laut.de-Kritik
Hook-Sternchen? Von wegen: eines der Sommeralben des Jahres.
Review von Thomas HaasTrotz aller Anzeichen und Indizien kommt es doch überraschend: Kali Uchis, die bisher vorrangig als Kollaborateurin von Tyler, The Creator oder den Gorillaz in Erscheinung getreten ist, emanzipiert sich von ihrer öffentlichen Wahrnehmung als Hook-Sternchen und legt mit "Isolation" gar eines der besten Sommeralbum des Jahres hin.
Zwar wussten Szenebeobachter spätestens seit ihrer "Por Vida"-EP, wie fein und auch eigenwillig ihr Gespür für überzuckerte Melodien und sirupartig verlangsamte Instrumentals sein kann. Auf "Isolation" aber breitet sie ihr vielschichtiges musikalisches Verständnis noch weiter aus. Das Ergebnis ist ein Album voller California-, Feminismus- und Vintage-Ästhetik.
Der Grund für diese musikalische Bandbreite ist schnell ausgemacht: Auf den insgesamt 15 Songs versammelt Kali eine illustre Auswahl an hochveranlagten Produzenten in der zweiten Reihe - und umgeht so die große Gefahr, ein zerfahrenes und zusammenhangloses Album abzuliefern. Stattdessen schütteln Sound-Koryphäen wie Tame Impalas Kevin Parker, Damon Albarn, Sounwave, Thundercat, BADBADNOTGOOD oder DJ Dahi eine spannende Genremixtur aus dem Ärmel, die Pop neue Wege aufzeigt.
"Body Language (Intro)" eröffnet mit jazzigen Tönen, Kali empfängt den Hörer mit ihrer unnachahmlichen Stimme: "Just come closer, closer, closer, closer, closer/ I wanna know who you are". Überhaupt pflegt sie ein direktes und erfrischend schwungvolles Narrativ. Spricht sie über vergangene Liebeleien, geht das zwar mit melancholischem Touch einher, der Grundtenor bleibt aber stets selbstbewusst. In "Dead To Me" tönt Kali: "See, I am not your enemy, oh oh / But if there's one thing that I know / Is that you ain't a friend to me, uh oh / So don't come for me unless I send for you / Know you’re dead to me".
Daneben nimmt das Motiv der gedankenversunken und glücklichen Träumerin viel Raum ein. In der großartigen Synth-Pop-Nummer "In My Dreams", die an Albarns große Tage erinnert, läuft Uchis zu Höchstform auf. Mit sagenhafter Leichtigkeit schwebt sie über dem Beat, bevor sie zu einer rasanten Hookline ansetzt: "Everything is just wonderful here in my dreams / Every day is a holiday when you're living inside your dreams". Das folgende, verschlafene Interlude bildet dazu einen charmanten Kontrast.
Sowieso fällt es schwer, einzelne Songs hervorzuheben. Kali Uchis war zwar immer eine Genre-Grenzgängerin, so konsequent und abwechslungsreich wie auf "Isolation" glückte ihr diese Gratwanderung allerdings noch nie. Ob mit Neo-Soul, Uptempo-R'n'B, Reggaeton oder Funk – die kolumbianisch-amerikanische Sängerin versieht alle Stücke des Albums mit ureigenem Style und überlässt den zahlreichen Gäste die Nebenrollen. Dafür spielt sie mit Klischees und Witz, singt auch auf Spanisch und schert sich ohnehin nicht viel um die Meinung anderer. Ihr großer Auftritt eben.
Nach zahlreichen Highlights wie dem Steve Lacy-assistierten "Just A Stranger", Jorja Smiths Gastauftritt ("Tyrant") oder dem von großartigem Live-Jazz untermalten "Your Teeth In My Neck" schließt das Album mit der Slow Jam-Ballade "Killer". Den Song schrieb die heute 24-Jährige mit 17 Jahren, als sie für wenige Monate in einem Van lebte. Wenn sie nun mit roher Stimme und viel Herzschmerz singt: "If you loved me, you'd never do this/ No, if you loved me, you wouldn't put me through it / That makes you a killer, a killer, a killer", dann lassen sich die häufig geäußerten Amy Winehouse-Vergleiche nachvollziehen.
"Isolation" hat seinen Platz als spannendes, vielseitiges und vielleicht auch richtungsweisendes Popalbum in die Bestenlisten 2018 jetzt schon inne. Und wir reden hier von einem Debütalbum.
7 Kommentare
Unterschreibe jedes einzelne Wort. Killeralbum für warme Sommertage.
AOTY jetzt schon!
Gleich im Intro wird man mit Bossa Nova-Vibes begrüßt, die stellvertretend für die Bandbreite der Platte stehen. Großartig, ein ebenso graziles wie kantiges Album in einer Zeit zu hören, in der Pop fast nur noch digitaler Einheitsbrei aus dem Computer ist, wie etwa das jüngst erschienene 30 Seconds to Mars-Machwerk.
durch tyler auf sie gekommen. gute frau, gutes album. klingt so als ob es in 20 jahren noch toll klingt.
Gute Ansätze vor allem in der ersten Hälfte des Albums, mit Anklängen an Eryka Badu. In der 2. Hälfte rutscht die Musik leider teilweise etwas ins Belanglose, poppig-künstliche ab.
Krass, dass ich das jetzt erst entdeckt habe. So sinnlich und schön kann Pop sein! Hat sich übrigens nebst FKA Twigs - LP1 zu meinen Lieblings R&B Platten gemausert.