4. Februar 2005
"Sido ist doch eher Kinder-Rap"
Interview geführt von Michael EdeleVon der Faschingshochburg also in die Karnevalsmetropole, um dort vor dem eigentlichen Interview beim gemeinsamen Fachsimpeln festzustellen, dass der Star Search-Gewinner tatsächlich tief im Metal verwurzelt ist. Beim gemeinsamen Plausch mit der Nightwish-Frontdame gab es aber andere Themen.
Martin, war das deine Idee, etwas mit Tarja zu veranstalten, oder wer kam mit dem Vorschlag an?
Martin: Das war schon meine Idee. Als wir den Song geschrieben hatten, war mir sofort klar, dass ich das als Duett machen will. Wir haben den Song in Schweden geschrieben und ich hatte von Beginn an das Gefühl, dass eine Opernstimme dazu passen könnte. In Deutschland ist die Auswahl aber nicht sonderlich groß, und Tarja hatte ich auch gleich als mögliche Kandidatin im Hinterkopf. Ich habe dann mein Label gebeten, beim Management von Tarja einfach mal anzufragen, ob da nicht was möglich wäre. Überrascht war ich allerdings schon, als ziemlich schnell die Zusage kam.
Sie war also deine erste Wahl?
Martin: Ja, eigentlich schon.
Tarja: Bist du sicher, dass ich nicht die letzte Hoffnung war? (lacht)
Martin: Quatsch, in Deutschland gibt es ja nichts vergleichbares zu deiner Stimme. Nina Hagen kommt in die Nähe, passt aber in den Song nicht so ganz rein. Also warst du meine erste Wahl.
Tarja, kennst du das Konzept, aus dem Martin hervorgegangen ist? Habt ihr in Finnland auch etwas wie Star Search?
Tarja: Nein, wir haben nur Postars und Idols, das unterscheidet sich sehr von dem Star Search Konzept. Als Martin bei Star Search gewonnen hat, habe ich gerade in Karlsruhe Gesang studiert und das dadurch mitbekommen. Aber wodurch er letztendlich bekannt geworden ist, spielt doch keine Rolle. Ich finde es eher toll, dass auch jemand mit einem Background wie Martin bei so etwas gewinnen kann. Seine Stimme ist einfach toll, sie war es auch, die mich beeindruckt hat.
War er dir also schon vorher bekannt?
Tarja: Bekannt kann man nicht sagen. Als ich aber den Song und vor allem seine Stimme hörte, habe ich mich recht schnell dazu entschlossen, mitzumachen.
Wie lief das dann ab? Alles per E-Mail und mp3?
Tarja: Wir sind per E-Mail zwar zum ersten Mal in Kontakt getreten, aber zu meinen Aufnahmen war Martin mit im Studio. Er hat mir den Song mit seinen Aufnahmen zugeschickt, und ich hab mit meine Gedanken dazu gemacht. Er kam dann nach Helsinki in die Finnvox Studios, und dort hab ich meine Sachen eingesungen.
Also waren deine Sachen schon aufgenommen?
Martin: Ja schon, der Song stand zu 70 - 80%. Tarja hat den Text noch etwas verändert, bei Gesangslinien und Stil hatte sie völlig freie Hand. Wäre auch Blödsinn, einer Sängerin wie ihr vorzuschreiben, was und wie sie singen soll.
Tarja: Ich habe sie einfach aus dem Studio raus geschmissen und ihnen später das Ergebnis präsentiert, haha. Sie haben sich's dann angehört und gesagt, oh, das ist schön.
Warst du zu schüchtern, um die anderen im Studio zu lassen?
Tarja: Ja, das kann ich gar nicht, da bin ich viel zu schüchtern. Ich muss mich sicher fühlen, wenn ich meine Gesangsstrophen einsinge. Da darf nicht mal ein Fenster sein.
Martin: Da bin ich aber auch nicht anders. Ich brauche im Studio beim Singen meinen Privatsphäre. Auf der Bühne ist mir das egal, aber wenn dich bei den Aufnahmen ständig Leute beobachten, das geht gar nicht.
Tarja: Genau, auf der Bühne ist das egal, da ist es eher toll, wenn dir die Leute zuschauen. Außerdem bekommst du davon gar nicht so viel mit, weil du ständig die Scheinwerfer im Gesicht hast. Im Studio ist das aber harte Arbeit, auf die ich mich konzentrieren muss, weil alles 100% stimmen muss.
Martin: Du hast da ja nur das Micro vor dir und musst auch noch die ganze Zeit still stehen, das ist für mich das Schlimmste.
Wo habt ihr das Video gedreht?
Martin: Das war in Finnland im Rosala Viking Center. Das ist ein Museumsdorf, das wir durch Zufall entdeckt haben. Da war vor uns noch nie ein Filmteam. Alles ist echt und original, da wurde nichts als Filmkulisse aufgebaut, sondern man kann alles genau so bewundern. Sogar das Schiff war original nachgebaut. Das war natürlich die optimale Kulisse. Ich hatte von Anfang an ein Konzept dieser Art im Kopf. Zuerst habe ich an so was wie Highlander gedacht, aber ich wolle auf keinen Fall auf einem Pferd sitzen müssen, haha. Das hat sich dann einfach wunderbar angeboten, und wir hatten verdammtes Glück mit dem Wetter, dem Licht und sogar der Temperatur.
Tarja: Ja, der Platz war wirklich wundervoll. Das ist an der Westküste, wo alle nur schwedisch sprechen. Auch der Namen Rosala Center ist schwedisch.
War dir eigentlich klar, dass sich dieser Promotionzirkus an die Produktion anschließen würde? Immerhin bist du doch gerade mit Nightwish auf Tour.
Tarja: Ja, das war mir schon klar, haha. Ich bin den Stress gewohnt. Wir haben das auch im Vorfeld abgesprochen, dass wir den einen oder anderen Auftritt zusammen absolvieren und auch die Promotion zusammen machen. Wir hatten mit Nightwish den Januar über Pause, und ich habe mit meinem Mann in Costa Rica einen herrlichen Urlaub verbracht, aber jetzt geht’s wieder richtig los.
Auf deiner Homepage habe ich gelesen, dass du gern Didgeridoo spielst, Martin. Stammen die Sounds zu Beginn des Songs also von dir?
Martin: Ja, aber wir mussten das ganz schön runterpitchen. Das hätte sonst mit Tarjas Tonlage nicht mehr harmonisiert. Deswegen haben wir uns einfach darauf geeinigt, die eingespielten Töne runterzupitchen. Ich habe das Teil auch immer auf Tour dabei. Das ist ein Instrument, bei dem du dich herrlich entspannen kannst, weil es so einen schönen, warmen Klang hat.
Habt ihr den ganzen Trubel draußen vor der Tür mitbekommen?
Tarja: Oh ja. Ich habe mich nur gefragt, warum zur Hölle muss ich denn ausgerechnet JETZT hierher kommen, hahaha? Das ist wirklich ganz schön verrückt, die ganzen Menschen mit ihren seltsamen Kostümen und all dem Lärm und Müll.
Habt ihr in Finnland was in der Art?
Tarja: Ach komm, hör auf! Finnen machen solche Sachen nicht!
Wieso nicht?
Tarja: Vielleicht, wenn sie betrunken genug sind. Aber dann ziehen sie sich auch aus, haha.
Karneval in der Sauna?
Tarja: Jahaha, genau.
Textlich gesehen geht es in dem Songs doch darum, dass jemand eine Beziehung beendet, weil er sich darin eingeengt fühlt oder sich nicht selbst verwirklich kann, stimmt das?
Martin: Ja, zum Teil. Er fühlt sich eher entfremdet, weil er lange weg war. Manchmal im Leben steht man einfach vor dem Entschluss, jemanden zu verlassen, um ihm nicht zu sehr weh zu tun, und auch um sich selbst nicht unnötig zu verletzen. Das lässt sich auch auf die Musik projizieren. Als Musiker bist du oft weg und siehst deinen Partner nicht so häufig. Damit kommen viele nicht klar. Dann beendest du diese Beziehung vielleicht besser, damit der andere auch die Chance hat, mit jemand anderem glücklich zu werden. Ich umschreibe mit meinen Texten bestimmte Themen lieber, als dass ich spezifisch zu einer Sachen äußere.
Wenn du das schon auch auf das Musikbusiness beziehst: Wir haben uns ja vorhin schon kurz unterhalten, und du hast deine Wurzeln definitiv im Metal. Wann willst du es denn endlich mal wirklich rocken lassen? Du hältst dich nach wie vor eigentlich nur im Mainstream auf.
Martin: Hahaha, weißt du, man wird mit dem Alter ja auch flexibler und offener. Ich befasse mich privat auch durchaus mit Opern und solchen Sachen. Musikalisch angefangen habe ich mit Death Metal und mich aber auch nach und nach mit softern Sachen wie Queensryche beschäftigt. Es kommen ständig neue Sachen dazu, vor allem als Sänger suchst du doch ständig nach neuen Herausforderungen. Deswegen habe ich auch keine Problem mit soften Sachen und Balladen. Die besten Balladen stammen doch nach wie vor von Rock- oder Metal-Bands. Privat höre ich aber nach wie vor fast nur Metal. Wir haben uns vorhin ja schon über die letzten Scheiben von Exodus, Metal Church und Kreator unterhalten. Genauso gut darf es aber auch mal etwas Klassik sein.
Sind auf dem neuem Album ein paar härtere Sachen drauf?
Martin: Die sind auf jeden Fall härter als auf dem ersten, haha. Ich würde sagen, das ist bodenständiger, erdiger Rock. Ich bin damit sehr zufrieden, immerhin hab ich ja nie behauptet, dass ich jetzt richtigen Metal mache. Das hebe ich mir fürs Private auf. Da gibt es schon konkrete Planung für ein paar Nebenprojekte, die ein paar Überraschungen beinhalten werden.
Hast du das neue Album schon gehört, Tarja?
Tarja: Ja, noch nicht das fertige Endprodukt, aber die ungemasterte Promo. Gefällt mir recht gut, was er da macht. Es ist ein sehr kraftvolles Album.
Martin: Rein textlich könnte man auch durchaus erkennen, dass ich mit einigen Sachen nicht sehr zufrieden bin. Zwischen den Zeilen lassen sich doch ein paar Sachen heraus lesen.
Mit welchem härteren Act würdest du denn gerne mal was zusammen machen?
Martin: Hehe, ich würde gern im Vorprogramm von Metallica spielen, aber da bekomme ich dann wohl nur Flaschen an die Rübe. Das Duett mit Tarja war ja schon eine feine Sache, aber ich könnte mir durchaus auch eine Kooperation mit einer Hardcore-Band vorstellen, oder so was in dem Stile wie Anthrax mit Public Enemy angestellt haben. Aber mit Sido oder den anderen deutschen Rappern kannste so was ja nicht machen. Das ist doch eher Kinderrap. Von dem Kram, den du auf VIVA und MTV siehst, da gibt es nichts, was mich auch nur ansatzweise interessieren würde.
Das letzte, was in dieser Richtung wirklich gut war, war der Judgement Night-Soundtrack.
Ja, da gab's ein paar wirklich gute Sachen drauf.
Stand von dir nicht auch ein Soloalbum an, Tarja?
Tarja: Nein, keine Album. Das war nur die Single mit Weihnachtsliedern. Das war einfach nur eine nette Idee, die Leute in Weihnachtsstimmung zu bringen. Ein echtes Soloalbum wird es erst 2006 geben. Vorerst war wirklich nur die Single geplant, und die eigentlich auch nur für Finnland. Sie ist in Deutschland zwar auch erschienen, aber das Ergebnis ist so lieblos und mies geworden, dass ich darüber sehr enttäuscht bin und mich jetzt noch ärgere. Es lief wirklich alles falsch, sogar meine Name ist falsch geschrieben, auf einmal heiße ich Tarunen. Es ist einfach eine Schande, wie lieblos und schlecht die Single behandelt wurde. Aber ich fange so langsam an, meine Solokarriere neben Nightwish zu starten.
Martin: Ich verstehe auch nicht, warum die Leute oft denken, dass "Leaving You For Me" ein Gothic Rock-Song sein soll. Nur weil Tarja dabei ist? Was für ein Quatsch, ich wollte schlicht und ergreifend einen fetten atmosphärischen Song machen, der einfach nur rocken soll.
Ich frage mich aber immer noch, was der Text denn mit dem Video zu tun hat.
Martin: Wieso, ist doch eigentlich offensichtlich. Es spielt einfach nur in der Wikingerzeit, und ich als Stammesführer komme eben von einem meiner Raubzüge zurück und merke, dass ich mich von meiner Frau und meiner Umgebung dort entfremdet habe. Ich muss da einfach wieder raus. Die Klamotten, die wir da anhaben, sind wirklich original. Die Wikinger rennen nicht dauernd in Fellen und mit Hörnerhelm durch die Gegend, sondern in den Klamotten, die wir da tragen. Wir hätten auch irgendein Video in Deutschland in einem Hotel drehen können, das die Story rübergebracht hätte, aber ich interessiere mich einfach sehr für die nordische und keltische Kultur und deswegen eben so.
Tarja, habt ihr in Finnland auch so dämlich Reality-Shows wie "Das Dschungel Camp" oder jetzt "Die Burg"?
Tarja: Oh Gott, ja, so einen Scheiß gibt es auch bei uns. Das ist wirklich furchtbar, dass man mit so was im Fernsehen belästigt wird.
Käme es für euch in Frage, bei so einem Kram mitzumachen?
Tarja: Auf keinen Fall!
Martin: Die haben mich gefragt! Ob du's glaubst oder nicht, die haben mich hintenrum vor ein paar Monaten gefragt, ob ich auf die Burg will. Ich konnte es gar nicht glauben, wie tief muss man denn sinken, um bei so was mitzumachen. Das machen doch nur Leute, die jede Menge Schulden am Arsch haben und einfach die Kohle brauchen. Aber so was habe ich echt nicht nötig. Ich will auch gar nicht mehr so oft im Fernsehen sein, denn erstens haben die Leute die Schnauze zu schnell von dir voll und zweitens kommt das einfach nicht ehrlich rüber.
Tarja: Mir hat es ja schon gereicht, dass ich einmal in einer Kochshow aufgetreten bin. Zum Glück hatte ich einen Koch dabei, dem ich eigentlich nur die Sachen gereicht habe. Alles andere hat er übernommen, haha. Das war noch ganz witzig, aber alles weitere ist definitiv nicht mein Fall.
Martin, du hattest ja auch schon so deine Erfahrungen mit der Bild-Zeitung.
Martin: Ach du meinst die Drogenstory und die mit den nackten Frauen? (Tarja bekommt ganz große Augen) Jahaha, das war einfach Rock'n'Roll, ich hatte zu der Zeit keine Freundin und war mit Thomas Wohlfahrt, dem anderen Finalisten, in einer Table Dance Bar, also so what. Da war dann eben ein Bild-Reporter, der gleich mal mit der Kamera drauf gehalten hat. Wegen den Drogen ... ich bin ja vorbestraft und habe damals zwei Jahre auf Bewährung bekommen. Das ist sieben Jahre her, und ich stehe da auch zu, da muss man keinen Wind drum machen. Jeder hat mal Scheiße gebaut, und ich wurde einfach erwischt.
Würdest du denen noch mal ein Interview geben?
Nö, ganz klar, nein!
Hast du auch mit Klatschpresse so deine Probleme, Tarja?
Tarja: Ja, klar. Da stehen oft genug Paparazzi vor unserem Haus. Aber mit denen gebe ich mich überhaupt nicht ab und kommentiere auch nichts von dem, was sie sagen und schreiben. Die denken tatsächlich, mein Mann wäre Multimillionär, und das ist echt ein Brüller, haha.
Martin: Ich hab gestern auch in der Bild gelesen, dass ich mit meiner ersten Single so viel Geld verdient habe, dass ich mir in meinem Haus ein eigenes Studio einrichten konnte. Dass mein Studio in Wahrheit aus einem Laptop, zwei Boxen und einem Harddisc-Recorder besteht, spielt für die keine große Rolle. Auch nach meinem Autounfall hatte ich die Typen im Arztkittel bei mir am Krankenbett stehen. Ich sah noch aus wie frisch gelegt, und die wollen Fotos und Interview. Die waren schon eine Minute nach der Feuerwehr am Unfallort. Das ist doch ohne Worte!
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