laut.de-Kritik
Musik, bei der man alles um sich herum vergisst.
Review von Toni HennigJoan Wasser alias Joan As Police Woman hat sich im letzten Jahr, als Corona die Welt veränderte, einigen Projekten gewidmet. So arbeitete sie für den Song "Simplicity" mit den Gorillaz zusammen, veröffentlichte ihr zweites Coveralbum "Cover Two" sowie eine Live-Scheibe und beteiligte sich an der Afel Bocoum-Platte "Lindé". Das gemeinsame Trio-Werk mit Schlagzeuger und Afrobeat-Legende Tony Allen sowie Multiinstrumentalist Dave Okumu "The Solution Is Restless" schiebt sie nun auch noch nach.
Damon Albarn von den Gorillaz war übrigens derjenige gewesen, der im März 2019 den Kontakt zwischen Joan Wasser und Tony Allen herstellte. Zusammen versuchten sie sich dann an einem Cover von Nina Simones "I Wish I Knew How It Would Feel To Be Free". Die Chemie hat sofort gestimmt und so erwuchs die Idee, eine gemeinsame Platte aufzunehmen. Für die konnten die zwei noch Dave Okumu gewinnen. Im November des selben Jahres trafen sich die Musiker in Paris zu einer Studiosession, bei der sie an verschiedensten Instrumenten wie Piano, Gitarre oder Violine improvisierten. Auch Damon Albarn schaute für einen Track im Studio vorbei, ebenso wie Meshell Ndegeocello.
Im April des Folgejahres musste Joan Wasser zwei Schicksalsschläge verkraften. Ihr Mentor Hal Willner starb mit 64 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion und auch Tony Allen schloss wenige Monate vor seinem achtzigsten Geburtstag seine Augen für immer. Nach diesen Verlusten verarbeitete sie die Aufnahmen in ihrem heimischen Studio in New York zu einem vollständigen Studioalbum, ergänzt um Texte und Gesang.
Inhaltlich spielt die Pandemie eine wichtige Rolle. Die erste Single "Take Me To Your Leader" versteht die US-Amerikanerin als politischen Appell: "Ich hab den Track geschrieben, als ich Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland, dabei zugesehen habe, wie sie das Jahr 2020 gemeistert hat. In meiner Traumwelt haben die USA sie um ein Treffen gebeten, um zu wissen, wie man das Land besser regieren könne."
Als hervorragende Beobachterin ihrer Umwelt zeigt sie sich auch in den restlichen Songs, die neben Corona von Liebe, Selbstakzeptanz und Selbstkritik handeln. Dabei legt sie vor allem Wert auf Empathie. So geht es ihr beispielsweise im Eröffnungsstück "The Barbarian" darum, zu lernen, eine freundliche und positive Sicht auf einen Teil von sich selbst zu entwickeln.
Musikalisch setzt Allen zunächst auf einen Trip Hop-artigen Groove. Dubbige Basstöne von Meshell Ndegeocello schließen sich an. Darüber erhebt sich regelmäßig, von melancholischen Piano-Sounds begleitet, die markante, geschmeidige Stimme Wassers, die sich anschließend wieder zurückzieht, um Wah-Wah-Effekten an den Saiten, Chören und Streichern das Feld zu überlassen. So entsteht eine nächtlich warme Großstadtatmosphäre, der man sich nicht entziehen kann.
Für das folgende "Get My Bearings" hat es sich Damon Albarn nicht nehmen lassen, neben ruhigen Piano-Parts noch zusätzlichen Gesang beizusteuern. Um den Stimmen den nötigen Raum zur Entfaltung zu geben, sorgen Okumu am Bass und Allen für ein zurückhaltend jazziges Fundament. Dabei treffen sich Wasser und Albarn auch gerne mal in der Mitte, zu einer gleichermaßen nachdenklichen wie zärtlichen Symbiose vereint.
Ansonsten ist Allens polyrhythmisch lässiges Afrobeat-Spiel an so gut wie jeder einzelnen Stelle dieses Albums omnipräsent. Die stilistische Richtung geben aber größtenteils Okumu und Wasser am Bass vor. Dabei besitzt die Platte von verspielter Psychedelik ("Take Me To Your Leader") über Dub-Reggae ("Masquerader") bis hin zu Funk ("Perfect Shade Of Blue") eine enorme Bandbreite an Einflüssen. Zudem fallen die Tracks dank Joan, die immer wieder eingängige gesangliche Akzente setzt, nie zu verkopft aus, verlieren aber auch nicht ihre Ecken und Kanten.
Wunderbar, wie "Masquerader" die eher trockene Mitte der Platte einleitet und sich die Klangfarbe der US-Amerikanerin gleichzeitig ins etwas Rauchige verschiebt. Später liefern in "Perfect Shade Of Blue" schmutzige Bläsersätze, melancholische Orgel-Einsprengsel und wilde Rhythmen ein verschwitztes Fundament, so dass die erdige, raue Kraft ihrer Stimme besonders gut zur Geltung kommt. Trotzdem strahlt ihr Organ in den ruhigen Momenten noch ein wenig heller. Wenn sich in "Geometry Of You" verhaltene Drum- und Bassgrooves, sparsame Gitarrentöne, poppiges Piano, nahöstliche Streicher und ihr butterweicher Gesang auf elegante Weise miteinander verbinden, ist das von der Magie einer Neneh Cherry nicht weit entfernt.
In "Reaction" kommen schließlich verschiedene stilistische Komponenten des Albums zusammen. Psychedelische Orgelsounds, funkige Saitenklänge und trippige Schlagzeugrhythmen entfalten einen düsteren Groove. Wasser schmiegt sich mit rauchig warmer Stimme genüsslich diesen Tönen an. Musik, bei der man alles um sich herum vergisst.
Letzten Endes klingt die US-Amerikanerin auf dieser Scheibe gleichzeitig vertraut und doch irgendwie auf erfrischende Weise anders als sonst. Tony Allen wäre aller Wahrscheinlichkeit nach stolz auf dieses Ergebnis gewesen.
2 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Tony Allen, für mich der beste Drummer überhaupt. Je nach meiner Tagesform, klar. Man braucht keine drei Sekunden, um ihn zu erkennen. Bin seeeeehr gespannt. Joan ist natürlich auch nie verkehrt.