laut.de-Kritik
In der Krise schwillt der Flügel zur donnernden Schallmauer an.
Review von Philipp KauseEhrenwert ist das Anliegen Konstantin Weckers auf "Poesie In Stürmischen Zeiten" allemal. Der Mann der vielen Live-Platten bemüht sich mit der neuesten, Musiker und Mitarbeiter seines Labels vor der Coronapleite zu retten. Brüderlich sollen die Erlöse geteilt werden. Am Kampf gegen das Virus stört ihn zudem, dass andere wichtige Themen in den Hintergrund geraten. So finden sich beißende Kommentare zur Lage der Welt 2020. Nur Flügel, Cello, Gesang und Sprechpassagen sind zu hören. Trotzdem klingt es manchmal fast überladen süßlich. Doch derlei Momente lenken kaum vom drängenden Ton und der Intensität des Albums ab.
Wecker wagt es, die aktuelle Corona-Politik differenziert zu kritisieren. Obgleich er dies nur an ausgewählten Stellen tut, dann schaltet er aber in den Angriffsmodus: Wenn wir im Kampf gegen den Virus so drastische Maßnahmen ergreifen, wie schaut es dann in Sachen Rechtsextremismus und Klimakatastrophe aus? Die Umwelt immerhin sieht in diesen Krisenzeiten so aus: "In Venedig schwimmen wieder Fische, ohne Kreuzfahrtschiffe und Partybomber".
Als in der Reisefreiheit beschränkter Münchener nimmt Wecker es immerhin mit Markus Söder auf, derzeit so etwas wie der Messias der Unionsparteien. Wecker hat aber, wie man nun in Amtssprache zu sagen pflegt, auch "einen triftigen Grund", den er in "Willy 2020" darlegt, der Update-Version eines Wecker-Klassikers. In der alten kommt "Willy" bei einem Wirtshausstreit mit einem Rechtsextremen ums Leben.
Dazu textet er die Zeile "Gestern habns an Willy daschlogn" nun brutal in "Gestern habns die Freiheit daschlogn" um. "Als alter Anarcho muss ich dies sagen: Meine persönliche Freiheit möchte ich mir selbst beschneiden und nicht von einem Herrn Söder oder Herrn Kurz oder Herrn Macron beschränken lassen, die ich nie gewählt hätte", ätzt der Protestsänger gegen "Politik-Machos, die sich als Überväter aufspielen" und gar als "Herren über jedes Gesetz".
Wecker wünscht sich utopisches Denken, ohne gleich als Spinner abgetan zu werden. Klang in der musikalischen Umsetzung von "Weltenbrand" noch manches zu utopisch und dick aufgetragen, bleiben dem Komponisten und Liedermacher nun nicht mehr viele Optionen: Dieses Mal passt kein Philharmonieorchester auf die Bühne. Einzig Fany Kammerlander (Cello) und Jo Barnikel (Piano) begleiten ihn. Bereits wenige Tage nach Inkrafttreten der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gab das Trio eines der ersten Streamingkonzerte, das nun ungeschnitten auf dieser CD vorliegt.
Und das instrumentale Downgrade funktioniert bestens: Die Tasten hüpfen, das Cello brummt, man wähnt sich in den besten Momenten, etwa mit "Ich Singe, Weil Ich Ein Lied Hab'", "Liebeslied" (Original: 1978) und "Wut Und Zärtlichkeit". Fast denkt man an einen deutschen Elton John und fühlt eine rhythmische Spannung wie bei dessen "B-b-b-Bennie And The Jets". Mit nur zwei bzw. drei Instrumenten holt Wecker das Maximum heraus.
Natürlich gibt es Weckers typische Ansagen, etwa "Gedichte Sind Küsse". Diese Parts glücken nicht immer, gerade der Mittelteil des Konzerts gerät langatmig, wenn er "Für Meine Kinder", "Liebesdank" sowie vier Gedichte, unterlegt mit Cello, vorträgt. Zwei Drittel der Songs hätten am Ende sicher auch gereicht: Die Stärken liegen eher zu Beginn und am Ende, letzteres dank des nachhallenden chilenischen Folksongs "Gracias A La Vida".
"Er war Sänger / wie andere Bäcker oder Handelsvertreter sind", singt Wecker gleich ganz am Anfang ("Ich Singe, Weil Ich Ein Lied Hab'"). Der Wink mit dem Zaunpfahl, um auf die dramatischen Folgen des Konzertverbots für die Musikbranche zu verweisen. Regelrecht pop-soulig gerät das Arrangement.
Auch als Befürworter der Coronapolitik muss man Weckers Punkte anerkennen, zumindest wiegt sein moralisches Motiv durchaus. Er will verhindern, dass "die Kultur in den Schreibtischen der Bürokratie verschwindet" und unterstellt Politikern wie Söder und Kurz genau dies. Ja, es geht nicht um beiläufige, sogenannte Kollateralschäden, wenn alle Festivals und Tourneen abgesagt werden und die Musikbranche am Rande einer Pleitewelle steht. Viele Existenzen sind bedroht.
Zu den stärksten Momenten zählen aber Denkanstöße wie in "Willy 2020": "Wie konnten wir jemals zulassen, dass Luft, Erde, Wasser oder der genetische Code von Pflanzen und Tieren zu Privateigentum gemacht wurden?". Dann fordert er in "Poesie Ist Widerstand" ein "anständiges Gehalt für Pflegekräfte" ein. Schließlich spielt er "Für Mikis Theodorakis" ("inhaftiert, gefoltert, verbannt"), überträgt dessen wunderschönes "Asma Asmaton" von 1966 ins "Lied der Lieder" und zitiert dabei den 94-jährigen Griechen, der bedauere "im Alter einzig keine Zeit mehr zu haben für die viele Musik, die in ihm noch klingt."
Im aktuellen Song "Den Parolen Keine Chance" (2018) überwältigt die Geschliffenheit seiner Sprache: "Den Parolen keine Chance / lass sie nicht ans Tageslicht / lass sie in den Grüften modern / öffnet ihre Gräber nicht / 'Volk, Nation und Vaterland' sind ihr krudes Kampfgebrüll / alles, was dadurch verbrochen / war doch längst entsorgt im Müll / Wenn sie jetzt den Menschenfängern / wieder aus den Mäulern sprudeln / lasst sie ungehört verdorren / lasst euch nicht dadurch besudeln.".
Der Klezmer-Tango-Chanson "Der Virus" (2011) und ein Duett mit Weckers Label-Mitstreiterin Sarah Straub, "Niemand Kann Die Liebe Binden" (1988), runden das Set ab. Die verblüffendste Pointe hält Wecker aber mit dem Vorschlag bereit, die durchs Reiseverbot leerstehenden Münchener Luxushotels Geflüchteten bereitzustellen, um für die Folgen deutscher Rüstungsexporte gerade zu stehen. Als er dies ins Mikrofon raunt, schwillt das Klavier zur donnernden Schallmauer an.
5 Kommentare mit 7 Antworten
Einer der besten Liedermacher in Deutschland.
"Gestern habns die Freiheit daschlogn".
Hmm. Danke für den Hinweis. Bisher gings mir eigentlich sehr gut. Aber zum Glück hat der Wecker mich geheilt. Und jetzt alle ... Freiheit, Freiheiheiheiheiheit ...
Unerträgliches Geschwafel, schon immer gewesen. 1/5
Wieso schreibst du solch einen Kommentar wenn dir die Musik nicht gefällt.
weil ich's kann.
Der Kommentar ist unangebracht.
Unabgebracht ist auch, hinter Fragen kein Fragezeichen zu setzen. Warum hasst du Fragezeichen.
@der schwinger: du arschloch
Ich muss zugeben, dass mir Konstantin so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Soundgerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
Endlich mal ein differenzierter Kommentar. Und diese Ehrlichkeitsfloskel am Anfang. Hach, ist das schön.
Ich glaub da war der Ursprungs-MannIN einen Blitzmoment im Meuri-Modus. Ha! Erwischt!