laut.de-Kritik
Immer unterwegs. Immer politisch. Immer noch am besten live.
Review von Jeremias HeppelerEin langgezoges Streichersolo umspielen eine flott gepickte Gitarre und freudig umherspringendes Piano. Fast euphorische Laune macht sich da breit, angesichts der guten, fast klassisch anmutenden Präsentation des Liedermachers. Massiver Applaus bereitet Konstantin Wecker den Weg. Urig, halb sprechend, halb singend, halb flüsternd (Mathematik bleibt außen vor) ergänzt er das in zahlreichen Farben ausgemalte Musik-Mandala. Der Auftakt gelingt, der 30 Jahre alte Klassiker "Es Ist Schon In Ordnung" macht auch 2016 in dieser vielfältigen, ausufernden Live-Version wirklich großen Spaß.
Konstantin Wecker definierte sich Zeit seiner Karriere als Live-Musiker. Immer unterwegs, und immer politisch. Zuletzt gründete er mit Heinz Ratz das "Büro Für Offensivkultur", eine Art kulturelle Eingreiftruppe gegen Rechts. Parallel dazu bespielte er unermüdlich Deutschlands Konzerthäuser. Die Essenz aus diesem Live-Marathon hat der Liedermacher nun abermals auf eine CD gepresst.
"Wahre Kunst entsteht ohne Berechnung, ohne Überlegung und vielleicht auch ohne Sinn. Sie ist einfach da", gibt Wecker zu Protokoll. Ein schönes Zitat, aber irgendwie unpassend, definiert sich Weckers Musik doch vor allem über Sinn und Sinnhaftigkeit. Über das massive und hartnäckige Anprangern sozialer Missstände in Textform. Diese urtypischen Elemente, wie könnte es anders sein, prägen auch "Ohne Warum" von vorne bis hinten. Und wahrscheinlich ist Weckers politisches Engagement heute wichtiger als je zuvor, seine Unnachgiebigkeit Vorbild für eine neue Generation von politischen Aktivisten und auch Musikern.
Klassiker hat der mittlerweile 69-Jährige eine ganze Menge angesammelt: Das selbstreflexive "Fast Ein Held" lässt Weckers Stimme und seinen Texten ordentlich Raum zur Entfaltung, nur ein zurückhaltendes Piano begleitet den aufstampfenden Sänger. Der Übergang zum ähnlich formulierten, aber etwas größer angelegten "Wenn Unsere Brüder Kommen" erfolgt dementsprechend sauber und ansatzlos. Weniger ist mehr.
Aber nicht immer: Das abschließende "Ohne Warum (Sunder Warumbe)" etwa lässt es mächtig krachen und spornt die Begleitband zu einem kräftezehrenden Ausbruch an. Spätestens hier wird klar: Zumindest in Sachen instrumentaler Umsetzung hat sich Wecker noch einmal übertroffen. Vor allem Pianist Jo Barnickel und Gitarrist Severin Trogbacher machen einen astreinen Job.
Aber auch eine konzentrierte Auswahl neuerer Kompositionen hat ihren Weg auf das Album gefunden: "Ich Hab Einen Traum" beschäftigt sich direkt, aber auch spielerisch mit der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Passend dazu kommentiert Wecker in "Der Krieg" das gleichnamige Gedicht von Georg Heym.
Überhaupt spielt Lyrik im Schaffen Weckers eine wichtige Rolle. Allerorts zitiert und rezitiert er, was das Zeug hält. "An Meine Kinder" markiert im dezenten Gegensatz dazu eine angenehme, unprätentiöse Ballade über das Erwachsenwerden des eigenen Nachwuchses – nur die etwas dick aufgetragenen Streicher hätten nicht unbedingt sein müssen.
17 Live-Platten hat Konstantin Wecker in seiner vier Jahrzehnte andauernden Karriere veröffentlicht. Da fragt man sich schon, was "Ohne Warum" diesem monumentalen Gesamtwerk noch hinzufügen kann. Hier muss man ganz ehrlich bilanzieren: abseits der markanten politischen Ansagen - nicht besonders viel. Die Zusammenstellung der Songs ist zwar gelungen und präsentiert das ein oder andere Schmankerl. Auch die live eingespielte Musik überzeugt auf ganzer Linie. Auch der glasklare eingefangene Sound stimmt. Alles grundsolide, keine Frage, aber eben nicht mehr, weil schon so oft dagewesen, so oft gehört.
Unterm Strich fehlt es an echten Verkaufsargumenten: Warum sollte man ausgerechnet diese Live-Zusammenstellung erwerben, statt einer früheren Version? Das Album erscheint in erster Linie als Sammelstück für Hardcore-Fans und Trophäenjäger interessant, die sich die Wecker-Diskografie vollmachen wollen. Ebenjene hatten die Veröffentlichung des "Ohne Warum"-Materials lautstark gefordert. Allen anderen Fans sei an dieser Stelle ans Herz gelegt, das Geld für die CD lieber direkt in eine Wecker-Konzertkarte zu stecken.
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