laut.de-Kritik
Lennons Genialität rechtfertigt jede Compilation.
Review von Benjamin FuchsEs weihnachtet wieder. Im Supermarktregal stehen Paletten mit Lebkuchenherzen und Spekulatius. Im Plattenladen bricht die goldene Zeit der Best Of-Compilations an. Alles wie immer also. Was für eine geradezu göttliche Fügung, dass John Lennons Geburtstag am 9. Oktober genau in diese Zeit fällt. Ein Ablassbrief der Sonderklasse, es handelt sich zum 65. Jahrestag seit Lennons Lendensprung also nicht um eine typische Weihnachtsgeschäftsplatte. Am 8. Dezember bietet sich mit dem 25. Todestag gleich noch ein weiterer Rechtfertigungsgrund für einen Sampler. Man könnte auch sarkastisch anmerken: Gott hat hier gleich doppelt ein Gespür für kapitalistisches Timing bewiesen. Happy Geburts- und Todestag also.
Zwar gibt es bereits einige Zusammenstellungen von Songs des Working Class Heroes. Der vorliegende Kanon ist so etwas wie "Lennon - Alles, was Du gehört haben solltest" und der kompilierende Musik-Schwanitz, der sich in diesem Fall dem Licht der Öffentlichkeit entzieht, hat einen guten Job gemacht. Diese Scheibe ist sicher nichts für "Die-Hard"-Fans des einstigen Friedens-Derwischs, aber sicher für alle, die sich mit Lennon beschäftigen wollen, ohne jedes Album kaufen zu müssen.
Gerade im Fall des halbdesaströsen "Double Fantasy" ist das von Vorteil. Jetzt muss man nicht mehr nach jedem zweiten Song zum Plattenspieler laufen, um die zum Teil stark unter Kunstverdacht stehenden Ono-Stücke zu verhindern. So finden sich mit "(Just Like) Starting Over", "Woman", "I'm Losing You", "Beautiful Boy (Darling Boy)" gleich vier der melodischeren Songs dieser schrägen Liebesangelegenheit vor. Gleichzeitig steht hier aber auch die Frage im Raum, ob sich Michael Jackson eigentlich bewusst den Anfang von "Woman" für sein "Black Or White" einverleibt hat.
Nach dem Opener ist es schon Zeit für "Imagine", das kürzlich eine Werbekampagne eines Energiekonzerns missbrauchte. Aufgeregt hat das eigentlich niemanden, zynisch ist es aber trotzdem. Irgendwie so, als würde George Bush "Give Peace A Chance" zur US-Hymne erklären. Beim Hören von "Instant Karma! (We All Shine On)" steigen unweigerlich die Bilder eines Basketballfeldes vor meinem geistigen Auge empor. Was Lennon mit Basketball am Hut hatte? Zu Lebzeiten recht wenig. Dennoch war dies mein erster bewusster Kontakt mit John Lennon - ich war gerade mal zehn Jahre alt. Verdammt sei der Sportartikelhersteller, der für mich auf Lebenszeit mit dem Namen John Lennons verbunden sein wird.
Ob "Stand By Me" und eine Live-Version von "Come Together" sein müssen, ist fraglich. Weh tun sie aber auch niemandem. "Nobody Loves You (When You're Down And Out)" dagegen schon. Ist es doch eines der schönsten Lennon-Stücke.
Beim Hören der beiden voll gepackten CDs offenbart sich ein weiteres mal, welch schier endlose kreative Schaffenskraft John Lennon besessen hat. Eine fantastische Ballade reiht sich an einen genialen Popsong usw.. Staunen. Faszination. Ungläubiges Kopfschütteln. Ja, John Lennon verdient auch heute noch alle Aufmerksamkeit. Sein eindrucksvolles Werk würde auch noch tausend Compilations rechtfertigen, wenn sie nur dazu dienen, das Liedgut weiter zu tragen. Da bedarf es noch nicht einmal eines Todes- oder einen Geburtstages als Vorwand.
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Nobody Loves You (When You're Down And Out)
Alter bluesstandard, nicht von lennon