laut.de-Kritik

Ein gutes Album, den Längen zum Trotz.

Review von

In Zeiten, in denen Longplayer tendenziell eher kürzer geraten und auf Streamingdiensten Songs bevorzugt werden, die knapp gehalten sind, ist ein fast 75 Minuten langes Album mit nur zwölf Titeln schon eine Ansage: John Grant hat weiterhin Bock und nimmt sich den Platz, den sein Schwelgen und Beklagen benötigt. Nun, in den letzten Jahren gab es ja auch so einiges zu lamentieren und überhaupt: "Life is a battlefield each day" heißt es in "Just So You Know".

Immer noch verarbeitet Grant in den Songs seine Sexualität, mit der er lange haderte, und seine Jugend insgesamt, die er in Colorado und Michigan verbrachte. Die Vereinigten Staaten, denen er vor knapp zehn Jahren den Rücken kehrte, lassen ihn aber auch abseits seiner eigenen Geschichte nicht los, und so erklärt er im knapp zehnminütigen "The Only Baby", wie Trump passieren konnte, arbeitet sich am American Dream ab und ist dabei nicht immer zimperlich: " So you ventured out into the new world / To spread your seed in every land you could find / To take by force, whatever you could get your hands on / You said: 'We're gonna take whatever place on the map my finger lands on'".

Die ersten drei Songs der Platte spielen noch in Michigan, Grant erzählt von seiner Jugend, immer wortgewandt und spannend. Der Titeltrack, der das Album eröffnet, führt ganz smooth in diese Welt ein, handelt etwa von Bertha Wrunklewich, einer Bekannten von Grants Mutter, dem Catherine Park und Conny's Car. Durch die zahlreichen Details, mit denen Grant arbeitet, zieht er seine Zuhörer*innen in seine Songs hinein. Die Texte kann man auch gut als kleine, schmucke Geschichten abseits der Musik lesen, sie sind die eindeutige Stärke dieses Albums.

Mit seiner guten Freundin Cate Le Bon, die das Album produziert hat, hat sich Grant klanglich wieder stark ausgedehnt, so wie man es von seinen bisherigen Platten schon gewöhnt ist. Diesmal aber verlangt der Amerikaner stellenweise etwas zu viel Geduld und guten Willen, ihm durch verschiedene Genres zu folgen. Recht unaufgeregte Piano-Balladen wie das bereits erwähnte "Just So You Know" oder der wunderbare Closer "Billy" erinnern an Father John Mistys Album "Pure Comedy", stehen aber ungelenk neben Electro-Artpop-Songs wie "Your Portfolio", "Best In Me" oder dem an Devo angelehnten "Rhetorical Figure", das durch seine Hektik und den eigensinnigen Gesang ein kleiner Stolperstein in der Mitte des Albums ist.

Leider erklärt sich die lange Laufzeit der Stücke meist nicht recht und Kürzungen täten vielen von ihnen gut. Schon "Boy From Michigan" gönnt sich ein knapp zweiminütiges Intro, das zwar wie eine sympathische Hommage auf Vangelis klingt, aber wenig mit dem Rest des sonst so angenehmen Songs zu tun hat. Interessant, dass ausgerechnet "The Only Baby", das Stück mit der längsten Laufzeit, so rund geraten ist und besonders mit der fantastischen Klimax gegen Ende begeistert, in der Grant sich wieder und wieder die Kernzeile des Tracks von der Seele singt: "That's the only baby that bitch could have".

"The Cruise Room" ist ebenfalls sehr gelungen. Textlich hängt Grant hier in Erinnerungen an den Vorabend einer Deutschlandreise, den er in einer Hotelbar in Denver verbrachte: "I see you in the pink art deco glow / On the Cruise Room / I see you not knowing all the things we didn't know / At the Cruise Room". Die allgegenwärtige Melancholie wird hier untermalt von bezaubernden Klarinetten-Einwürfen.

"Mike And Julie" wiederum erzählt von einer Jugendliebe, auf die sich Grant nicht einließ, weil er zu seiner Homosexualität noch nicht stehen konnte. Es sind die stärksten Momente des Albums, wenn Grant seine innersten schmerzbehafteten Gedanken offenlegt, ehrlich und nahbar ist: "I don't want to hear what I think you might say / You know what you want and I'm much too afraid / And I only feel shame and that makes me feel rage at myself". Diese Momente sind es, die “Boy From Michigan” trotz seiner Längen zu einem guten Album machen.

Trackliste

  1. 1. Boy From Michigan
  2. 2. County Fair
  3. 3. The Rusty Bull
  4. 4. The Cruise Room
  5. 5. Mike And Julie
  6. 6. Best In Me
  7. 7. Rhetorical Figure
  8. 8. Just So You Know
  9. 9. Dandy Star
  10. 10. Your Portfolio
  11. 11. The Only Baby
  12. 12. Billy

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