laut.de-Kritik

"Friede den Rappern, Krieg der dummen Masse."

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"Ich bin wie ihr und für mein R.E.S.P.E.C.T. jetzt hier." Juse Ju lässt die Zeit der Tiefstapelei hinter sich. Statt sich selbst vor Höhenflügen zu warnen, gilt es nun mit "Untertreib Nicht Deine Rolle" den eigenen Wert zu betonen. Immerhin lässt er sich nicht mehr unbedingt in die Kategorie Newcomer einsortieren. Bereits der wiederholte Gebrauch des altehrwürdigen Schmähbegriffs Toy offenbart, dass sich der Erfahrungshorizont des Rappers über mehr als 15 Jahre erstreckt: "Ich spielte schon Shows als Dendemann noch mit Eins Zwo seine Kreise zog."

Dass er in den Jahren eine Reihe missliebiger Trends und beneidenswerter Karrieren mitverfolgen musste, schlägt sich textlich in "Friede Den Rappern" nieder: "Der Neid in mir war stark und plötzlich hasste ich Prinz Pi. Dabei hasste ich nicht ihn. Ich hasste all die Teens, all die Hypes, all den Scheiß und die Massenhysterie, die prätentiösen Schnösel aus der Plattenindustrie. Gut, ich find' sie halt auch kacke, seine Musik". Gefangen im Klammergriff des Marktes muss sich selbst das Berliner Urgestein künstlerische Integrität erstmal leisten können: "Von Idealen kann auch Pi nicht seine Miete zahlen".

So stellt das Konsumentenverhalten das weitaus größere Problem dar. Die tumbe Masse erklärt den Studentenrap zum Feindbild, um sich stattdessen den "schweren Jungs" an den Hals zu werfen: "Die Regel, der du folgst, ist: Wen find' ich toll? Der Pisser darf dann alles und hat Ehre und Stolz. Und der Biedermann leckt wieder mal die Schuhe ab." Dabei erkennen die Fans in "Biedermann Und Die Brandstifter" gar nicht die offensichtlichen Widersprüche in der Außendarstellung ihrer Idole: "Erst Gott um Vergebung, danach Gangstereskapaden. Erst Freunde fürs Leben, dann die Trennung auf Raten."

Mit den zahlreichen Ehrenmännern in und außerhalb des Hip Hop-Kosmos rechnet Juse Ju auch im Beitrag "Männer" ab, der als Update zu Herbert Grönemeyers Klassiker die mit modernen Begriffen versehenen Phänomene des Mansplainings und der toxischen Maskulinität ausformuliert. "Echte Männer haben das Recht, für ein 'Hurensohn' dich umzulegen. Aber nennen sie dich so, hast du das mal so hinzunehmen". Der eingeweihten Zuhörer erinnert sich wohlig an die "Rap-am-Mittwoch"-Ausgabe, als MC Bogy in einer eng verwandten Angelegenheit im Battle mit Atzenkalle die Gesetze der Logik außer Kraft setzte.

Mit bescheidener Klavierbegleitung übt sich Juse Ju in "Männer" an einem theatralischen Vortrag, der in seiner Überhöhung die große Geste imitiert, mit der viele seiner Geschlechtsgenossen die eigene Kümmerlichkeit zu überdecken versuchen. "Sie wittern die Verschwörung, sobald sie mal verlieren", lässt die jämmerliche Haltung eines Donald Trump durchscheinen, dem Posterboy für die sich nach einem vermeintlich starken Führer Sehnenden. Währenddessen besteht die ganze Tragödie ihres Daseins in absolut fehlender Lernfähigkeit: "All meine Probleme sind seit Jahren dieselben, aber ich sitze ganz oben auf dem Pavianfelsen".

Mit "Das Leben Ist Schön" findet sich auch weniger Bedeutungsschweres auf der EP. Übergangslos wie bei einer Büttenrede wirft der gebürtige Schwabe Themen auf und lässt sie wendungsreich ins Leere laufen. Mitunter wirkt der Humor des assoziativen Textes zwar ein wenig altbacken, erweist sich dann aber doch immer wieder als treffsicher: "Rap kommt von der Straße, von der Maximilianstraße. Weil Louis Vuitton und Gucci ihre Boutiquen dort haben". Der Schunkel-Chorus hinterlässt jedoch ein Fragezeichen.

"Untertreib Nicht Deine Rolle" schwingt zwischen den Positionen und bleibt nicht nur "politisch sehr ambivalent". Dexter zaubert dem Hauptdarsteller mit "Becoming Juse Ju" etwa eine musikalische Grundlage, die sowohl trappig daherkommt als auch Boom-Bap-Flavour aufweist. Und Juse Ju mimt unterdessen den Pavian, der in einer College-Jacke steckt. Am Ende kristallisiert sich bei aller Ambivalenz zumindest die Ablehnung des Herdentriebs als unverrückbare Haltung heraus: "Friede den Rappern, Krieg der dummen Masse."

Trackliste

  1. 1. Becoming Juse Ju
  2. 2. Das Leben Ist Schön
  3. 3. Friede Den Rappern
  4. 4. Männer
  5. 5. Biedermann Und Die Brandstifter
  6. 6. S.D.W.A. (mit Curly)

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5 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Hört sich wirklich endlos wack an...da kann ich nichtmal nen Schwaben-Bonuspunkt vergeben.

  • Vor 5 Jahren

    Ist richtig richtig gut. 4/5 geht klar, ich habe mich noch nicht zwischen vier und fünf entschieden.

  • Vor 5 Jahren

    Textlich und musikalisch eigentlich ganz geil, aber leider rollen sich mir bei seiner Stimme und dem Habitus Fuß- und Zehennägel auf. Der findet sich in seiner moralischen Überlegenheit so ungebrochen selbst geil, dass man ihm in seine Ramensuppe pinkeln möchte. Dieser Männer Song wäre bei Rainald Grebe klargegangen, aber Rap ist halt kein Kabarett.

    • Vor 5 Jahren

      Die Stimme ist in der Tat gewöhnungsbedürftig, den Rest sehe ich anders.

      Zunächst Mal bzgl "Männer": Rap ist kein Kabarett, aber der Song enthält Rap, und allgemein halte ich es für fragwürdig, Rap/Hip-Hop so konservativ zu definieren. Selbst wenn, die Platte enthält viele Verweise auf die deutsche "Hip-Hop-Kultur", und nur weil ein Song übliche Konventionen missachtet gleich einen auf Hiphop-Polizei zu machen finde ich unangebracht.

      Versteh mich nicht falsch, nichts gegen deine Meinung und deinen Geschmack, ist auch nicht richtiger oder falscher als meins.

      Ich glaube auch nicht, dass der sich so geil findet, nur teilweise^^ Sehe in ihm er eine Mischung aus Hybris und Selbstzweifel. Und was wären Moralvorstellungen ohne die Überzeugungen, dass diese richtig sind? Naja, gut, allgemein verstehe ich den Punkt schon ein bisschen...

  • Vor 5 Jahren

    "Hey Baby, ich bin Spiderman, nur ohne die Superkraft. Ein nerdiger Looser-Spast, den keiner kennt, aber kein Problem."

    'Nuff said, auch wenn das eigentlich Ironie sein soll.