laut.de-Kritik

Mit Gitarrenriffs, die so fett klingen, wie Jan Delay aussieht.

Review von

"Seid doch mal ehrlich, ihr seid zwar überhaupt nicht locker / Doch ich weiß, tief in euch drin, wärt ihr doch auch gerne 'n Rocker," gibt der junge Eißfeldt noch auf "Bambule" von sich. Sechzehn lange Jahre hat er gewartet, nun erhebt sich Delay als Rocker-Phönix samt Pommesgabel aus der Asche des Chefstylers.

Aber des Kaisers neue Kleider wollen dem passionierten Anzugträger nicht so recht zu Gesicht stehen. Delay zeigt gruselige Einsichten in das, was ein deutscher Hip Hopper anscheinend unter Rock versteht. "Hammer & Michel" klingt ähnlich authentisch wie ein Rap-Album von Jochen Distelmeyer. Selten haben sich auf einem deutschen Longplayer dermaßen triviale und gelangweilte Gitarrenriffs versammelt, die so fett klingen, wie Jan Delay aussieht. Man möchte ihnen eine Wurststulle schmieren.

Dumpfe, monotone Stampf-Rhythmen, die jede Schülerband in ihren ersten gemeinsamen Tagen im muffeligen Proberaum auf die Reihe bekommt, bestimmen das Bild. Der Altherren-Rock von Leder Maffay bietet mehr Innovation. Dabei wirkt ausgerechnet der Hauptakteur Jan Delay als Fremdkörper. Sobald er mal seine Raffel hält, blüht seine Band mit Wah-Wah-Gitarren und Schweineorgel auf. In "Fick" versucht sich der Gitarrist gar als kleiner Tom Morello, scheitert aber kläglich.

Habe ich Delay früher noch verstanden, nuschelt er sich heute durch die Tracks wie Til Schweiger durch den Hamburger Tatort. "Von allen Augenweide, is' sie Königin, kein Fotoschaum der Welt, kriegt so was schönes hin." ("Sie Kann Nicht Tanzen") Hä? "Valentin für Mintendo mein Nerz immer im November liegt." ("Hertz 4") Was? "Scheiße, Mamamian so viel Liebe an Gebäude." ("Liebe") Bitte? "Tja, ist halt kein Streichelzoo, also wenn du willst dann Leben willst dann Fleischsymbol." ("St. Pauli") Oh Gott, Bitte! Ich verstehe Sie nicht! Vielleicht wäre es Zeit für einen Besuch beim Logopäden, der ihm die Atemblume zeigt und mit dem er beim Sprechen Kreise malt.

Als würde dies noch nicht ausreichen, wirft er noch die große Phrasenschleuder an. "Ich packe meine sieben Sachen", "Die Nacht ist jung", "Da ist noch lange noch nicht Schicht" und "Die Luft um uns 'rum ist elektrisch geladen." Aus einer Kultur kommend, der das Spiel mit der Sprache innewohnt, hat Delay außer miesen Wortspielchen und lieblosen Endreimen nichts zu sagen. "Ich kriege keine Liebe, denn ich bin auf Hertz 4." Na dann, auf Wiederhörnchen.

In der Finsternis leuchtet selbst das kleinste Licht deutlich heller. "Kopfkino", das mit dem Beatles-Klassiker "Dear Prudence" spielt, wartet mit einem erlesenen Basslauf auf, während "Action" munter The Sweets "The Ballroom Blitz" zitiert. Wenn die Orgel funkt und sich Delay von dem Marketingkonzept Rock entfernt, funktioniert "Hammer & Michel" besser und besser. Letztendlich bekommen die Bläser, die er im Video zu "Liebe" noch mit den Worten "Es tut mir leid, es ist eine Rockplatte" des Raumes verwiesen hat, in "Action" doch noch zum Einsatz. Konsequenz war bekanntlich noch nie die Stärke des kleinen Raben Socke.

Liebt Jan Delay in "Liebe" noch die Welt und selbst Uli Hoeneß in Grund und Boden, mag er schon im nächsten Stück weder Remoulade noch "Dicke Kinder". Die sind nämlich allesamt doof und stopfen sich nur mit "Wurst mit Gesicht und dem Käse aus der Tube" voll.

In der leichenblassen "Scorpions-Ballade" imitiert er zwar bis hin zum Rudolf Schenker-Gedächtnis-Solo den Sound der namensgebenden Hannoveraner, aber (ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal je schreibe) kann ihnen in Sachen Songwriting nicht das Wasser reichen. Mit "St. Pauli" findet die Udo Lindenbergisierung von Jan Delay ihren Abschluss. Dabei vergisst er aber einen Aspekt: Udo Lindenberg gibt es bereits. Ein Abziehbildchen benötigt es nicht.

Als echter Hamburger lässt sich Delay das Feiern natürlich trotzdem nicht verbieten. So schwofen seine Helden, auch wenn sie es nicht können, in "Sie Kann Nicht Tanzen" oder "St.Pauli" durch das Nachtleben. "Denn im Großen und im Ganzen, ham' wir allen Grund zum Tanzen." Da gibt es nur ein Problem: Ein echter Rocker tanzt nicht! Er steht zum Ganzjahresgrinch erstarrt und missmutig dreinschauend in der Nähe der Tanzfläche und hält eine Bierflasche in der Hand. So.

Das weiß Jan Delay freilich nicht, denn er ist kein Rocker, er imitiert auf "Hammer & Michel" nur das, was er für Rock hält. Wenn sich der Staub und der ganze Rummel um seinen Ausflug in die Welt der Stromgitarren gelegt hat, bleibt nicht viel mehr als ein einsam durch das Bild wehender Tumbleweed übrig. Wie zuvor schon bei Funk, Soul und Reggae schlüpft der Krawattenmann des Jahres 2012 lediglich in eine Rolle, die er hier erstmalig nicht auszufüllen weiß. Ihm fehlt jegliche Authentizität. Letztendlich gilt, was er selbst beim Bundesvision Song Contest 2007 in Richtung Oomph! raunzte: "Jetzt werden wir sehen ob Deutschland Style hat oder nicht."

Trackliste

  1. 1. Liebe
  2. 2. Dicke Kinder
  3. 3. Sie Kann Nicht Tanzen
  4. 4. Straße
  5. 5. Fick
  6. 6. Scorpions-Ballade
  7. 7. Nicht Eingeladen
  8. 8. Action
  9. 9. Hertz 4
  10. 10. St. Pauli
  11. 11. Wacken
  12. 12. Kopfkino

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41 Kommentare mit 77 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Leider ein grauenhaftes Album geworden, klingt wie eine Mischung aus 500g Hack in der Fresse und Kraftklub.

  • Vor 9 Jahren

    Ich mag ihn nicht (mehr).
    Egal was er nach A.B. versucht zu sein, es hört sich nicht "echt" an, wi als wenn Metallica versucht Trapmusic zu machen. Dieses dumme PR-Gedöhns mit Heino&Co. lässt mir auch regelmäßig das Frühstück hochkommen! Fast schlimmer als Bushido..

    Lustisch-Pop-Musik eben, so wie es Samy immer wieder probiert. Früher wo er noch Rap gemacht hatte mochte ich ihn auch nicht besonders. Ich weiß auch nicht was das Album unter "Rap" zu suchen hat. Es ist Pop/Chart Musik und hat mit Rap wirklich NICHTS zutun. Vielleicht verschiebt die Redaktion mal das Ding unter Pop, wäre nett! Ich weiß.. Er war bei den Beginnern, aber nu sind 10 Jahre vorbei und es ist Pop.

  • Vor 9 Jahren

    Mag ja sein, dass das nicht mehr Hip Hop ist,
    aber in einer professionellen Berichterstattung über eine
    Musik CD die eben eine Rezension darstellt sich derbt über
    Aussprache und persönliche Angriffe auf den Sänger zu stürzen halte ich egal um welchen Musiker es sich handelt für schwer fehl am Platz.
    Die Platte hat ihre Highligts und auch wenn sie nicht
    Rock ist noch Metall oder sonst was oder eben was dazwischen dann hört sie sich für mich trotzdem weitaus hörbarer an als so mancher Möchtegern Hip hoper aus Deutschland der sich nur weil er ne Maske uffm Kopp hat jetzt mal ausgenommen Sido.
    So und mal zu dat is Pop Nö Die Kinder des Bahnhof Soul war Größtenteils Funk und eben auch nicht wirklich Rap aber völlig egal, Bahnhof soul sowie die absolute Beginner Zeit gefällt mir sehr. Wo isses hin? Zum einen kritisiert man
    wenn sich ein Musiker nicht mehr wandelt jetzt hat er das eben zu stark getan. Was denn nun?