laut.de-Kritik

Mit dem Synthrock-Helikopter durch filmische Kulissen.

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Ready for take-off? Wie der große gelbe Hubschrauber auf dem Cover dreht sich das dritte Album der kanadischen Indierock-Band Kiwi Jr. mit wirbelnden Synth-Sounds und abgedrehter Lyrik hoch in die Sphären des Power-Pop.

Nur drei Jahre nach dem Debüt "Football Money" und anderthalb Jahre nach dem Zweitling "Cooler Returns" präsentiert die junge Toronto-Band um Sänger Jeremy Gaudet ihr bisher stimmigstes Werk. Produziert von Indie-Mastermind Dan Boeckner, der Wolf Parade mit anführt und zur Zeit auch Arcade Fire auf Tour unterstützt, befeuern auf "Chopper" rastlose Keyboard-Melodien das Slacker-Rockprofil einer Band, die nicht nur im Namen Dinosaur Jr. nacheifert. Kompakt am Stück geschrieben und in zwei Wochen eingespielt, rotieren die zehn Tracks entlang Gaudets popliterarischen, fast mathematischen Texturen vom Alltäglichen ins Absurde und wieder zurück.

"Chopper", das nicht nur einen Hubschrauber sondern auch ein Hackbeil bezeichnet, manövriert zwischen Bildern mit Noir-Touch. Strahlende Sounds umkreisen verdunkelte Szenarien. Angetrieben durch ein verspieltes Moog-Motiv und lässige Strokes-Vocals verortet "Unspeakable Things" eigentlich Unaussprechliches in düsteren Visionen digitaler Kontrolle ("Everything / That you've done / Laid out here / One by one / Caught on tape / And compiled / No one could ever ever try and forgive").

Zwischen New Wave-Traum und Rock-Montage inszeniert "Night Vision" eine berauschende Autofahrt durch die Nacht. Eindrucksvoll überlagert der Track die Euphorie einer jugendlichen Party mit schillernden Gefahren, die aus einem David Lynch- oder Quentin Tarantino-Film stammen könnten ("Making all the stops, hit the storage locker, there's a dead deer / Lit up in the sensor light behind the Petro-Can").

Stimmungsvoll vermischen Kiwi Jr. komplementäre Farbtöne. "I'm only painting with green / I'm mixing blue and yellow together", singt Gaudet auf "Clerical Sleep" im entspannten Malkmus-Modus. Zusammen mit der kanadischen Singer-Songwriterin Dorothea Paas entsteht auch hier ein cooler Synth-Rocksong über die Träume und Tücken der offenen Straße. Als glorreich gebrochene Fortschrittspointe erzählt der Sänger von einem Mann, der für zwei Millionen Dollar die beste Roboter-Prothese der Welt entwickelt hat, sie aber jetzt überhaupt nicht ausstehen kann und hoffnungslos verstauben lässt.

Inmitten all der filmischen Soundkulissen leihen sich zwei der besten "Chopper"-Titel sogar die Namen großer Kino-Hits. Noch bevor der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho die TV-Fortsetzung zu seinem oscarprämierten Drama drehen konnte, präsentieren Kiwi Jr. "Parasite II". Arrangiert um ein feierliches Noise-Riff verschiebt Gaudet das Thema der Gesellschaftsparabel, in der sich eine arme Familie im Anwesen einer reichen Familie einnistet, zu einer ironischen Ausrede für eigene Nachlässigkeiten ("There's gotta a be another man in the house who's spending all the money / Someone down in the laundry room keeps shrinking all my shirts").

Auch der Klassiker "The Sound of Music" erhält eine Neuaufführung. Aufbauend auf berühmten Zeilen aus dem Musical spinnt das Indierock-Quartett eine herrlich drollige Love Story. In fiktiven Dialogen zwischen der Hauptdarstellerin Julie Andrews und dem Bühnenbildner Tony Walton, die zwischen 1959 und 1967 verheiratet waren, entstehen große neue Musical-Zeilen mit alternativem Spin ("I'll never recover / From the colour of your tears / When you came home from spring break after thirteen years").

Zwischen den musikalischen Dreharbeiten lädt "The Extra Sees the Film" explizit zur Filmpremiere. Eingetaucht in viel Synth-Glitzer und Slow-Dance-Rhythmik gelingt dem Zwillingstrack des Kim Carnes-Hits "Bette Davis Eyes" eine brillante Antiklimax zu den Verheißungen des Showgeschäfts ("The extra sees the film and covers up his name badge / The extra sees the film and has to call his mom"). Mit dem Status als "extras", als Komparsen, haben Kiwi Jr. nichts zu tun. Auf ihrem dritten Album beweisen sie sich als zielsichere Regisseure.

Trackliste

  1. 1. Unspeakable Things
  2. 2. Parasite II
  3. 3. Clerical Sleep
  4. 4. Night Vision
  5. 5. The Extra Sees the Film
  6. 6. Contract Killers
  7. 7. The Sound of Music
  8. 8. Downtown Area Blues
  9. 9. Kennedy Curse
  10. 10. The Masked Singer

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LAUT.DE-PORTRÄT Kiwi Jr.

In einer neuen Stadt Anschluss zu finden, ist schon schwer genug. Von einer Kleinstadt in eine Metropole zu ziehen, kann sich dann als Mammutaufgabe erweisen.

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