laut.de-Kritik
Fantastisches Zitatekino unter der Diskokugel.
Review von Artur SchulzIst es beleidigend, einer Band für nahezu jeden Song hemmungslosen, Pop-historischen Zitateklau zu attestieren? Denn nichts anderes zelebrieren Jeans Team auf ihrem aktuellen Longplayer "Kopf Auf". Das Entscheidende dabei: Wo andere Acts bei diesem Spiel oft erstarren und die eigene Einfallslosigkeit kaschieren, gelingt es den Berlinern, ein äußerst schmackhaftes Sound-Potpourri herzustellen. Das ist kein unreflektiertes Wiederkäuen, sondern strotzt nur so vor Witz und Klasse, gepaart mit versierter Spielfreudigkeit.
Die Vorab-Single "Das Zelt" ließ alte Freunde und neue Hörer interessiert aufmerken. Hier herrschen textlich düstere Töne vor zur momentanen deutschen Gegenwart: "Kein Gott / kein Staat / keine Arbeit / kein Geld". Knapp gehaltene Slogans skizzieren dergestalt die gegenwärtige Situation von Millionen Menschen im Lande.
Viel launiger lädt danach "Wandern" durch mitschnippige Beats zum Tanzen ein und überzeugt über der zunächst schlicht anmutenden Struktur mit pointiert platzierten Rhythmus-Variablen. Die musikalische Wohnungs-Wanderung inklusive Steckdosen-Fixierung mündet in "Wunden, die Metall berühren / Durch Tore, die ins Jenseits führen".
"Palme" bietet angeschrägte NDW-Anleihen, bevor das – ja - wahrhaftig verarschende "T.Y.T.T.S." musikalisch weiter an der guten Laune arbeitet. Von bumpernden Seventies-Funkbässen unterlegt, erfährt der geneigte Hörer mehr über den Umgang mit jenem Job, der von jeher seine ganz spezielle Ruhe und sein Örtchen braucht. "Kopf Auf" entwickelt sich über authentisches Lagerfeuerklampfen-Gegniedel hin zum einem am Ende fröhlich vor sich hin wuppernden Tanztee-Stomp.
Mein ganz persönlicher 'Begeistert-aus-dem-Sessel-fall'- Knaller ist "Komet". Diese geniale Steve Miller-Verbeugung ist von vorn bis hinten einfach nur fantastisches Zitate-Kino. Ach, hier wird eigentlich gar nicht zitiert. Sondern mit Pfiff, Schmackes und all den dazugehörigen 70er Sci-Fi-Sound-Zisch- und Blubberelementen angereichert jener Song präsentiert, den der Space-Cowboy-Joker zu seinen Glanzzeiten nie geschrieben hat. Applaus, Applaus, ihr famosen Nietenhosen-Träger!
Sein Pulver hat das Jeans Team damit trotzdem noch längst nicht verschossen. "Latialla Taas (Uusi Fantasia)" ist eine spannende Elektro-Pop-Wave-Fingerübung, garniert mit Lounge- und House- Elementen. Dieses Fast-Instrumental lädt mit seinen ausgeprägten 70er- und 80er-Sounds unwiderstehlich zum fröhlichen Abhotten ein. Gekonnt jongliert das Jeans Team mit der guten alten, schillernden Diskokugel.
Ein weiteres Schmankerl-Highlight ist die Kraftwerk-Hommage "Silizium". Mit kühlen Elektro-Beats samt gebotenen Minimalismus heißt es hier "Er dreht sich um / Sie dreht sich um / Silizium". Tja, sie ist wahrscheinlich ein Model und sie sieht gut aus. Und wie das Ganze endet: Bitte selbst hineinhören!
Herzig-rührend, sowohl textlich wie musikalisch, verführt der Romantik-Nonsens "Du Bist Hamburg": "An deiner Wand / bin ich ein Bild". Das Jeans Team rutscht nicht aus bei derartigen Thematiken, und gerade hier ist der –vordergründige – Kitsch exakt berechnet und satirisch angesetzt. Wärmt das Herz aber trotzdem mehr als jeder der angestrengten 'echten' Lieblos-Pop-Schlager, die damit treffend persifliert werden.
Nachdenklich beschließt die Band ihr Album mit "Segel Dein Schiff". Hier ist textlich nichts von dem über weite Strecken pointierten Nonsens zu spüren, der viele Songs auf "Kopf Auf" zu einem luftigen Vergnügen macht. Das Jeans Team klingt resigniert und trotzdem trotzig: "Mach dich breit, wenn du Platz hast" empfiehlt die Band und konstatiert: "Komm mir nicht mit Fragen / Keiner wird dir was sagen / Glaub nur, was du weißt". Neben einer gehörigen Menge erlesenen Partyspaßes zieht damit eine - nie angestrengt oder zu kopflastig wirkende - Ernsthaftigkeit in das Gesamtkonzept ein.
Das Jeans Team braucht sich nicht wirklich etwaige plakative Retrohaftigkeit vorwerfen zu lassen. Dafür ist die Band einfach zu intelligent. Der Umgang mit den unterschiedlichsten Stilmitteln zeugt von tiefer Liebe zu Sounds und Strukturen, von denen sich die Berliner inspirieren lassen. So tummelt sich "Kopf Auf" als ganz fetter Album-Karpfen im vorweihnachtlichen Best Of-Fischteich.
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