27. April 2004

"Europas Jazzer haben das Band-Konzept entdeckt"

Interview geführt von

Der Weilheimer Saxophonist Johannes Enders bläst u.a. für The Notwist, das Tied & Tickled Trio und für Enders Room in seine goldene Tröte. LAUT traf ihn im Rahmen des Zürcher jazznojazz-Festivals. Johannes Enders spricht über die Vermeidung von Checkertum, die an Hochschulen lauernde O.K.-Gefahr und rufschädigendes Aneinandervorbeispielen. Er spricht nicht über observierende Systeme und über musikalische Motive, Amerika zu verlassen.

Warum um Himmels Willen lädst du mich morgens um 9 Uhr zu einem Interviewtermin ein?

Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich damit allen Rock'n'Roll-Klischees widerspreche, aber ich bin Vater, das ist für mich eigentlich schon ziemlich spät. Außerdem spielen wir heute Abend in München und müssen um zehn losfahren.

Ihr habt gestern Abend mit Enders Room gespielt. Wie war das Konzert?

Warst du da? Wie fandest du es? Es ist immer einfacher die Dinge von außen zu betrachten.

Ich hab mir gedacht, dass du mich das fragst und bin darauf vorbereitet ;-). Ich drücke es mal so aus: An der Dynamik eurer Bühnenperformance kann man noch schleifen.

Ja, wir haben schon einen Kurs gebucht beim Performancetrainer von 'Deutschland sucht den Superstar'. Mit Choreographie und so .... (lacht). Ne Schmarrn, ist nur Spaß. Wir waren gestern Abend einfach aufgeregt. Es war für uns eine großartige Gelegenheit, vor einem großen Publikum zu spielen, aber auch aufreibend, weil es ein renommiertes Festival ist. Außerdem wussten wir genau, dass Joe Zawinul, Markus Miller und Esbjörn Svensson im Publikum sitzen. Da darf eine junge Band aufgeregt sein, oder?

Durchaus! Als Band spielt ihr noch nicht lange zusammen?

Uns gibt es seit einem Jahr. Zuerst ist ja die CD entstanden, und dann kam der Augenblick, in dem es darum ging, das Ganze auf die Bühne zu stellen. Wir haben erst ca. 30 Gigs gemeinsam gespielt.

Du bist nicht ja nicht nur mit Enders Room aktiv, sondern hast deine Finger in der kompletten Weilheimer Szene. Kannst du für uns das Dickicht lichten?

Ich bin festes Mitglied beim Tied & Tickled Trio und spiele manchmal für The Notwist auf den Alben mit, bin aber nicht live dabei. Dann spiele ich ab und zu bei Roberto Di Gioias Marsmobil und mit Nana Mouskouri, aber die kommt nicht aus Weilheim (lacht).

Stichwort Tied & Tickled Trio. Ich habt vor kurzem ein grandioses Album mit dem Titel "Observing Systems" veröffentlicht. Wie kommt es zu dem Titel? Was steckt dahinter?

Das kommt aus der Quantenmechanik, aber da musst du unseren Chefelektroniker Andreas Gerth fragen, das war seine Idee ...

Mir fallen da schon noch ein paar abgehobene Fremdwörter ein: Konstruktivismus, Systemtheorie, Kybernetik, Autopoiese, sich selbst regulierende Systeme ...

Ja ja, genau, alles richtig. Aber das ist selbst mir zu hart um diese Uhrzeit, außerdem bin ich da nicht so mit Weisheit beschlagen.

Dann lassen wir es! Du kommst ursprünglich aus Weilheim. Hast deine Jazzlehrjahre in Amerika verbracht. Warum bist du zurückgekommen?

Ich hab mein Studium unter anderem dadurch finanziert, dass ich viel in Europa gespielt habe. Irgendwann war es bequemer, wieder hier zu bleiben. Außerdem hatte ich keinen Bock auf den dauernden Visumsstress.

Ganz profane Gründe also! Es gab keine musikalischen Argumente? Dass du dich hier beheimateter oder wohler fühlst oder so...?

Musikalisch ist New York der beste Platz der Welt. Schon allein, weil es dort die geilsten Schlagzeuger gibt. Aber: der Sicherheitsaspekt spielte bei meiner Entscheidung eine wesentliche Rolle. Wenn du Familie hast, willst du nicht zehn Jahre in New York von Bohnen und Reis leben, das war nicht mein Ziel. Das ist mir zu anstrengend.

Der Konkurrenzdruck in New York ist auch sicherlich höher als in Weilheim?

Druck ist falsch ausgedrückt. Es ist weniger Konkurrenz denn Inspiration. Die Leute unterstützen sich dort viel mehr.

Weil du von Inspiration sprichst. Der amerikanischen Jazzszene sagt man ja im Moment nach, dass sie nicht besonders inspiriert ist. Dass die Erneuerung des Jazz im Augenblick eher in Europa statt findet ...

Als ich 1990 nach Amerika ging, war die von den Marsalis-Brüdern losgetretene Revival-Welle "in". Inzwischen ist dieser Boom vorbei, und es gab ein paar Jahre Stillstand. Man wusste nicht so genau was passiert. Was in Europa gerade stattfindet, ist, dass sich Elemente aus der Popmusik im Jazz breit machen; z.B. das Bandgefühl, die Bandphilosophie. Es gibt ja viele Rockbands, die nicht aus virtuosen Musikern bestehen und doch phantastische Bands sind. Andererseits gibt es im Jazz Bands mit phantastischen Musikern, die es nicht schaffen, einen Bandsound zu entwickeln. Diese Philosophie aus dem Pop überträgt sich gerade auf den Jazzbereich. Ein gutes Beispiel dafür ist das Esbjörn Svensson Trio, das gestern nach uns gespielt hat. Es war phantastisch! Ich glaube das ist ein sehr wichtiger Aspekt, dass man versucht, alles für die Band zu geben.

Wie wirkt sich das bei Enders Room aus?

Das Bandkonzept ist eigentlich, sich selbst zugunsten der Musik zurück zu nehmen. Das bedeutet, beispielsweise kein 20-Minuten-Solo zu spielen. Am Jazz stört mich, dass es viele Formationen gibt, in der vier Virtuosen aneinander vorbei spielen. Ich glaube, das hat dem Ruf des Jazz geschadet. Wenn Leute zehn Jahre zusammen spielen, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn man mal schnell zwei, drei Tage jammt und dann ins Studio geht und eine Platte aufnimmt.

Ist diese neue Bandphilosophie ein Aspekt der Weilheimer Szene? Euch wird nachgesagt, dass ihr mit innovativen Ideen die musikalische Entwicklung, nicht nur des Jazz, vorantreibt. Seid ihr euch dessen bewusst?

Das ist wie bei einem Konzert. Von außen kann man es besser beurteilen. Ich selbst bin mir dessen nicht so bewusst. Ich denke nicht darüber nach, etwas neues zu schaffen. Es passiert einfach. Und ob es wirklich so neu ist, weiß ich nicht genau. Aber im Moment funktioniert es sehr gut ...

Ich zitiere: "Wir machen alles, was verboten ist, wenn man eine Jazzprüfung an irgendeinem europäischen Konservatorium bestehen will".

Der Spruch kommt vom Micha Acher. Es geht darum, Grenzen nieder zu reißen und Regeln zu brechen. Aber darum geht es im Jazz schon immer.

Welche Regeln brecht ihr?

Es geht darum, ein gewisses Checkertum, eine Routine zu vermeiden. Es ist gefährlich, wenn sich in der Musik Routine einstellt; wenn man immer korrekte aber letztlich uninspirierte Sachen abliefert; wenn man jeden Abend gut klingt, aber die Kreativität außer Acht lässt. Am Jazz gefällt mir, dass man ein Risiko eingeht. Auch das Risiko, nicht gut zu klingen. Nur wenn alle alles riskieren entstehen die interessanten Sachen. Wenn man sich auf der Ebene einpendelt, dass es routiniert und immer ganz o.k. ist, wird es langweilig. An machen Hochschulen wird man sogar dazu ausgebildet immer o.k. zu klingen.

Bob Belden hat einmal behauptet, "man sollte bei einem Konzert die Augen schließen können und dann Bilder vor dem imaginären Auge sehen. Aber bei vielen Leuten von heute stellt sich mir nur das Bild eines Klassenzimmers von Berklee ein" (DIE Hochschule des Jazz, Anm. d. Red.)

Das ist genau das, was ich damit sagen will. Hochschulen bergen eine totale Gefahr. Ich war auch zwei Jahre in Graz am Jazzkonservatorium. Es war eine schöne Zeit, aber dann hat es mir gereicht. Ich wollte mich nicht glatt bügeln lassen. Man darf sich seine Ecken und Kanten nicht wegfeilen lassen.

Das Interview führte Kai Kopp

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