laut.de-Kritik

James, ich habe heute leider kein #fuck2017 für dich!

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Es gibt schlichtweg keinen Witz über James Blunt, den der Singer/Songwriter nicht selbst schon besser erzählte. "The Afterlove" kündigte er auf Twitter mit den entwaffnenden Worten "If you thought 2016 was bad - I'm releasing an album in 2017" an.

Da hat uns dieser Schlingel aber ganz schön aufs Kreuz gelegt. Sein fünfter Longplayer fällt längst nicht so schlimm wie angedroht aus. Das gehässige Vorjahr sucht demnach weiter händeringend nach einem Bösewicht für seine bisher schale Fortsetzung. James, ich habe heute leider kein #fuck2017 für dich.

Ohne seine Fans all zu sehr zu verschrecken, schenkt Blunt sich auf "The Afterlove" ein leichtes Klangbild-Update. Abgedrehte Avantgarde, Jazz-Experimente oder ein "Achtung Baby" sollte man von ihm nicht verlangen. Dafür schlägt sein Herz zu sehr Pop. Wie im Vorabtrack "Love Me Better" angedeutet, weicht sein bisher organisches Umfeld zeitweise unterkühlter Elektronik.

Dass die neue Ausrichtung nicht immer gelingt und in "California" ("California / Hallelujah") sogar deutlich gegen die Wand fährt, verdeutlichen die Balladen. Je näher sich Blunt diesen nähert und von allem Brimborium ablässt, um so besser funktioniert das Album. Dank seiner immer leicht am Falsett-Gesang kratzenden Stimme erinnert der "Heartbeat"-Refrain angenehm an die späten Bee Gees. "Don't Give Me Those Eyes" trägt deutlich die DNA von Chicagos 1980er-Soft Rock-Balladen ("You're The Inspiration", "Hard To Say I'm Sorry") in sich. Songs, deren Texte jeder anständige Deadpool-Fan als Tattoo auf dem Herzen trägt. Nächste Ausfahrt: Kuschelrock 31.

In "Make Me Better" und dem im Dreivierteltakt schunkelnden "Time Of Our Lives" treffen Schnarchpop-Generationen aufeinander. Gemeinsam mit Ed Sheeran geschrieben, bleiben die beiden Lieder von den elektronischen Spielereien größtenteils unberührt. "Make Me Better" klappt besser, wartet dafür mit der gruseligen Textzeile "So please, my darling / Take this wedding ring" auf. Jesses.

In "Lose My Number" begibt sich Blunt gänzlich in die Hände seines neuen Sounds. Der vollkommene Verzicht auf Gitarre und Klavier beschert ihm eine fluffige Sommer-Nummer. Der aufdringliche Bonus-Track "Over" versucht sich am gleichen Rezept, geht aber komplett in die Binsen.

Gleich zweimal setzt sich Blunt auf "The Afterlove", dessen Cover wie
die Spiegelung der 1995er "Greatest Hits" von Bruce Springsteen aussieht, mit dem Song auseinander, dem er seine unrühmliche Berühmtheit zu verdanken hat: "You're Beautiful". In "Love Me Better" gewinnt die von Twitter vertraute Selbstironie. "Would have said you're beautiful but I've used that line before." Der zurückhaltende Bonus-Track "2005" zeigt eine weitaus traurigere, verletzlichere Seite hinter dem Lächeln. "I woke up this morning / And realized / All I do is apologize / For a song I wrote in 2005."

"The Afterlove" und sein Hauptprotagonist James Blunt sind der Inbegriff von nett. In der ursprünglichen Form freundlich und im Wesen angenehm lösen sich Interpret und Werk von der neumodischen "Die kleine Schwester von Scheiße"-Definition. Einige derbe Ausrutscher nach unten trüben allerdings das Gesamtbild des Albums. Blunt übernimmt weiterhin die Rolle der spaltenden Reizfigur, die einst Phil Collins inne hatte.

Trackliste

  1. 1. Love Me Better
  2. 2. Bartender
  3. 3. Lose My Number
  4. 4. Don't Give Me Those Eyes
  5. 5. Someone Singing Along
  6. 6. California
  7. 7. Make Me Better
  8. 8. Time Of Our Lives
  9. 9. Heartbeat
  10. 10. Paradise
  11. 11. Courtney's Song
  12. 12. 2005
  13. 13. Over

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