28. Mai 2024

"Manche tun so, als sei Musikerin nur ein erfundener Job"

Interview geführt von

Manchmal macht es einfach "klick". So war es, als sich Singer-Songwriterin Kathryn Williams und ihr Kollege Withered Hand kennen lernten. Mit dem gemeinsamen Album "Willson Williams" verarbeiten die beiden Freunde die Höhen und Tiefen des Lebens.

Die Liverpooler Singer-Songwriterin und Autorin Kathryn Williams lernte ihren schottischen Kollegen Withered Hand vor fünf Jahren bei einer Buchmesse in Edinburgh kennen. Die beiden Leseratten vereint eine nahezu grenzenlose Wissbegierde und die Fähigkeit, stundenlang über die großen Fragen des Lebens zu reden - sei es abends am Küchentisch oder nach einem Gig. Den beiden Freunden scheinen die Gesprächsthemen nie auszugehen. Mit ihrem ersten gemeinsamen Album "Willson Williams" gibt das Indie-Folk-Duo einen kleinen Einblick in die Dinge, die sie in den letzten Jahren bewegt haben. Da treffen schwere Themen wie die Verarbeitung von Trauer auf die Leichtigkeit eines Cat Stevens-Songs und Bogenschießen auf die Definition von Sünde.

Wir treffen Kathryn Williams und Withered Hand, der mit bürgerlichem Namen Dan Willson heißt, in einem Zoom-Call. Kathryn schaltet sich aus Edinburgh hinzu, Dan aus Newcastle. Auch wenn Dans Wifi mehrfach einfriert und zwischenzeitlich abbricht, ist das Gespräch im Fluss. Wer sich mit den beiden unterhält, taucht schnell in ihre kreativen Gedankengänge ein. Es ist ein wenig, als sei man ein Mäuschen unter Kathryns Küchentisch.

Ihr habt euch beim Edinburgh International Book Festival kennen gelernt und es hat zwischen euch sofort geklickt. Warum wolltet ihr ein gemeinsames Album aufnehmen?

Kathryn: Ich hatte das Gefühl, als ob wir uns bereits kannten und irgendwie fühle ich das immer noch. Mittlerweile sind wir wirklich gute Freunde geworden.

Dan: Ja, wir haben viele gemeinsame Freunde, die damals überrascht waren, dass wir uns noch nicht kannten. Als wir uns zum ersten Mal beim Buchfestival trafen, war ich wirklich beeindruckt, als ich Kathryn spielen hörte. Ich dachte, oh ja, ich verstehe. Natürlich. Warum sollte ich diese Person nicht kennenlernen wollen? Kurz nach unserem ersten Treffen schickte Kathryn mir eine Nachricht und fragte, ob wir zusammen Lieder schreiben wollen. Obwohl wir ein paar Stunden voneinander entfernt wohnen, haben wir uns dann öfter getroffen. Ich hatte noch nicht so viel Erfahrung mit Songwriting-Kollaborationen, Kathryn hingegen ziemlich viel. Sie hat mich nach einer langen Zeit des Stillstands wieder zum Songwriting gebracht.

Euer neues Album heißt "Willson Williams", eine Kombination eurer beiden Nachnamen. Doch es könnte auch der Vor- und Nachname einer anderen Person sein. Hat es sich ein bisschen so angefühlt, als würdet ihr mit eurer Zusammenarbeit eine dritte Person erschaffen?

Kathryn: Ja, der Name klang wie ein Country-Star. Deswegen haben wir fast darüber nachgedacht, eine Person mit einem Cowboyhut auf das Cover zu setzen. Als wir zu schreiben begannen, hatten wir noch keinen Plan, dass es ein Album von uns beiden zusammen werden sollte. Wir schrieben einfach zum Spaß, und es passte weder zu Dans noch zu meinen Solo-Sachen. Es fühlte sich an, als wäre es seine eigene Entität. Viele der Songs entstanden als Konsequenz nächtlicher Gespräche in der Küche. Dan sprach zum Beispiel über seine Ehe, ich sprach über meine, wir sprachen über unsere Familien und unsere Ängste und Menschen, die wir verloren haben. Alle Songs haben ihren Ursprung in gemeinsamen Erlebnissen oder Gesprächen, die wir hatten.

Der Opener eures Albums "Arrow" wurde vom Bogenschießen inspiriert. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Dan: Ich habe meinen Sohn zum Bogenschießunterricht mitgenommen. Eines Nachts haben wir darüber gesprochen, dass Bogenschießen eigentlich wirklich nicht viel mit Kraft zu tun hat, es geht eher um Balance. In dem Song geht es darum, wenn man sich ein bisschen niedergeschlagen fühlt, und über die Angst, als Musiker leicht ersetzbar zu sein. Außerdem dachten wir darüber nach, dass es wichtig ist, Unvollkommenheit zu akzeptieren. Denn nicht jeder Pfeil, den wir abfeuern, trifft auch das Ziel. Und in letzter Zeit war ich mir mehr der ursprünglichen Bedeutung des Wortes "Sünde" bewusst. Es ist ein sehr altes Wort, das mit Bogenschießen zu tun hat: Sünde heißt, dass man das Ziel verfehlt. Und das ist die Art von Sache, über die ich und Kath sprechen, wenn wir zusammen sind.

Neben religiösen Motiven singt ihr unter anderem auch über Trauer. Welche Einsichten habt ihr gewonnen, als ihr über dieses Thema geschrieben habt?

Dan: Ich denke, die größte Erkenntnis war, dass Trauer etwas ist, das wir alle durchmachen müssen. Sie ist ein Ausdruck, mit dem wir die Liebe ehren und ein Gefühl der Ratlosigkeit, wohin man mit all der Liebe, die man für diese Person empfunden hat, nun gehen soll.

Kathryn: Wir haben zu dieser Zeit einen gemeinsamen Freund verloren. Das war sehr schwer für uns beide. Aber da wir offen miteinander über unsere Gefühle sprechen konnten und uns gegenseitig auch viel zum Lachen brachten, fühlte es sich an, als könnten wir dieses Thema erkunden, ohne dass es eine schwere Sache für den Zuhörer wird, sondern eher ein Trost, dass man auch über solche Sachen sprechen kann.

In eurem Lied "Weekend" singt ihr: "I don't belong to the weekend" Was meint ihr damit? Und wenn ihr nicht dem Wochenende gehört, wem oder was gehört ihr stattdessen?

Dan: Dem Mittwochnachmittag. (lacht)

Kathryn: Vielleicht dem Montagmorgen.

Viele Leute hassen Montage, warum Montagmorgen?

Kathryn: Ich habe mal ein Lied namens "Monday Morning" geschrieben, darüber wie schrecklich es ist, aber jetzt senden mir Leute die ganze Zeit Nachrichten mit dem Hashtag #Montagmorgen, also auf seltsame Weise bedeutet das jetzt, dass der Montag zu mir gehört.

Es gibt diesen Spruch: "Manche Menschen warten die ganze Woche auf den Freitag, das ganze Jahr auf den Sommer, das ganze Leben auf das Glück". Es ist gewissermaßen eine Aufforderung im Moment zu leben. Ist das für euch machbar oder ist das immer noch eine Herausforderung für euch, im Moment zu leben und eben nicht für das Wochenende? Ich meine, ihr habt ja keine Bürojobs mit einer typischen 40-Stunden-Woche.

Dan: Ja, das stimmt, mein Zeitplan ist oft ziemlich chaotisch.

Kathryn: Ja, als freiberuflicher Singer-Songwriter fehlt einem die Routine. Viele meiner Freunde gehen zu Yoga und Pilates und so weiter, und sie tun das jede Woche, sie haben feste Routinen. Manchmal sehne ich mich danach. Es gibt Zeiten, wo ich nur zu Hause bin und andere Phasen, in denen ich nur unterwegs bin. Wir waren neulich bei einem Auftritt an einem Sonntagabend und jemand sagte über eine andere Band "Die gehen morgen zur Arbeit, die haben richtige Jobs". Dan und ich haben uns angesehen und meinten: "Wir haben auch richtige Jobs".

Ja, es ist nur eben ein anderer Job. Es ist kein regelmäßiger Zeitplan, aber Leute im Gesundheitswesen sind auch nicht von Montag bis Freitag tätig, jeder hat einen anderen Zeitplan.

Ja, ich weiß nicht, ob das nur in Großbritannien so ist, aber hier tun manche so, als sei unsere Arbeit nur ein erfundener Job.

Hat euch jemand schon mal so etwas direkt gesagt, oder befürchtest du eher, dass sie es denken könnten?

Kathryn: Weißt du, es hat lange gedauert, bis ich auf die Frage "Was machen Sie beruflich" mit "Ich bin Singer-Songwriter" antworten konnte. Früher sagte ich ständig "Ich bin selbstständig" oder "Ich bin Schriftstellerin". Erst als ich anfing, Lieder mit anderen Künstlern zu schreiben, konnte ich dazu stehen, dass ich Songwriterin bin. Es ist eine seltsame Art von Stigma, das damit verbunden ist. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Aber ja: Mein Name ist Kathryn und ich bin eine Songwriterin.

Das stimmt und das ist großartig. Denn wenn du es nicht wärst, würden wir dich nicht interviewen.

Dan: Ja, was würden wir dann hier machen? Ich bin froh, dass du es bist.

"Es geht darum, das beste Ich zu sein, das ich sein kann"

In eurem Song "Shelf" geht es darum, zu viele Selbsthilfebücher zu besitzen, um sie alle lesen zu können. Da gibt es diese Zeile "It's time in level with the spirit and draw the line". Sollte man bei dem Streben nach Selbstoptimierung irgendwo die Grenze setzen?

Kathryn: Ich denke nicht, dass man dem Unterfangen, ein besserer Mensch zu werden, eine Grenze setzen kann. Ich habe gerade 50 erreicht und ich fühle mich jetzt jünger als vor zwanzig Jahren. Aber ich merke auch, dass ich mich mehr geöffnet habe, um anderen Menschen zuzuhören und von ihnen zu lernen. Bei Selbstverbesserung geht es für mich darum, zu versuchen, das beste Ich zu sein, das ich sein kann - für die Menschen, die ich liebe und für alle Leute um mich herum. Ich denke, wenn ich weiterhin an mir arbeite, dann ist das sozusagen das Geschenk, das ich den Menschen geben kann, mit denen ich lebe.

Dan: Als wir den Song geschrieben haben, hatte ich vier Stapel Bücher neben meinem Bett. Meine Frau meinte, es sei an der Zeit ein Regal aufzubauen. Nachdem wir im Studio den Song aufgenommen hatten, baten wir unseren Produzenten, die Aufnahme weiterlaufen zu lassen. Dann haben wir rumgealbert und so getan, als würden wir ein Regal aufstellen. Das kann man in dem Song hören.

Lest ihr eigentlich ein Buch nach dem anderen, oder seid ihr so wie ich und fangt mehrere Bücher parallel an?

Kathryn: Meistens lese ich mehrere Bücher auf einmal. Ich werde oft gebeten, Bücher zu rezensieren, damit der Verlag ein Zitat auf den Buchrücken drucken kann. Und kürzlich musste ich drei Bücher für ein Programm von BBC Radio lesen und habe zwei Bücher geschickt bekommen, ein Buch über Kate Bush und ein Buch über The Liverbirds, die erste weibliche Mädchenband aus Liverpool, die in demselben
Hamburger Club wie die Beatles gespielt haben.

Also habe ich nicht nur all meine eigenen Stapel von Büchern, die ich aus eigenem Interesse lesen möchte, ich habe auch noch Bücher, die mir geschickt werden, die ich schnell lesen muss. Es ist ein bisschen so wie bei Musikjournalisten. Da gibt es auch einen Unterschied zwischen dem, was man hört, weil man es rezensieren muss und der Musik, zu der man wirklich eine persönliche Verbindung hat. Vielleicht sollten wir beide mal ein ein Lied über dieses Gefühl schreiben: Es ist ein bisschen, als würde man dazu gezwungen werden, Nachtisch zu essen, obwohl man gerade gar keinen will.

Zum Schluss möchte ich zu einem Lied auf "Willson Williams" kommen, das ihr nicht selber geschrieben habt. "Sing Out" ist ursprünglich von Cat Stevens. Was hat euch an diesem Lied gefallen?

Dan: Kath, du mochtest den Film "Harold und Maude", nicht wahr? Irgendetwas daran erinnerte dich an Aspekte, wie wir miteinander umgehen. Als wir es zum ersten Mal spielten, fühlte es sich an, als hätte der Song von uns stammen können. Er ist voller Lebensfreude und hat viel Spaß gemacht.

In eurer Interpretation des Songs ruft ihr nach der Zeile "If you want to say yes, say yes", enthusiastisch "Yes!". Wozu sagt ihr beide in eurem Leben gerade "Ja"?

Dan: Ich sage ja zur Liebe und ja dazu, mich mehr als früher meiner Angst zu stellen. Sogar das Auto heute Morgen in die Werkstatt zu bringen, war wie ein ganzes Spinnennest von Ängsten in meinem Kopf. Und ich sage ja dazu, den Tag zu genießen. Ich kann jeden Morgen neu wählen, wie ich dem Tag begegne. In den letzten Jahren habe ich folgenden Gedanken wirklich nützlich gefunden: Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst erlauben. Ich denke, darin steckt unglaublich viel Weisheit.

Wie sieht es bei dir aus, Kathryn?

Kathryn: Ich stimme dem zu, was Dan gesagt hat. Und ich sage ja zur Wertschätzung. Sei es im persönlichen Leben oder in der Karriere, es gibt immer wieder Gelegenheiten, sich mit anderen zu vergleichen. Aber ich fühle mich einfach wirklich dankbar für das, was ich habe.

Dan: Darf ich noch etwas hinzufügen?

Na klar!

Dan: Ich musste gerade daran denken, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen. Denn damit tue ich mich manchmal schwer. Deshalb sage ich auch ja zur Hilfe.

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