laut.de-Kritik
Kreativer Indie-Pop für mich und meine Mutti.
Review von Julian VölkerWoran denkt man bei einer sechsköpfigen Crew aus Leipzig? Alternative CEOs mit großen Visionen? Großstadt-Muttis mit einer Liebe für Öko-Läden und teuren Cafés? Oder doch einfach nur eine Gruppe Hipster mit Vokuhilas? Tatsächlich rockte Karl Die Große-Sängerin Wencke Wollny die Legenden-Frisur der 80er Jahre eine Zeit lang. Mit CEOs und Großstadt-Muttis hat ihre Musik jedoch nichts zu tun. Nach ihrem 2017er Debüt-Album "Dass Ihr Superhelden Immer Übertreibt" folgt nun der Großen zweiter Teil "Was Wenn Keiner Lacht". Das Album liefert deutschen Indie-Pop aus dem neuen Berlin.
"Das Dicke Mädchen Hat Es Den Berg Hochgeschafft" nennt sich der Opener und zeigt direkt, wo die Reise hingehen soll: Mit entspannten, aber kreativen Elektro-Beats und einem Stapel weicher Synthies bildet die Band ein warmes Gerüst, auf dem sich Sängerin Wencke Wollny austobt. Wer Angst vor zu viel vorhersehbarem Pop hat, wird beruhigt. Wollny übt sich hier mehr im erzählerischen Rappen als im Singen. Überhaupt gibt die Platte Radiopop-Verweigerern keinen Grund, sich zu beschweren.
"Generation A" arbeitet mit hoch gepitchtem Hintergrundgesang und abwechslungsreichen Drum- und Bass-Fills und weigert sich, verkrampft nach der großen Hook zu suchen. Kurz denkt man an Marteria, dann an Caribou. Dass Wollny auch hier erneut rappt ist, ist kein Zufall. Der Sprechgesang zieht sich wie ein roter Faden durch den ersten Teil des Albums und spiegelt sich auch in den Feature-Gästen wider: "100K" wird begleitet von Maeckes und ein emotionaler Fatoni unterstützt die Kapelle auf "On My Side".
Die ersten fünf Songs klingen wie aus einem Guss. Offenbar hatte die Band keinen Bock auf nervige Ohrwürmer im Stile vom Mia-Elektro-Pop. Auch wenn sich hier und da ein bisschen Wir Sind Helden raushören lässt, haben die Leipziger nichts mit der "Perfekten Welle" der 2006er Bands Juli, Rosenstolz und Mia am Hut. Statt festgefahrenen Songstrukturen und uninspirierten Beats tanzen mutige Drumfills durch abwechslungsreichen Pop. Das liegt auch daran, dass es die Sängerin schafft, ihren Gesang an die Musik anzupassen. Die Songs werden nicht von ihr getragen, sondern unterstützt. Häufig sind es Synthies, Delay-Gitarre oder elektronische Beats, die Aufmerksamkeit erregen und so jeden Track unterschiedlich klingen lassen. Karl Die Große scheinen mehr Bock auf Tanzen im dunklen Leipziger Kellerlicht zu haben als das neue Intro einer Sat.1-Reality-Show zu werden.
Leider macht die Band auf dem Rest des Albums einen Sprung und verliert sich bis auf "31. März" und "Schmerz Ohne Unfall" im Singer/Songwriter-Pop. Dem gehört leider auch die Single "Heute Nacht" an. Synthies und Beats tauscht die Band gegen Western-Gitarren aus und lässt sich von simplen Alibi-Drums langsam Richtung Hook treiben. Diese grenzt sich zwar dadurch, dass sie im Vergleich zur Strophe recht ruhig ist, vom typischen Radio-Pop ab, wiederholt jedoch trotzdem uninspirierte Textzeilen wie "Ja, Ja, Ja / Dass ich dir dieses Lied nie gesungen hab". "Heute Nacht" würde meiner 50-jährigen Vorstadt-Mutti, die seit 20 Jahren die gleichen Amy MacDonald und Element Of Crime-CDs pumpt, gefallen.
Bei aller Kritik, kann man der Band jedoch im kreativen Sektor der musikalischen Umsetzung wenig vorwerfen. Auch die poppigen Singer/Songwriter-Tracks sind gespickt mit wunderschönen Akkordwechseln und einfallsreicher Instrumentierung. In "Spinnweben Am Geländer“ taucht nach fünf elektronischen Songs ein Banjo auf und der süße Berlin-Liebessong "Immer Immer" wird vor allen Dingen von der ideenreichen musikalischen Umsetzung getragen.
Besonders gelungen ist allerdings "Schmerz Ohne Unfall".: Eine Elektropop-Ballade mit wärmenden Synthies und liebevollen Bläsern, deren Drumpart mit einem mutigen Loop einsteigt und den Song zum emotionalen Highlights der Platte hievt. "Was Wenn Keiner Lacht" ist ein kreatives Deutschpop-Album, von denen es in Deutschland zu wenige gibt. Und vielleicht braucht man leider vier, fünf weichgewaschene Radio-Tunes um stolz erzählen zu können, dass man bei WDR2 lief und so die verklebten Leipziger Clubs füllt.
3 Kommentare mit 9 Antworten
Hahahahahahahahahahahahaaaaaaa!
Ha war mehrfach, das müssen wir leider abziehen.
Ha abziehen tut aber weh
Stimmt. Eins wär besser gewesen.
Keins sogar noch besser.
Nö, eins muß schon sein.
Man weiß schon nach zwei Absätzen ganz genau, wie diese Platte klingen muss. Ugh.
Wer hätte damit rechnen können, dass ihr das Album wieder feiert...
Ich bleibe dabei: Kein einziger Mensch bei laut.de würde das Album gerne privat hören. Pauschale 3 Sterne für weibliche Hipster mit 80s fetisch.
"Wir bewerten Musik eigentlich immer danach, ob wir sie wirklich gerne zuhause hören wollen würden und nicht, ob es möglichst doller hipster-durchfall ist."
- Absolut niemand bei laut.de
Etwas harsch und doof, aber wenigstens eine Meinung. Hat sich hier ja eingeschlichen, selber keine zu haben und lieber die Meinungen von anderen Usern zu bearbeiten, als ob es eine wahnsinnig dolle Erkenntnis wäre, daß Meinungen nun mal doof sind.
Finds auch ziemliche Gefälligkeitsmusik, deren Zeitspanne bis zum totalen Vergessen ungefähr im negativen Bereich liegt.
Selbst wenn es so wäre, kann dir doch egal sein? Niemand zwingt dich, das zu hören, den Bewertungen Bedeutung beizumessen oder zu verstehen, dass Menschen verschiedene Geschmäcker haben und nicht jeder gerne der lieblichen Stimme von Kristoffer Jonas Klauß lauscht.
jooooooooonnnnnaaaaaaaaaaaaaaaasssssss eins acht sieeeebööööööööööönnnnnnnnn!!!! o/
Ich finde das Album richtig richtig gut. Hab meinen Uralt-Laut-Account extra mal wieder aufgetaut, um den ganzen Verriss-Kommentaren, die maximal in ein Lied reingehört haben, etwas entgegenzusetzen.
Zur Rezension an sich: Ich verstehe schon, was mit dem Bruch gemeint ist. Aber wieso eigentlich "leider" Singer-Songwriter-Pop? Ist das per se etwas Schlechtes? Zumal der Rezenst ja selber zugibt, dass es dabei weiterhin sehr kreative und überraschende Akkordwechsel und Instrumentierungen gibt. Und wenn man der Single "Heute Nacht" denn unbedingt die Gefälligkeit von Strophe und Refrain vorwerfen muss: Die Bridge konterkariert das doch total mit der sperrigen Melodie, den rhythmischen Verschiebungen und dem Bruch in der Sprache. Das ist überhaupt für mich die Stärke des Albums: Viele wohltuend sperrig klingende Momente, nach denen die Auflösung in die (meiner Meinung nach nie platte) Gefälligkeit umso stärker wirkt.