laut.de-Kritik

Die getriebene Synthie-Rock-Melange widerspricht dem Film-Defätismus.

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Seine Meriten hat er sich vor allem als Regisseur intelligenter Horror- und Science-Fiction-Filme erworben. Seit einigen Jahren konzentriert sich John Carpenter gänzlich auf die Musik, die ihm heute "so viel leichter von der Hand" gehe, wie er einmal betonte. 2015 veröffentlichte er "Lost Themes", sein "Debütalbum mit nicht-filmischer Musik". Schon damals hatten ihm sein Sohn Cody Carpenter und sein Patenkind Daniel Davies zur Seite gestanden, obgleich es als Solowerk des "Halloween"-Komponisten vermarktet wurde. Mittlerweile treten die drei Musiker in aller Regel als festes Trio auf.

Von "Halloween" bis "Halloween Ends" begleiteten sie die Neuauflage des populären Slasher-Franchise musikalisch. 2022 setzten sie ihre Synthie-Rock-Melange unter die Stephen-King-Verfilmung "Firestarter". Nun treten sie auch im Rahmen von John Carpenters "Soundtracks für die Filme in deinem Kopf" als Team auf. "Lost Themes IV: Noir" widmet sich dem Film noir, jenem Genre, das in den 1940er und -50er Jahren reüssierte. Pessimistische Schwarz-Weiß-Filme über durchtriebene Frauen und desillusionierte Männer, die sich zumeist einem Kriminalfall widmen müssen.

Schon auf dem Papier hinkt das Konzept. Der Film noir setzte vorwiegend auf die orchestrale Musik seiner Zeit wie die von Adolph Deutsch zu John Hustons Regiedebüt "Die Spur Des Falken" (1941) oder von Miklós Rósza zu Billy Wilders "Frau Ohne Gewissen" (1944). Etwas ausgefallener mochte es Orson Welles, in dessen "Im Zeichen Des Bösen" (1958) Latin Jazz von Henry Mancini zu hören ist. Dem elektroaffinen Trio ist das durchaus bewusst, wie Daniel Davies bestätigt. Dennoch sei die Verbindung zum Film noir auf ihrem Album "etwas, das man instinktiv versteht, wenn man es hört".

Das ist ausgemachter Unsinn. Für sich genommen gibt "My Name Is Death" eine ganz hervorragende Hintergrundbeschallung ab. Vor allem im Mittelteil bekommt der Song etwas ungeheuer Organisches, wenn das Herz lautstark pumpt und die letzten schwere Atemzüge ertönen, bevor es in einen fast resignativen elektronischen Teil abdriftet. Mit Film noir haben der treibende Bass, die Synthie-Elemente und die dominante E-Gitarre aber sowohl instrumentell als auch stilistisch herzlich wenig zu tun. Die Musik des Trios hat vielmehr etwas Zwingendes an sich, das dem Film-Defätismus geradezu widerspricht.

Es braucht schon die Hilfestellung von Regisseur Ambar Navarro, der im Video zu "My Name Is Death" alle erdenklichen Kennzeichen des filmischen Genres auflistet. Da werfen Personen und Jalousien auffällige Schatten an die Wände. Schwarz-Weiß-Bilder zeigen vor Schreck weit aufgerissene Augen und Münder. Die Presse berichtet über einen Mörder, der sein Unwesen treibt. Eine Lippenstift nachziehende Femme fatale verdreht dem alkoholkranken Detective den Kopf. Das Team um Carpenter kennt offensichtlich seine Vorbilder, aber was sie selbst erzählen wollen, bleibt bis zum Abspann unklar.

Musikalisch bleibt es plakativ. "Last Rites" baut sich um einen beständigen Gitarren-Loop auf, wechselt in eine nachdenklichere Keyboard-Phase, bis die drei Musiker so beherzt in die Saiten greifen, als wollten sie den Auswahlmodus eines Kampfspiels untermalen. "Kiss The Blood Off My Fingers", lautet die Anweisung, der die Carpenters allzu gerne Nachdruck verleihen. Und filigran bewegen sich die Finger über das Keyboard, bis sich "The Demon's Shadow" monströs aus der Tiefe erhebt. "Lost Themes IV: Noir" klingt fast durchweg getrieben und frei von hintersinnigen Grautönen.

Einzig "The Burning Door" zieht die Handbremse an, um Platz für Reflexion und etwas Mutlosigkeit zu schaffen. Die beiden Carpenters und Davies geben sich kleinlauter, suchender, womöglich sogar verzweifelter. Und anstelle der immer leicht störenden Rock-Einflüsse weht ein Hauch von Grabesstimmung durch das feinsinnige Stück. Ähnlich kühn zeigen sie sich sonst nur noch im gespenstischen Schlussakt "Shadows Have A Thousand Eyes". Wer das Film-Genre goutiert, wird sonst keine Parallelen erkennen. Und wem es fremd ist, der wird gar nicht erst versuchen, das Konzept zu hinterfragen.

Trackliste

  1. 1. My Name Is Death
  2. 2. Machine Fear
  3. 3. Last Rites
  4. 4. The Burning Door
  5. 5. He Walks By Night
  6. 6. Beyond The Gallows
  7. 7. Kiss The Blood Off My Fingers
  8. 8. Guillotine
  9. 9. The Demon's Shadow
  10. 10. Shadows Have A Thousand Eyes

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