laut.de-Kritik

Wer das schon für verwegen hält, kennt keine interessanten Frauen.

Review von

Lasst euch nicht täuschen, Leute: Jennifer Rostock sind Pop von der Stange in Reinform. Vergesst die Vergleiche mit Ideal und allem anderen NDW-Kram. Schon eher gehen sie als etwas wüstere Version von Wir Sind Helden durch. Hot-Pants statt Rock, Piercings statt Grübchen im Gesicht, erwachsene Frauenstimme statt süßem Mädchengesang. Darauf beschränkt sich der Unterschied in der Produkt-Aufmachung im Wesentlichen.

"Live In Berlin" zeigt dieses Produkt nun von seiner besten Seite. Trotz aller ausgestellten Wildheit von Jennifer Rostock bleibt es eine recht laue Angelegenheit. Die Musik ist so wenig rebellisch wie das ganze Drumherum. Eigentlich eher schon Silbermond oder Juli als Wir Sind Helden.

Refrain folgt auf Strophe, trendige elektronische Einsprengsel treffen auf schon lange nicht mehr gefährlich klingende Gitarren-Riffs. Das Ganze geschmeidig breiig, die Stimme radiotauglich im Vordergrund, Texte wie Gereimtes aus dem Poesie-Album. Es kommt halt mal "Spucken oder Schlucken" vor ("Mein Mikrofon"), aber wer das schon für verwegen hält, kennt einfach keine interessanten Frauen.

Sängerin Jennifer Weist selbst gibt sich alle Mühe, rebellisch rüberzukommen: Greift sich und einem gewissen Pierre in den Schritt, trinkt Schnaps, schreit herum, vor allem den Schlachtruf "Zicke Zacke, Zicke Zacke, Hoi Hoi Hoi". Sie mimt damit die von allen Zwängen befreite Frau, bleibt aber mit ihrem Outfit und ihren Bewegungen ganz Rollen-Klischee. Lapdance-Feminismus könnte man das vielleicht nennen. Es sieht so aus, als wäre das ein verlockendes Angebot für die Mehrzahl der Mädchen im Publikum. Die restliche Band verkommt zur Staffage, sieht aber mit Tattoos im Sichtbereich oder Elektro-Nerd-Look immerhin nach Rock'n'Roll aus.

Wem das alles gefällt, für den ist das CD+DVD-Package natürlich der perfekte Kauf. Schönes Papp-Cover, ein Booklet und ein Mini-Poster locken zur Investition. Die DVD enthält nicht nur das Konzert, sondern auch ein Making-Of, eine Shoutbox, in der Fans die Band abfeiern und Outtakes, die sich aber größtenteils im Schnapstrinken erschöpfen.

Das Konzert selbst bietet ein kleines Best-Of mit allen Hits, von "Feuer" über "Du Willst Mir An Die Wäsche" bis "Mikrofon". Auch die Unplugged-Songs, die seit dem Ärzte-Unfall von 2002 für jede Deutschpop-Band obligatorisch scheinen, fehlen nicht ("Wo Willst Du Hin"). Dazu allerlei Rock-Posen, etwas Light-Show, ein Pogo-Aufruf und immer wieder Kamera-Schwenks ins absolut euphorische und hundertprozentig textsichere Publikum. Ein perfektes Rock-Spektakel, möchte man meinen. Trotzdem bleibt alles so fad und inszeniert wie bei einer Rockpalast-Übertragung.

Was aber wäre eine Show ohne hochkarätige Gäste? Jedenfalls keine nach dem Geschmack von Jennifer Rostock, und sicher auch keine nach dem der Plattenfirma. Die Überraschung ist sicherlich Sido, mit dem sich Weist in "Du Willst Mir An Die Wäsche" das Mikro teilt und den sie mit ihrem bisschen Wäsche um den Hintern antanzt. Wenn man zweimal nachdenkt, passt das aber ganz gut zusammen, ist Sido doch auch eher Entertainer als Musikerneuerer. Tatsächlich überraschend ist hingegen, dass Torsun und Kilian von Egotronic sich ebenfalls nicht zu schade waren, sich für "Kopf Oder Zahl" zum Support-Affen zu machen. Aber ja, deren Elektro-Punk ist ja auch mehr Formel als Experiment.

Der Vorspann zum Konzertmitschnitt, der ein sexy Hipster-Girl und einen sexy Hipster-Boy im Split-Screen auf dem Weg zum Konzert zeigt, gelang tatsächlich recht gut. Natürlich gehen sie im Abspann, schmacht, gemeinsam nach Hause. Die beiden bilden aber eher ab, welche Fans Jennifer Rostock gerne hätten, und nicht, welche sie tatsächlich haben.

Das Publikum nämlich ist noch einmal um einige Maße weniger cool und rebellisch als die Band. Die Mädchen tragen Ohringe statt Nasenpiercing und höchstens noch ein gestochenes Sternchen am Fuß statt Halbkörper-Tätowierung. Da täuschen auch die zwei gepiercten Mädels nicht darüber hinweg, die die Kamera wieder und wieder zeigt. Die paar Jungs, wahrscheinlich die Freunde der Mädchen, sehen ebenfalls nach nicht viel mehr als nach Alternative-Mainstream aus.

Hier dürfen sich die im Alltag absolut Angepassten für etwas über eine Stunde einmal aufrührerisch fühlen und Party machen. Klar, ich selbst bin nicht weniger angepasst. Trotzdem verzichte ich gerne auf derlei Ersatzhandlung, genau wie auf Musik aus der Retorte.

Trackliste

  1. 1. Intro / Mein Mikrofon
  2. 2. Es Tut Wieder Weh
  3. 3. Der Kapitän feat. Felix/Frau Potz
  4. 4. Himalaya
  5. 5. Du Willst Mir An Die Wäsche feat. Sido
  6. 6. Ich Kann Nicht Mehr
  7. 7. Hier Werd Ich Nicht Alt
  8. 8. Wo Willst Du Hin?
  9. 9. Irgendwo Anders
  10. 10. Meine Bessere Hälfte
  11. 11. Kopf Oder Zahl feat. Egotronic
  12. 12. Feuer
  13. 13. Insekten Im Eis feat. Jupiter Jones
  14. 14. Nenn Mich Nicht Jenny
  15. 15. Es War Nicht Alles Schlecht feat. Nico/Wfahm

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LAUT.DE-PORTRÄT Jennifer Rostock

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194 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Huch, da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden, was? Laut.de ist ja für die zumeist reißerischen, sehr subjektiven Kritiken bekannt (Eddy und den Anwalt klammer ich mal aus), aber hier scheint wohl jemand die Band aus persönlichen Gründen wirklich nicht zu mögen, hm?

    Gehöre jetzt sicher auch nicht zu der Kategorie JR-Fan, aber seit wann müssen die Fans jetzt einen besonderen Grad an Coolness erfüllen? Und wer sieht die Gäste denn als hochkarätig an, wenn nicht die Band oder die Plattenfirma? Einer von beiden wird das Ganze ja wohl eingefädelt haben.

    Dass die Musik aufgeplusterter Pop-Rock ist, war doch klar. War es doch schon immer. Na und? Das jetzt zu kritisieren ist genauso wie wenn man In Extremo jetzt plötzlich vorwirft, einen Sänger mit Reibeisenstimme zu haben - siehe Goldener Rhein Review.

    Immerhin versucht Jennifer noch ein BISSCHEN Rock'n'Roll Attitüde auf die Bühne zu bringen. Und gerade Songs wie "Es war nicht alles schlecht" sind nun mal stark gemacht.

  • Vor 12 Jahren

    Nicht aufregen, ist ja nichts neues das Laut was gegen Jennifer Rostock hat.
    Und ist Hardy Funk ein Pseudonym oder der echte Name des Rezesenten? Klingt super :)

  • Vor 12 Jahren

    Das rumreiten auf dem Hipsterfaktor des Publikums - geschenkt. Hurra, wir distinktieren uns zu Tode. (Nur, dass auf'm Melt trozudem alle gleich aussehen). Dass JR recht kalkuliertes Rocknroll-Plastik ist - auch geschenkt. Weiß man ja schon, seit die zum ersten Mal von wemauchimmer ans Licht der welt gehoben wurden. Aber, herrje, immer dieses Juli-Gebashe. Da jibbet dann ja wohl doch paar ziselierte Brechungen hinsichtlich ansatz respektive Anspruch. Sollte sich doch auch in Rezensentenkreisen spätestens seit ihrem Klez.e-Album rumgesprochen haben.

  • Vor 12 Jahren

    HALLO SANCHO

    .bald werde ich wieder sozusagen"auf weltumseglung"
    sein. mir ist es recht, verschiedene dinge nicht einfach so liegenzulassen.

    ganz zu beginn, als ich die rezension zu JR las,kam mir der aspekt "chauvinismus" hoch.
    niemals habe ich irgendjemand hier - auch dich nicht - konkret als chauvinist tituliert. mein anliegen war es,eine anregung zu geben,sich damit zu beschäftigen.

    mein eindruck war, dass sich einige unwohl mit dem thema gefühlt haben,du eventuell auch. ich übrigens auch.

    ich habe mich manchmal über überderbe sprüche hier geärgert.

    sicher hat jeder unterschiedliche musikalische vorlieben. aber muss es denn sein, dass bei diesem gut organisierten und durchaus zumeist fairem forum über die hälfte der beiträge unerquickliche zwistigkeiten beinhalten.
    das führt manchmal - leider - zu einem sehr angespannten klima, dass nicht zu der muse passt, die wir alle doch so mögen.

  • Vor 12 Jahren

    @Der-Wal (« HALLO SANCHO

    .bald werde ich wieder sozusagen"auf weltumseglung"
    sein. mir ist es recht, verschiedene dinge nicht einfach so liegenzulassen.

    ganz zu beginn, als ich die rezension zu JR las,kam mir der aspekt "chauvinismus" hoch.
    niemals habe ich irgendjemand hier - auch dich nicht - konkret als chauvinist tituliert. mein anliegen war es,eine anregung zu geben,sich damit zu beschäftigen.

    mein eindruck war, dass sich einige unwohl mit dem thema gefühlt haben,du eventuell auch. ich übrigens auch.

    ich habe mich manchmal über überderbe sprüche hier geärgert.

    sicher hat jeder unterschiedliche musikalische vorlieben. aber muss es denn sein, dass bei diesem gut organisierten und durchaus zumeist fairem forum über die hälfte der beiträge unerquickliche zwistigkeiten beinhalten.
    das führt manchmal - leider - zu einem sehr angespannten klima, dass nicht zu der muse passt, die wir alle doch so mögen. »):

    Ok dann kann ich dich beruhigen. In diesem Forum wird über beschissene Musiker schon seit ewigkeiten ergezogen. Und da ist es völlig egal ob dieser männlich, weiblich, schwarz, weiss, schwul, jüdisch, Moslem oder Scientologe ist ;)

  • Vor 11 Jahren

    ich kann nicht fassen, dass ich mir den ganzen Thread durchgelesen habe...