laut.de-Kritik
Ein 3-Uhr-Rave im Sommerregen.
Review von Franz MauererSein letztes Album "The Animal Spirits" ist eines dieser Alben, die die eigene Playlist von hinten aufrollen, um dann länger darin zu verweilen als zunächst angenommen. Das war auch notwendig, denn abgesehen vom Soundtrack zu "A Cambodian Spring" und ein oder zwei Kollabo-EPs darbt die Fanschar von James Holden seit sechs Jahren. "Imagine This Is A High Dimensional Space Of All Possibilities" beendet diesen Mangel formell, wird einige Jünger aber nicht ganz saturieren. Der Brite war schon immer ein ganzes Stück vom Dancefloor entfernt, zumindest vom konventionellen. Bei seinen Ausflügen von Psychedelia über alles Elektronische hin zu Jazz blieb er aber zumindest dem schamanistischen Tanzgenuss im Wohnzimmer, und somit einer gewissen Stringenz, verbunden. Hat ihn der avantgardistische Touch stets ausgezeichnet, ist dieser auf "Imagine ..." nun prägend.
Laut James sei es die unverzagte Platte, die er schon als Teenie hätte machen wollen. Diese freie Form merkt man dem Album schnell an, ebenso, dass Holden sich mit Wonne in der eigenen New Age-Gedankenwelt verloren hat. "You Are In A Clearing" hört sich an wie eine – nun ja, wie eine Lichtung, beschränkt sich dabei aber nicht auf den Instrumentenkasten von Ambient, sondern greift mit beiden Händen einerseits aus der Neoklassik, andererseits aus der Erfahrung Holdens mit der Band The Animal Spirits sowie aus seiner Remix- und Club-Vergangenheit. Eine einzige große Collage.
Entsprechend beginnt "Contains Multitudes" wie ein House-Song, biegt dann aber Richtung Sam Gopals Spätwerk ab, kombiniert mit dem bislang bei Holden nicht präsenten Instrument Piano, das er einst jedoch gelernt hat. Dasselbe gilt übrigens für die Violine. Die Platte ist also auch eine Befreiung von selbst gesetzten Limitierungen und allen Erwartungen.
Dennoch gerät "Contains Multitudes", auch das gehört zur Wahrheit, gute drei Minuten zu lang. Holden verliert sich im Mikrogefrickel, es passiert zu wenig. Die falsche Fährte hin zu einer vermeintlichen Tanzbarkeit legt der Brite auf diesem Album gerne und oft, nur befreit das nicht von der Notwendigkeit, der neuen Fährte ein Ziel zu verpassen. Holden versucht sich nie an reinem Ambient, aber nicht jede bedeutungsschwangere Abzweigung von einer tollen Grundidee gibt so viel her, wie er ihr zutraut.
Sehr viele aber eben doch: "Common Land" führt weiter hinab in Holdens Nostalgie zu einer New Age ruralen Ravekultur, die er qua Alter nicht kennt (und die derart idealisiert samt Vogelsamples natürlich auch nie existierte), verliert seinen Beat erst spät und überzeugt mit Synths, die sich mit Saxofon abwechseln. Ein 3-Uhr-Rave mit wenigen Freunden mitten auf einer Wiese im warmen Sommerregen. Der lange konsequent steigernd wirkende Arpeggio "Trust Your Feet" verweigert dem Hörer trotz gekonntem Aufbau jede Katharsis, versöhnt aber durch seine Wärme, Nahbarkeit und Verspieltheit. Holden möchte sichergehen, dass zu diesem Album gelauscht, und nicht etwa im Club getanzt wird.
"The Missing Key" fällt in zwei wunderbare Teile: Ein blubbernder Bass, wie Bällchen, die in einem Trichter um ein enges Loch tanzen, und eine Art Synth-Harfenmelodie, wie sie zu einem verträumten Spiel wie "Botanicula" passen würde. "In The End You'll Know" beginnt zum Weinen schön und wird von da an immer besser, der klare Albumhöhepunkt. Flirren allerorten, eine Melodie zum letzten Hurra, die am Ende würdigt stirbt.
"Continous Revolution" kann trotz flottem Bass und guter Grundidee das Niveau über sechs Minuten nicht ganz halten. Hier hätte Holden den Track auf links drehen müssen, stattdessen darf das an dieser Stelle zu kitschige Keyboard ewig vor sich hin säuseln. "Four Ways Down The Valley" macht es besser, man wähnt sich mit Kinderbeinen auf Waldwegen, immer tiefer im Dickicht. Ungewöhnlich stringent für die Platte: eine Kickdrum. Der Slap-Bass in "Worlds Collide Mountains Form" ist zwar ein cooles Gimmick, der Song hat aber zu wenig Fett am Soundfleisch. Über das Skizzenhafte kommt er nie heraus, hier wäre in der Kombination zwischen Bass, Violine und einem weirden Anflug von Irish Folk mehr drin gewesen.
Ist "Imagine This Is A High Dimensional Space Of All Possibilities" denn nun ein gutes Album? "The Answer Is Yes", der Soundtrack für eine Friedenspfeife zwischen Huronen und Irokesen. "Infinite Fadeout" ist gottlob doch schnell weg, zu fad und konstruiert. Auch "You Can Never Go Back" mag keinen rechten Mehrwert schaffen, schmälert den guten Gesamteindruck aber nur wenig. Ein bemerkenswert forderndes Elektronikalbum, das einen in die Gedankenwelt seines Erschaffers hineinzieht, in diesem Fall in einen illegalen, tagelangen Rave im Haldon Forest der 1980er.
1 Kommentar
Das Album hat mich doch tatsächlich positiv überrascht. Zugänglicher als die Vorgänger, ist Holden hier in meinen Ohren ein Quantensprung gelungen. Five Stars!