laut.de-Kritik
Krude Schminke + Nasenbluten = funky Elektro-Pop.
Review von Michael SchuhWelcher Musikrichtung ist wohl eine Frau verfallen, die auf dem Cover ihres Debüts eine zumindest unorthodoxe Make Up-Variante wählt, während ihr auf der Rückseite eine Linie Blut aus der Nase auf blutrot geschminkte Lippen gerinnt?
Hartwurst-Gebolze, wie es Chef-Bluter Andrew W.K. bevorzugt, bleibt zum Glück außen vor. Dafür zielt die Vermutung, eine experimentelle Künstlerin aus dem elektronischen Bereich anzutreffen, nicht ganz daneben. Stimmlich ist Jenny Wilson dabei näher an einer fiebrigen Feist als an Meckertante Peaches.
Ein Album "Liebe Und Jugend" zu nennen, ist alleine schon großartig, und dass das Qualitätslevel ihrer Songs nach dem wunderlich-düsteren Opener genau diese ewig erstrebenswerten Zustände punktgenau vertont, umso mehr. "Summertime", ein Paradebeispiel für Wilsons ungerades Kompositionsverständnis, verzaubert mit funky Elektrobeats, die die herbe Stimme der verhinderten Visagistin erst in ein vergleichsfreies Pop-Universum überführt.
Da mich ihre behutsame Synthesizerbehandlung (Jenny spielte alle Instrumente selbst ein) leicht an die frühe 80s Disco erinnert, die Roisin Murphy vor ihren Solo-Konzerten durch die Boxen jagte (besonders "Bitter? No I Just Love To Complain", "Let My Shoes Lead Me Forward"), sind wir über Umwege auch bei der experimentellen Ex-Moloko-Sängerin als Reverenzbezug angelangt.
Die sich nun bei manchem Leser womöglich aufdrängende Frage nach der Eigenständigkeit Wilsons darf getrost positiv beantwortet werden: Die 30-jährige Schwedin, die mit der unbekannten Formation First Floor Power bereits auf zwei Alben Songideen umsetzte und dem Elektro-Duo The Knife ihre Stimme lieh, bietet auf ihrem Solodebüt genug Talent auf, um nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben.
Dass sie früher mal die neue PJ Harvey werden wollte, legt die vereinzelte Integration der Worte "fuck" und "whore" nahe. Doch auch Schlaf- und Kuschellieder wie "Those Winters" oder "Would I Play With My Band?" gelingen wundersam harmonisch. Und spätestens mit "Hey, What's The Matter?", wo sie zuerst dreist ein Gang Of Four-Riff zitiert, um den Song hernach zu einer waschechten Wilson-Nummer umzumodeln, vereinen sich Courage und Können zu einer unschlagbaren Melange. Wo ist eigentlich mein Kajalstift aus alten Cure-Tagen?
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