laut.de-Kritik
Glamour verdrängt den Hardrock-Sound.
Review von Yan VogelDer zweite Teil der Kissology knüpft unmittelbar an die Hochphase der Bandgeschichte an. Die Mischung aus Dokumentationen, Live-Clips und Interviews ergeben ein interessantes Zeitdokument, das die Turbulenzen, die zwischenzeitlich zum kommerziellen und künstlerischen Sinkflug führten, treffend beleuchtet. Die seitdem zahlreichen Besetzungswechsel begannen, als innerhalb von wenigen Jahren Peter Criss und Ace Frehley den Hut nehmen mussten.
Zudem stellt die Zeit Anfang der Achtziger den vorläufigen Höhepunkt der Glamourisierung und gleichzeitig den Bruch mit dem traditionellen Hardrock-Sound dar. Dennoch entbehrt diese Phase trotz all der Komik nicht einer gewissen Tragik, endet sie doch mit dem Krebstod von Schlagzeuger Eric Carr.
Die DVDs kommen in schmucker und übersichtlicher Verpackung daher. Kommentare und Anekdoten zu den einzelnen Kapiteln gibt es im Booklet. Insbesondere die Nachlassverwalter Paul Stanley und Gene Simmons erweisen sich in den Liner-notes als federführend.
Eröffnet wird der Reigen an Filmschnipseln von einer Dokumentation mit dem passenden Titel "Land Of Hype And Glory". Deren Macher verstanden sich gleichzeitig als Sittenwächter und wollten wohl eine Warnung an die von Verrohung bedrohte Jugend versenden.
Gerade die Diskrepanz zwischen humorloser Aufarbeitung mit erhobenem Zeigefinger und der Tatsache, dass Kiss diese kurze Doku in ihrem Sinne verwenden, sorgt für einen gelungenen Einstieg. Schließlich ist auch eine schlechte Berichterstattung eine Form von Publicity.
Die authentische Dokumentation der allerersten Australien-Tour fängt die Massenhysterie sehr gut ein. Hier wurde nichts beschönigt oder geglättet: Kiss gibts hier roh und ungeschminkt. Allerdings rangiert die Qualität dieses Auftritts nur knapp über Bootleg-Niveau.
Auch drei Songs des im Laufe der Jahre von Fans und Bandmitgliedern gleichermaßen verschmähten Konzeptalbums "The Elder" kommen im Rahmen einer TV-Show zu Ehren. Unvorhersehbar, mit ungewöhnlichen Akkorden arbeitend, scheint es im Nachhinein mehr als verständlich, dass diese Ausrichtung viele Hardrock-Aficionados vor den Kopf stieß.
Nach zahlreichen Hired-Guns etablierte man in der Unmasked-Ära mit Bruce Kulick und Eric Carr das langlebigste Line-up der Kissstory. Auch wenn Chefzunge Simmons die Travestie als gesteigerten Ausdruck des jeweiligen Charakters versteht; das Quartett hat ohne Make-up wesentlich mehr Bewegungsfreiheit. Bildqualität, Sound und die energetische Performance machen den Auftritt in Detroit zum Highlight dieser Kollektion.
Musikalisch versiert und meilenweit vom Rumpelstil der Original-Besetzung entfernt, knüpfen die ungeschminkten Kiss jedoch kommerziell nicht an die Hochglanzzeiten an. Da die Show IMMER den Hauptaspekt bei Kiss einnimmt, ist es 1996 keine sonderlich große Überraschung mehr, dass sich die ewig jungen Lifting-Abonnenten und ausgebufften Geschäftsmänner Stanley und Simmons zu einer Reunion im Original Line-up entschließen.
Der trashige B-Movie "Kiss In Attack Of The Phantoms" versandet irgendwo zwischen Teenie-Horror-Thriller und Frankenstein-Grusel. Kiss spielen sich selbst und zeigen aus welchem Schrot und Korn sie gediehen sind.
Unter all den gegen unendlich strebenden Kiss-Devotionalien findet sich wenig Essentielles. Der olfaktorische, auditive, sensitive und haptische Unsinn suggeriert in einer gewissen Weise Verständnis für das Leben auf dem in allen Spektralfarben schimmernden Planeten Kiss. Glamour und Größenwahn spiegeln sich in der Produktpalette mit Sturzhelmen, Tassen, Kondomen, Lampen und Särgen wieder. Kissologen dürften das neueste Machwerk gerade deshalb abfeiern.
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