Sara Lugo den Backstage-Raum verlassen hat, kann es losgehen. Auch hier herrscht durch und durch lockere und entspannte Stimmung - schnell wird klar, dass Murxen ein sympathischer und ausführlich erzählender Interviewpartner ist.

Was ist denn euer primäres Ziel bei euren Konzerten? Was wollt ihr beim Publikum erreichen?

Wir wollen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich kenne das selber von mir: Bei guten Konzerten gehe ich nach Hause und kann noch wochenlang davon zehren, bin auf einer Welle geflogen mit der Band und mit der Musik und komme dann erst mal wochenlang nicht runter. Ich habe eine Energie die ich dann mitnehme. Das ist nicht nur bei Musik so sondern auch bei Ereignissen, die dir gut tun. Wenn du es schaffst, dein Publikum so mitzureißen, dass es noch ein, zwei Wochen lang davon zehren kann und diese positive Energie mitnimmt, dann hast du das geschafft, was wir jeden Abend versuchen.

Wie habt ihr am Anfang eurer Karriere die Aufmerksamkeit von Labels und der Öffentlichkeit erlangt?

Wir haben gespielt ohne Ende. Wir haben eigentlich mehr öffentlich gespielt als wir selbst geprobt haben. Wir hatten zwar einen Bandraum aber es gab immer so eine Open Stage in Herrsching, dort haben wir auch direkt gewohnt, und da haben wir einfach jeden Abend gespielt. Einfach für uns aber auch für die Leute. Sobald wir ein paar Songs hatten, haben wir ein paar JUZ-Gigs gespielt, auf Privatfeiern, auf kleinen Festivals. Wir haben uns den Arsch abgespielt. Irgendwann wird man natürlich auch besser und kommt nicht umhin, dass auch mal Leute dabei sind, die sagen: "Hey, das find ich gut. Lass uns mal 'ne Platte aufnehmen!". 2004 als wir "Kalahassi" aufgenommen haben, sind wir selbst gar nicht so richtig darauf gekommen. Da hat uns Chris Pössinger von Soulfire Artists angesprochen und gesagt: "Nehmt doch mal ne CD auf, wie wär's denn?". Er hat uns dann dazu gebracht und wir hatten auch gleich die Möglichkeit, die erste richtige CD, die wir aufgenommen haben gleich in die Läden zu stellen weil er einen Deal mit Rough Trade hatte. Es gehört ein bisschen Glück dazu, aber auch Durchhaltevermögen.

Wie du gesagt hast: Ihr spielt sehr viel und habt die letzten Jahre praktisch andauernd Konzerte gegeben, über 100 pro Jahr. Was motiviert euch denn immer wieder dazu?

Dieses Durchhaltevermögen, was ich eben angesprochen habe, ist das wichtigste. Auch in der Band. Du streitest dich natürlich die ganze Zeit, immer wieder streiten wir uns. Da geht es dann darum, zu sagen: "Okay, das war jetzt ein Streit aber das, was wir alle zusammen haben, nämlich die Band und ein Ziel: die Band nach vorne zu pushen, ist das wichtigste". Und da musst du jeden privaten Streit hinten anstellen, es geht mir darum, dass die Band super ist und deswegen mache ich das weiter. Es gibt tatsächlich viele Bands, die mit uns angefangen haben, die auch super waren, aber nach drei, vier Jahren getrennte Wege gegangen sind. Wir haben es halt immer durchgezogen - bis jetzt. Und deswegen gibt es uns auch überhaupt: Weil wir einfach des Bedürfnis haben und wissen, dass es das allergeilste ist, diese Band zu machen.

Ihr seid ja mittlerweile auf dem Chiemsee Reggae Summer oder auch als Reamonn-Support vor Tausenden Leuten aufgetreten. Habt ihr denn trotzdem noch Lust, in der Fußgängerzone zu spielen?

Ja, klar, auf jeden Fall! Immer wenn wir eine neue CD rausgebracht haben, haben wir eine Straßenmusik-Tournee gemacht. Einfach auch, um uns selbst auszuprobieren. Es ist auch ein Herausforderung, denn du spielst da vor Leuten, vor denen hast du noch nie gespielt und die würden auch nie auf dein Konzert kommen. Das sind dann alte Leute, kleine Kinder oder Familien, die nie in einen Club kommen würden, um dein Konzert zu besuchen. Aber du musst dich auf der Straße vor denen behaupten, sie beeindrucken und dein Bestes geben. Und deswegen ist eine der härtesten und besten Übungen für alle Bands, auf der Straße zu spielen und da die Leute zu begeistern. Und da ist es völlig egal, ob du davor schon vor Tausenden Leuten gespielt hast oder nicht. Die Prüfung fängt immer wieder bei Null an.

"Es gibt nichts Schlimmeres, als einfach nur ziellos weiterzumachen."

Ihr müsst nebenher noch jobben für euren Lebensunterhalt ...

Wir sind acht Leute in der Band. Und ein Tontechniker, Tourmanagement und eine Busmiete, die du bezahlen musst. Wenn wir zu viert wären, könnten wir unser Leben vielleicht davon finanzieren aber zu zwölft geht's einfach nicht. Da sind wir froh wenn ab und zu mal die Miete drin ist aber man muss ja auch noch was essen. Und deswegen hat jeder von uns Jobs. Der Nik [Percussion] ist Webdesigner, der Benni [Bass] ist Musiklehrer und auch selbst Veranstalter, der Sam [Gitarre] ist seit neuestem Moderator, der Franzis [Trompete] studiert noch Musik, unser Sänger Tom ist Musiklehrer, ich bin Schauspieler ... Das ist für die meisten von uns natürlich so eine riesen Grätsche, denn du spielst 120 Konzerte, du macht einen Videodreh, du machst ein neues Album und bist eigentlich total eingebunden, aber gleichzeitig musst du noch versuchen, Geld zu verdienen, und deswegen ist es eigentlich ein Respekt an uns alle, dass wir das so schaffen. (lacht)

Peilt ihr für eure Karriere noch bestimmte Ziele an oder spielt ihr einfach nur drauf los, um besser zu werden?

Man muss schon gezielt besser werden. Es geht darum, dass man schaut, wo man hin möchte. Das sieht man auch an anderen Bands. Du siehst ja z.B. viele Bands, wenn du auf Festivals spielst und siehst, dass die noch um einiges fetter sind als wir und denkst dir dann: "Warum sind die fetter? Was machen die anders, was machen die besser? Haben die einfach mehr geübt?". Dann entwickelst du dich weiter und schaust, was deine Ziele sind. Es gibt glaube ich nichts Schlimmeres, als einfach nur ziellos weiterzumachen. Es ist auch für mich persönlich als Musiker wichtig. Wenn ich jedes Jahr die gleichen Clubs abgrasen und auf der Stelle treten würde, würde das zwar laufen, aber es wäre kein neuer Anspruch für mich da. Deswegen versuche ich schon immer, für mich selbst besser zu werden, mit der Band besser zu werden und sich dadurch einfach weiter zu entwickeln und dadurch immer größere Gigs zu spielen und noch mehr rumzukommen. Das ist alles so ein Kreislauf.

Ihr macht zwar sehr vielseitige Musik, werdet aber dennoch zur deutschen Reggaeszene gezählt. Was haltet ihr denn persönlich von der Szene bzw. euren Kollegen?

Die Szene ist ja mittlerweile auch sehr vielseitig. Es gibt natürlich die klassischen Reggaebands, die auch diesen religiösen Background haben - da zählen wir uns nicht dazu -, die wirklich über "Jah Rastafari" singen.

Jahcoustix z.B.?

Jahcoustix kennen wir persönlich ziemlich gut, der singt zwar darüber, aber ist jetzt auch nicht unbedingt der religiöseste Mensch, den ich kenne. Was kann ich da für Namen nennen? Es gibt viele Bands, die Conscious-Lyrics haben. (Bandmitglieder machen Vorschläge). Uwe Banton, Ganjaman, Yah Meek, Conscious Fire,... Es gibt viele Bands. Die Musik finde ich super, einwandfrei, mit den Texten kann ich mich nicht so sehr identifizieren. Und ich finde es okay, dass wir in den Reggae einsortiert werden, obwohl wir eigentlich mehr machen. Es ist ein bisschen schwierig bei uns, ich hab' mich heute Nachmittag z.B. darüber beschwert, dass wir total schwierig auf Festivals kommen wie Summerjam, Bersenbrück Reggae Jam usw. Das sind Festivals, die haben sich auf Reggae spezialisiert und sagen dann "Jamaram ist ja gar kein Reggae", und nehmen lieber Uwe Banton zum achten Mal. Auf der anderen Seite bin auch ganz froh drüber, denn dann können wir wiederum auf Festivals spielen, auf denen Uwe Banton niemals spielen würde. Einerseits profitieren wir davon, nicht nur Reggae zu machen, was uns ja auch Spaß macht, und andererseits haben wir es natürlich auch ein bisschen schwerer, weil man uns nicht in eine Schublade hereinbetonieren kann.

Ihr habt seit in paar Wochen eine neue CD draußen. Was kannst du dazu sagen?

Es ist grandios, ihr müsst sie euch sofort kaufen. (lacht) Denn es ist unser erstes Livealbum und wir haben das eigentlich nur gemacht, weil alle immer danach geschrieen haben. Sonst hätten wir einfach ein neues Studioalbum gemacht. Aber alle haben immer gesagt: "Jaa, das dritte Album ist auch schon ziemlich gut, aber live seid ihr halt einfach nochmal 'ne Nummer geiler". Und unser neues Live-Album geht von der ersten bis zur letzten Minute total auf's Maul. Du kriegst genau das, was du vielleicht auf unseren Studioplatten vermisst hast: Das Live-Feeling - Jamaram Live. Und deswegen lohnt es sich sehr, die sich zu holen.

"Irgendetwas hat man richtig gemacht und das ist schön zu sehen."

Neben eurer musikalischen Tätigkeit seid ihr auch sozial sehr engagiert. Wie seid ihr dazu gekommen, als Band Hilfsprojekte für Afrika zu unterstützen?

Ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde: Eine gute Freundin von uns, Caro, war schon immer sehr engagiert, schon vor uns. Sie hat das angeleiert. Sie hat Kinder in Aids-Waisenhäusern unterstützt und hat uns dann gefragt ob wir da Paten werden wollen. Wir sind jetzt jedenfalls Pate von dem Verein "Go Ahead!". Wir unterstützen ein Projekt in Südafrika und eins in Uganda, wo wir auch schon einen Monat waren und uns das angeschaut haben. Wir haben halt gemerkt, dass es für uns als Musiker, die jedes Wochenende zwei oder drei Konzerte spielen, ziemlich einfach ist, so etwas zu unterstützen. Wir geben einfach ein Kasse im Publikum herum, jeder von den 300, 400 Leuten gibt einen Euro rein und dann hast du jede Menge Geld. Das ist da unten noch viel mehr Wert als hier. Hier tut es niemandem weh, und dort rettet es einfach so manche Existenz. Es ist einfach schön, wenn man das so locker von der Hand machen und organisieren kann und deswegen ziehen wir das jetzt seit zwei Jahren durch. Wir haben auch schon ein ganzes Vorschulhaus mitfinanziert, in dem jetzt ca. 30, 40 Kinder Essen und Lehrer bekommen. Das ist für uns super und für die dort erst recht.

Wie du erwähnt hast, ihr wart in Uganda. Was waren denn deine Haupteindrücke von diesem Land?

Ich hatte ein bisschen Schiss vor Uganda, denn wenn man aus der westlichen Welt kommt, muss man sich schon auf irgendetwas vorbereiten. Ich war eben einmal in Brasilien und dort hat man nie so richtig Vertrauen fassen können zu den Leuten. Das war in Uganda dann überraschenderweise total anders. Dort gibt es nicht so viel Tourismus. Wer fliegt nach Uganda? Keine Sau. Deswegen waren die Menschen dort nicht so sehr vertraut mit Tourismus und wir waren ja sowieso als Band dort. Da waren die Leute einfach total interessiert und haben nicht die ganze Zeit Geld oder irgendetwas gefordert. Das hatte ich eigentlich erwartet, aber so war es gar nicht. Es war eine super schöne Erfahrung, wir haben super Musiker kennengelernt, wir haben ganz, ganz liebe Menschen kennengelernt und wurden sehr, sehr freundlich aufgenommen. Ich hoffe auch, dass das nicht das letzte Mal war, dass wir da waren, weil in dem Monat viele Freundschaften entstanden sind.

Was habt ihr für die Zukuft geplant? Arbeitet ihr schon an einem neuen Album? Touren? Urlaub?

Kein Urlaub. Wir touren, touren und touren. Und währenddessen wollen wir schon anfangen, neue Songs zu schreiben und uns vorzubereiten auf das neue Album. Es soll im März 2010 herauskommen und wird natürlich noch größer, noch fetter, noch besser. (lacht) Das hoffen wir, auch wenn wir noch keinen Song davon eingespielt haben.

Was war denn der schönste Moment in deiner Bandkarriere?

Immer, wenn ich danach gefragt werde, fällt mir eigentlich nur eine Geschichte ein, und die darf ich nicht erzählen, weil sie nicht von mir ist (Diskussion mit den Bandmitgliedern). Es ist z.B. super schön, wenn du es geschafft hast, mit deiner Band nach Afrika zu fliegen. In Uganda, das war eigentlich auch ein sehr schöner Moment: Wir sind nachts am Flughafen ausgestiegen und wurden von einem kleinen Bus abgeholt, mit dem wir vom Flughafen in die Stadt gefahren sind. Ich habe meinen Augen nicht trauen können, weil an jeder Straßenecke tausende Plakate von uns aufgehängt waren. Du kommst nach Uganda in eine andere Welt und die ganze Stadt Kampala ist mit deinen Plakaten tapeziert. Das war ein super Moment. Wie letzte Woche in München. Wir haben uns eine große Halle gemietet um darin zu spielen: Backstage Werk, dort passen glaube ich 1.300 Leute rein. Und 1.200 Leute waren da, das hätte ich nie gedacht. Deswegen war ich total glücklich, es ging total ab und es war schön. Im Jahr davor waren es dort noch 600, jetzt waren es 1.200. Irgendetwas hat man richtig gemacht, und das ist schön zu sehen.

Mit Murxen Alberti sprach Simon Langemann

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