laut.de-Kritik

Klasse Surround-Sound ohne teuren technischen Firlefanz.

Review von

Im Pressetext zu "Oxymore" heißt es unter anderem überschwänglich: "Jean Michel Jarre, der Pionier der elektronischen Musik veröffentlicht mit seinem 22. Studioalbum eines seiner bisher ehrgeizigsten Projekte. Das Album ist als immersives Werk in einer Mehrkanal- und binauralen 3D-Version konzipiert. Binauraler Mehrkanal-Sound wird die Art und Weise revolutionieren, wie Musik komponiert, gemischt und produziert wird, indem Klänge und Texturen in 360 Grad im Raum platziert und mit Kopfhörern leicht erlebt werden können. 'Oxymore' ist die erste kommerzielle Veröffentlichung, die die Zukunft des musikalischen Audios und Sounds auf ein neues Niveau hebt."

Im Gegensatz zu 99% der Label-Prosa, die man getrost ignorieren kann, liegen die Herrschaften von Sony mit dieser Einschätzung aber gar nicht daneben. Jarre hatte schon in der Vergangenheit bei seinen "Electronica"-Alben mit 3D-Kopfhörersounds experimentiert. Auf kompletter Album-Länge hörte man das bereits auf "Amazonia". Was das genau bedeutet? Du kannst dir die Tracks im voluminösen 3D-Sound auf den Player deiner Wahl ziehen oder Streamen. Das Ergebnis bleibt das gleiche: Surround-Sound ohne teuren technischen Firlefanz.

Für die Kompositionen durfte Jarre aus dem Fundus der Legende der Musique Concrète, Pierre Henry, schöpfen. Ein Kollabo-Album der beiden war zwar angedacht, doch leider verstarb Henry 2017. Seine Witwe stellte jedoch Soundfragmente des Verstorbenen zur Verfügung, die Jarre nun in Tracks goss.

Den Anfang macht das als Intro fungierende "Agora", in dem Jarre Sprachsamples mit Klängen von knisterndem Feuer (typisch) und Regentropfen (auch typisch) untermalt. Die Samples stammen aus einem Interview, das Henry 1988 gegeben hat und in dem er unter anderem die Regeln erklärt, die er seinem Komponieren zugrunde legt. Wer sich weiter die Musique Concrète und das Schaffen Henrys vertiefen möchte, kann das hier und hier machen.

Den Faden nimmt "Animal Genesis" auf und verteilt gleich mal eine dissonante Watschn und zeigt auf, dass auf "Oxymore" mit mehr als nur jarre'schem Schönklang zu rechnen ist. Der Kontrast aus Henrys Klängen und Jarres Sound-Texturen geht hier zum ersten Mal einträchtig Hand in Hand und ist für den weiteren Verlauf des Albums kennzeichnend.

Man kann Jarre zu dem Konzept hinter dem Album nur gratulieren. Die Sounds von Henry setzen während der kompletten Spielzeit nämlich schöne Widerhaken, die dem Klang von "Oxymore" einige Ecken und Kanten geben, an denen sich der Hörer entlang hangeln kann. Das will eventuell beim ersten Hören nicht so recht reinlaufen, wenn man den üblichen Jarre-Pomp erwartet, aber hier stellt er seine eigene Klangtüftelei in den Dienst dieser fein artikulierten Hommage.

Die flirrenden Effekte in "Sonic Land" kreieren eine Retro-Stimmung, die ein wenig auf "Oxygene" rekurriert, aber dennoch nicht altbacken wirkt. "Animal Genesis" klingt wie die Vertonung eines Elefanten, der behäbig durch die Steppe stampft. Die Track-Namen geben einem dabei nur eine etwaige Vorstellung an die Hand, der Film läuft im Kopf des Hörers. Der 3D-Sound geht als absoluter Gewinn für den Hörgenuss durch. Der Sound wirkt aber nicht überladen, vielmehr setzt Jarre diese an den richtigen Stellen als interessante Farbtupfer.

Entgegen der Tendenz vieler Alben, die besten Stücke an den Beginn zu setzen, glänzt "Oxymore" besonders im hinteren Teil. "Zeitgeist" verströmt eine schöne luftige House-Atmosphäre. Das Highlight setzt der Franzose dann an die vorletzte Stelle. "Brutalism" klingt, wie es der Name verheißt und könnte statt 4:31 Minuten gerne auch doppelt so lange dauern.

Auch wenn Jarre in seiner langen Karriere mitunter Kokolores abgeliefert hat, Stillstand war seine Sache nie. Das beweist er mit seinem 22. Studio-Album einmal mehr.

Trackliste

  1. 1. Agora
  2. 2. Oxymore
  3. 3. Neon Lips
  4. 4. Sonic Land
  5. 5. Animal Genesis
  6. 6. Synthy Sisters
  7. 7. Sex In The Machine
  8. 8. Zeitgeist
  9. 9. Crystal Garden
  10. 10. Brutalism
  11. 11. Epica

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Ja, doch, auch "Oxymore" ist wie alles von Jarre seit 2015, wieder schmuck anzuhören. Effektiver als "Amazônia", aber für mich persönlich nicht ganz so inspirierend; ich würde mich der Wertung mal anschließen.