laut.de-Kritik

Hendrix in all seiner Brillanz und seinem tragischen Ruhm.

Review von

Am 27. November 2017 wäre der Ausnahmegitarrist 75 Jahre alt geworden. Wäre er so gut gealtert wie etwa Lemmy? Wer weiß. In Erinnerung bleibt Jimi Hendrix mit Bandana, den Saiten seiner Stratocaster zwischen den Zähnen und Musik, die auch im fünften Jahrzehnt nach seinem Tod nichts an ihrer Kraft eingebüßt hat.

Ein Jahrhundertkünstler, den es zu zelebrieren gilt. Neues ist nach den posthumen Alben "Valleys Of Neptune" (2010) und "People, Hell & Angels" (2013) wohl nicht mehr zu erwarten, auch Liveaufnahmen gibt es zuhauf. Seit 1995 kümmert sich Hendrix' Familie um den Nachlass und hat im Laufe der Jahre das verfügbare Material in schönen, neu abgemischten CD-Ausgaben herausgebracht. Nun erscheint das meiste davon in Zusammenarbeit mit Legacy auf 180-Gramm-Vinyl.

Darunter auch diese üppige Zusammenstellung von Archivmaterial auf acht (!) Scheiben, die bei der Erstveröffentlichung 2000 eine kleine Sensation war, hatte sich doch Eddie Kramer über die Aufarbeitung gekümmert, der eng mit Hendrix zusammen gearbeitet hatte. Die allermeisten Stücke waren damals noch nicht veröffentlicht worden, offiziell zumindest.

Seitdem hat es auf CD verschiedene Versionen gegeben, immer wieder in neuer Zusammenstellung. Diese orientiert sich an der ersten. In teils anderer Trackreihenfolge, wohl aus technischen Gründen, um die Länge der Plattenseiten mehr oder weniger gleich zu gestalten. Dass man dennoch alle 15 bis 20 Minuten aufstehen muss, um die Scheibe zu wenden oder zu wechseln, sorgt nebenbei für ein bisschen Bewegung.

Die Klangqualität ist nicht so gut wie auf CD, aber akzeptabel. Unabhängig davon ist es nach wie vor ein Genuss, Hendrix zu lauschen, zumal viele Kostbarkeiten vorhanden sind. Einige davon auf der ersten Scheibe, angefangen bei "Purple Haze", das hier in einer frühen Studioversion vertreten ist, die der bekannten schon ziemlich nahe kommt, wie auch "Foxey Lady". Als Hendrix sie im Dezember 1966 mit den Leuten aufnahm, die ihn bald berühmt machten - Mitch Mitchell am Schlagzeug, Noel Redding am Bass und Chas Chandler am Mischpult - war er noch so gut wie unbekannt.

Die Aufnahmen von Howlin' Wolfs "Killing Floor" und Hendrix' noch nicht veröffentlichter erster Single "Hey Joe" sind sogar noch zwei Monate älter und stammen von einem Auftritt in Paris im Vorprogramm von Johnny Hallyday. Hendrix war gerade mal ein Monat davor von New York nach London gezogen, um in Europa sein Glück zu versuchen. Erstaunlich, wie viel Energie das Trio schon versprühte.

Unglaublich ist die bessere Beschreibung. Bereits im Januar 1967 nahmen sie eines von Hendrix' besten Stücken auf, das knapp zehn Minuten lange, psychedelische "Third Stone From The Sun". Wie gut die Stimmung war, zeigt sich an den Blödeleien, die Hendrix und Chandler austauschen. Hendrix tut so, als käme er aus dem All und ersucht Informationen über diesen ihm unbekannten "Stein" (unsere Erde). "And you'll never hear surf music again", lehnte sich Hendrix aus dem Fenster.

Nicht alle bekannten Stücke von Hendrix sind vertreten (darunter "Crosstown Traffic"), dafür zeigt diese Sammlung, wie gut auch seine Coverversionen waren. Bob Dylan war für ihn eine große Inspiration, wie vor allem seine wunderbare Version von "Like A Rolling Stone" zeigt. Diese hier stammt von seinem Auftritt im Juni 1967 beim Monterey Pop Festival, der ihn im Heimatland schlagartig berühmt machte. Hendrix verehrte auch die Beatles und spielte bei einem Auftritt im Juni 1967 in London eine mitreißende Interpretation von "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", das erst drei Tage alt war und die anwesenden George Harrison und Paul McCartney von den Socken haute. Die hier dargebotene Version stammt allerdings von einem Auftritt im folgenden September in Schweden.

Letztlich ging wohl alles zu schnell. 1967 kamen neben der Single "Hey Joe" Hendrix' erste zwei Alben "Are You Experienced" und "Axis: Bold As Love" auf den Markt, dazu tourte die Band unermüdlich. 1968 kam es bei den Aufnahmen zum letzten Album "Electic Ladyland" zum Bruch zwischen Hendrix, Chandler und Redding, Produktion und viele der Bass-Spuren übernahm Hendrix selbst. Mit "Voodoo Child" und seinem Cover von Dylans "All Along The Watchtower" gelangen ihm zwei weitere Meisterwerke, bevor er sich zunehmend in einem Nebel aus Drogen, Alkohol, Ruhm und mystischen musikalischen Visionen verlor. Am 18. September 1970 starb er mit 27 Jahren im Schlaf an seinem Erbrochenem.

Im Studio waren die Sessions davor ausgeufert, wenn auch mit immer wieder hörbaren Ergebnissen, wie die Improvisation "Country Blues" oder die Coverversion von Thems "Gloria" beweisen. Hendrix' Metier blieb vor allem die Bühne. Am Ende seiner Kräfte, spielte er mit improvisierter Band beim Woodstock-Festival im August 1969 die Version der US-amerikanischen Hymne schlechthin. Die ist hier nicht vertreten, wie sich dank dieser Compilation aber herausstellt, war es keine reine Improvisation, hatte Hendrix sich wenige Monate davor schon im Studio an ihr versucht. Im Vergleich zu Woodstock ist die ursprüngliche Interpretation aber recht mau.

Viel Material, das zum Ausschweifen einlädt. Auch dank des dicken Booklets, bei dem im Großformat die vielen schönen Bilder endlich richtig zur Geltung kommen. Letzlich gilt, was der Kritiker Dave Marsh zu Beginn seiner Einführung aus dem Jahr 2000 feststellte: "Listening to this set is like having Jimi's musical life flash before your ears once again, in all its feisty brilliance and tragic glory." Hendrix' musikalisches Leben in all seiner lebhaften Brillanz und seinem tragischen Ruhm - genau so ist es.

Trackliste

LP 1

  1. 1. Purple Haze (DeLane Lea Studios, London, UK, January 11, 1967)
  2. 2. Killing Floor (Live at the Olympia Theater, Paris, France October 18, 1966)
  3. 3. Hey Joe (Live at the Olympia Theater, Paris, France October 18, 1966)
  4. 4. Foxey Lady (CBS Studios, London, UK, December 13, 1966)
  5. 5. Highway Chile (Olympic Studios, London, UK April 3, 1967)
  6. 6. Hey Joe (Pye Studios, London, UK, October 1966)
  7. 7. Title #3 (Olympic Studios, London, UK, April 3, 1967)
  8. 8. 3rd Stone From The Sun (DeLane Lea Studios, London, UK, January 11,1967)
  9. 9. Here He Comes (Lover Man) (Olympic Studios, London, UK, April 4, 1967)

LP 2

  1. 1. If 6 Was 9 (Olympic Studios, London, UK, May 4, 1967)
  2. 2. Burning Of The Midnight Lamp (Live at the Dee Time, Lime Grove Studios, London, August 22, 1967)
  3. 3. Rock Me Baby (Live at the Monterey International Pop Festival, Los Angeles, CA, June 18, 1967)
  4. 4. Like A Rolling Stone (Live at the Monterey International Pop Festival, Los Angeles, CA, June 18, 1967)
  5. 5. Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band (Live in Stockholm, Sweden, September 5, 1967)
  6. 6. Burning Of The Midnight Lamp (Live in Stockholm, Sweden, September 5, 1967)
  7. 7. Little Wing (Olympic Studios, London, UK, October 25, 1967)
  8. 8. Little Miss Lover (Olympic Studios, London, UK, October 1, 1967)
  9. 9. Taking Care Of No Business (Olympic Studios, London, UK, May 4,1967)

LP 3

  1. 1. The Wind Cries Mary (Live at the Olympia Theater, Paris, France, October 19, 1967)
  2. 2. Catfish Blues (Live at the Olympia Theater, Paris, France, October 19, 1967)
  3. 3. Bold As Love (Olympic Studios, London, UK, October 5, 1967)
  4. 4. Sweet Angel (Olympic Studios, London, UK, November 13, 1967)
  5. 5. Fire (Live at Clark University, Worcester, MA, March 15, 1968)
  6. 6. Somewhere (Sound Center, New York, NY, March 1968)
  7. 7. (Have You Ever Been To) Electric Ladyland (Record Plant, New York, NY, June 14, 1968)
  8. 8. Gypsy Eyes (Record Plant, New York, NY, April, 22, 1968)
  9. 9. Room Full Of Mirrors (Record Plant, New York, NY, August 12, 1968)

LP 4

  1. 1. Gloria (TTG Studios, Hollywood, CA, October 29, 1968)
  2. 2. It's Too Bad (Record Plant, New York, NY, February 11, 1969)
  3. 3. Stone Free (Record Plant, New York, NY, April, 7, 1969)
  4. 4. Spanish Castle Magic (Olympic Studios, London, UK, February 17, 1969)
  5. 5. Hear My Train A Comin' (Olympic Studios, London, UK, February 17, 1969)

LP 5

  1. 1. I Don't Live Today (Live at the Los Angeles Forum, CA, April 26, 1969)
  2. 2. Room Full Of Mirrors (Record Plant, New York, NY, April 21, 1969)
  3. 3. Star Spangled Banner (Record Plant, New York, NY, March 18, 1969)
  4. 4. Little Wing (Live at the Royal Albert Hall, London, UK, February 24, 1969)
  5. 5. Red House (Live at the San Diego Sports Arena, CA, May 25, 1969)

LP 6

  1. 1. Purple Haze (Live at the San Diego Sports Arena, CA, May 25, 1969)
  2. 2. Voodoo Child (Slight Return) (Live at the Royal Albert Hall, London, UK, February 24, 1969)
  3. 3. Izabella (Hit Factory New York, NY, August 29, 1969)
  4. 4. Message To Love (Record Plant, New York, NY, December 19, 1969)
  5. 5. Earth Blues (Record Plant, New York, NY, December 19, 1969)
  6. 6. Country Blues (Record Plant, New York, NY, January 23, 1970)

LP 7

  1. 1. Freedom (Record Plant, New York, NY, February 16, 1970)
  2. 2. Astro Man (Record Plant, New York, NY, January 21, 1970)
  3. 3. Ezy Ryder (Record Plant, New York, NY, December 18, 1969)
  4. 4. Come Down Hard On Me (Electric Lady Studios, New York, NY, July 15, 1970)
  5. 5. Johnny B. Goode (Live at the Berkeley Community Theater, Berkeley, CA, May 30, 1970)
  6. 6. Lover Man (Live at the Electric Lady Studios, New York, NY, July 20, 1970)
  7. 7. Blue Suede Shoes (Live at the Berkeley Community Theater, Berkeley, CA, May 30, 1970)

LP 8

  1. 1. Hey Baby/In From The Storm (Live at Maui, Hawaii, July 30, 1970)
  2. 2. Cherokee Mist (Electric Lady Studios, New York, NY, June 14, 1970)
  3. 3. Night Bird Flying (Electric Lady Studios, New York, NY, June 16, 1970)
  4. 4. All Along The Watchtower (Live at the Isle Of Wight, England, UK, August 30, 1970)
  5. 5. In From The Storm (Live at the Isle Of Wight, England, UK, August 30, 1970)
  6. 6. Slow Blues (Electric Lady Studios, New York, NY, August 20, 1970)

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