laut.de-Kritik

Simpelste Durchhalteparolen als Gipfel der Erkenntnis.

Review von

Die Musik von Johannes Oerding eckte bisher nirgends an. Nun möchte er mit "Konturen" allerdings "klare Kante" beweisen. Es gibt nämlich Themen, die "dringend laut ausgesprochen werden müssen", so der 37-Jährige in einem Statement. Es befinden sich daher "mehr politische Songs" auf dem Album. Der Wahl-Hamburger möchte letzten Endes nicht einfach nur Material für seine 2020er-Tournee haben. Seine Botschaften sollen tatsächlich Gehör finden.

So singt er zu Akustik-Gitarren-Klängen nebst "Eh-Oh"-Chören in "Besser Als Jetzt", dass es "uns allen doch eigentlich ganz gut" stehe, "'ne Ecke mehr Mut" zu zeigen, denn "wir leben auf 'nem Vulkan" und "alles brodelt, zischt und raucht". Dabei setzt er aber der "Richter und Henker"-Mentalität in unserer Gesellschaft auch nicht mehr als eine aufbauende Mutmach-Parole im Chorus entgegen: "Komm, wir machen's besser als jetzt." Hauptsache, man äußert über die momentanen Missstände überhaupt seine Meinung, sei diese auch noch so oberflächlich und schwarz/weiß. Das unterscheidet sich auch nicht grundlegend vom lauten "Geschrei" in den sozialen Netzwerken, das er im Text beklagt.

Facebook und Co. müssen aber trotzdem für alles herhalten, das grundlegend falsch läuft. "Wir entfernen uns Klick für Klick von dem, was eigentlich wirklich ist", heißt es zu einer aufjaulenden E-Gitarre und ein wenig Fingergeschnippe in "Anfassen". "Ich will mich nicht mehr anpassen", gibt Oerding entschlossen im Refrain zu verstehen, tut es aber dennoch ununterbrochen, indem er seinen Hörern einfachste Sentimentalitäten und Durchhalte-Parolen als Gipfel der Erkenntnis vorgaukelt, was sich ja schon bei Mark Forster, Max Giesinger und Konsorten verkaufstechnisch bewährt hat.

"Es wird Zeit für 'ne Revolution", schießt es zwar zu flachen Allerwelts-Synthies in "Anfangen" spontan aus seinem Mund, doch etwas Grundlegendes zur Verbesserung der Zustände liefert er nicht gerade. Zudem verläuft die Gesellschaftskritik spätestens ins Leere, sobald man es mit seiner aufgesetzten guten Laune in seinen Refrains zu tun bekommt.

Wir "wissen nicht, wohin es geht", beklagt er in "Blinde Passagiere" in feuerzeugschwenkender Manier zu sentimentaler Piano-Untermalung in Anlehnung an Westernhagens "Freiheit". Das weiß er allerdings auch nicht so richtig. "An Guten Tagen" blickt er jedenfalls "vielleicht nach vorn, doch nie zurück".

Eventuell reicht es aber auch vollkommen aus, dass sich Oerding mit dem Status Quo begnügt, so lange es noch genug Menschen gibt, die seine Scheingefühle als das Taj Mahal des Songpoetentums ansehen. "Wenn ich gewollt hätte, dass alles anders ist, dann hätte, würde und könnte, doch ich bin gerne ich", gesteht er in "Vielleicht Im Nächsten Leben" zu 4/4-Beats aus der klanglichen Discount-Abteilung. Der Refrain wartet dann noch obendrein mit "Oh-Oh"-Chören aus den niedersten Katakomben der Deutsch-Pop-Hölle auf. Da geraten der menschliche "Hass" und "Egoismus", die Oerding ständig bejault, schneller in Vergessenheit, als Lucky Luke seine Waffe ziehen kann. Es lässt sich darüber doch einfach hinwegtanzen.

Das Leben ist schließlich genauso geil wie Oerding selbst, obwohl es nicht immer aus Höhen, sondern auch mal aus Tiefen besteht, wie die pathosgeschwängerte Piano-Ballade "Ich Hab Dich Nicht Mehr Zu Verlier'n" verdeutlicht. Die handelt von einer Trennung, die er gemeinsam mit seiner Liebsten, Ina Müller, im Duett singt. Jedenfalls schließen sich "Wahrheit und Unsinn" sowie "Stärken und Wunden" nicht aus, wie er mit rauchigem Gesang in "Unter Einen Hut" betont. Einer tiefsinnigen Logik folgen seine Gedankengänge ja eh nicht, sondern nur einem "eventuell", "vielleicht", "hätte" oder "könnte", ganz nach dem Motto: Mal schauen, wird schon. Als Hörer begegnet man ihnen schon rein aus dem Bauchgefühl heraus mit einem ergänzenden "Oh-Oh-Eh-Oh". So etwas wie Konturen sucht man jedenfalls vergeblich.

Musikalisch funktionieren die Tracks größtenteils nach dem Baukasten-Schema: viel Akustik-Gitarre und noch mehr Piano im Chorus, der in einem von kraftvollen E-Gitarren- oder schmalzigen Streicher-Klängen dominierten Refrain mündet. Wenn diese Mittel nicht mehr genügen, um die Gefühligkeit der Texte zu unterstreichen, müssen wie in "Blinde Passagiere" schon ganz harte Geschütze wie ein Kinderchor zum Einsatz kommen.

Lediglich in den letzten beiden Songs verzichtet der gebürtige Münsteraner auf unnötigen Schnickschnack und besingt zu sparsamer Akustik glaubwürdig seine Verlustangst. Eventuell hätte er sich den Ratschlag Ina Müllers mehr zu Herzen nehmen sollen, sich wieder stärker auf diese musikalische Seite zu besinnen. Was Emotionalität, gepaart mit einem gehörigen Schuss Kante betrifft, kann er sich von ihr nämlich eine Menge abschauen. Ansonsten nisten sich seine Stücke mit der größtmöglichen Penetranz und Trivialität genau dort ein, wo es während des Hörens seiner Tonträger besonders wehtut, nämlich in den Ohren.

Trackliste

  1. 1. An Guten Tagen
  2. 2. Alles Okay
  3. 3. Blinde Passagiere
  4. 4. Anfangen
  5. 5. Unter Einen Hut
  6. 6. Anfassen
  7. 7. Ich Hab Dich Nicht Mehr Zu Verlier'n
  8. 8. Besser Als Jetzt
  9. 9. K.O.
  10. 10. Vielleicht Im Nächsten Leben
  11. 11. All In
  12. 12. Wenn Du Gehst
  13. 13. Benjamin Button

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