laut.de-Kritik

Gelungenes Komeback, das auf die Bühne gehört.

Review von

Das Warten hat ein Ende, endlich sind wir wieder beim elften Buchstaben des Alphabets angelangt: Kraftklub sind back! Zehn Jahre ist es her, dass die fünf Jungs aus Chemnitz mit dem ersten K ihre Albenhistorie gestartet haben.

Das Debüt erfrischend, der zweite Longplayer fast noch besser – beim mehr als öden dritten Album "Keine Nacht für Niemand" schien die Band-Story dann aber irgendwie auserzählt. Die Auszeit war der logische Schritt und hat uns die ebenso kurze wie herausragende Solo-Karriere von Kummer beschert.

Dass er die nun an den Nagel hängt, verzeihe ich ihm nur, weil er damit wieder "Teil Dieser Band" ist, die 2022 mit "Kargo" ihr Komeback feiert. Der Hype war groß, nun ist das Ding raus, und bereits der Auftakttrack erfüllt alle Erwartungen. Der Song macht so viel Spaß, dass ich ihnen nicht mal den grottigen "Instrument – Refrain"-Reim übel nehmen kann. Kennt ihr eigentlich diese Leute, die "Couseng" statt "Cousin" sagen? Denen wünsche ich ganz herzlich, dass ihnen beim Händewaschen die Ärmel runterrutschen. Einfach abartig, also echt.

Aber weiter im Text, weiter mit dem nächsten Brett: "Ein Song Reicht" ist seit April draußen und hat dementsprechend schon den einen oder anderen Festival-Abriss hinter sich. Der Text sitzt und – sind wir mal ehrlich – der verdammte Mike Skinner sorgt eben einfach für einen verdammten Ohrwurm.

"Wittenberg Ist Nicht Paris" bildet musikalisch den ersten Dämpfer, überzeugt dafür aber mit einem interessanten Text. Neben der immer noch bestehenden Ost-West-Kluft behandelt der Song vor allem die Scheinheiligkeit und politische Gemütlichkeit der privilegierten Großstädter: "Und jetzt postest du begeistert das Grünen-Wahlergebnis aus deinem Kiez / Und 'Nazis raus!' ruft es sich leichter, da wo es keine Nazis gibt."

Die Feature-Gäste auf "Fahr Mit Mir (4x4)" Anfang Juli kamen mal so richtig random. Warum aus der ganzen Vielfalt deutscher Artists denn ausgerechnet die Kaulitz-Clowns? Die Frage kann ich bis heute nicht beantworten – viel rätselhafter ist mir aber, warum die Kombi irgendwie funktioniert. Ein überraschendes Projekt, das einen zweimal hinhören lässt. Trotzdem bin ich froh, dass sie Heidi Klum nicht auch noch ins Boot geholt haben, die soll schön weiter ihren Chai Tea sippen.

Damit sind die Vorabsingles abgearbeitet. Zeit, einen Blick auf den neuen Stoff zu werfen. "Blaues Licht" plätschert in bester "Chemie Chemie Ya"-Manier so vor sich hin. Gähn. Auch mit dem soft-poppigen "Kein Gott, Kein Staat, Nur Du" kann ich trotz der einen oder anderen netten Zeile und dem Mia Morgan-Feature wenig anfangen.

Gerade als man "Angst" hat, dass der Rest der Platte nicht mit den Singles mithalten kann, kommt der gleichnamige Track. Wow. Musikalisch etwas ganz anderes, erzeugt er eine ergreifende Spannung, die nur noch die Lyrics toppen. Die könnten nicht typischer Kraftklub sein, Kummer und Schumann singen im gewohnt zynischen Ton von Alman-Angst, offenen Grenzen und Genderwahn: "Wir werden versklavt und es ist im Endeffekt egal, ob nun im Matriarchat oder doch im Kalifat / Nahosten, alter Westen, Klimaschützer, Antifa, Juden und Lesben / Doch Gott sei Dank, Mike und Frank verteidigen das Abendland." Wären diese Zeilen doch nur nicht so traurig real.

Daran knüpft auch "Vierter September" an, der die "Wir sind mehr"-Bewegung, das zugehörige Konzert am 3. September 2018 in Chemnitz und die Ereignisse rundherum behandelt. Laut Kummer "der Versuch, in Songform ein paar Dinge einzuordnen." Wortwörtlich drückt sich dieser Versuch in erster Linie in Bedauern um die laut Kraftklub ausgebliebene langfristige Wirkung der Aktion aus: "Doch am vierten September fahren die fahren die Züge wieder regulär / Und nichts hat sich verändert, die Innenstadt ist wieder leer."

Insgesamt wirkt "Kargo" ernster und erwachsener als vorherige Werke. Die übermäßige Gesellschaftskritik ist man von der Band ja gewohnt, auf "Der Zeit Bist Du Egal" kommt auch wieder eine Portion Selbstreflektion hinzu – persönlich und auf Band-Ebene. Der Track erinnert an "Wie Ich" und liefert die beste Line des Albums: "Die Zeit heilt deine Wunden nicht, der Zeit bist du egal." Trotzdem hat er einen gewissen Beigeschmack. Dass Kraftklub ihre Bühne für Kritik und Ironie nutzen schön und gut, irgendwann hat man davon aber einfach genug. Warum nicht mal von etwas singen, das ihr geil findet, statt immer nur von all den Dingen, die ihr scheiße findet?

Musikalisch profitiert die Platte davon, dass neben Kummer auch Karl Schumann immer öfter zum Mikrofon greift. Die Stimmen ergänzen sich hervorragend, eigentlich hätte die zusätzliche Gesangsvariation Platz geschaffen für mehr Rap-Parts von Kummer. Schade, dass die weitestgehend ausbleiben. Trotzdem hat die Musik gefühlt mehr Tiefgang, nach der Auszeit endlich wieder Relevanz, macht wieder richtig Spaß. An mancher Stelle vermisst man zwar ein wenig die Kratzigkeit. Den Krach. Die Kanten. Das K, mit dem die Karl-Marx-Städter berühmt geworden sind. Aber wo die Musik verweichlicht, gewinnen dafür die Lyrics an Scharfsinn.

Und glattgebügelt klingt die Platte bei Weitem nicht, im Gegenteil. Bestes Beispiel sind nicht nur die punkrockigen Gitarren von "In Meinem Kopf", sondern auch der absolute Highlight-Track des Albums: "So Schön". Das unscheinbare wie geniale Intro. Der starke Gast-Input von Blond. Der impulsive Refrain im The Hives-Stil. Hier stimmt einfach alles, inklusive dem Live-Vibe, den der Song transportiert. Denn im Endeffekt haben Kraftklub mit "Kargo" ein richtig starkes Studio-Album fabriziert, das nur einen Schluss zulässt: die Jungs gehören einfach auf die Bühne!

Trackliste

  1. 1. Teil Dieser Band
  2. 2. Ein Song Reicht
  3. 3. Wittenberg Ist Nicht Paris
  4. 4. Fahr Mit Mir (4x4)
  5. 5. Blaues Licht
  6. 6. Kein Gott, Kein Staat, Nur Du
  7. 7. Angst
  8. 8. Vierter September
  9. 9. So Schön
  10. 10. Der Zeit Bist Du Egal
  11. 11. In Meinem Kopf

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14 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Welcher Nutzeraccount von kraftklub-fanforum.de hat denn diese Rezension verfasst? :D
    Nach den größtenteils starken Singles zu Beginn kippt das Album komplett weg. Da findet man dann allenfalls noch verstreut nette Ansätze aber mehr auch nicht.

  • Vor einem Jahr

    Nicht so stark wie In Schwarz, sehr livemusiklastig, aber dennoch gute Platte. 4/5 verdient.

  • Vor einem Jahr

    Gebe lars.fm total recht. Die Auskopplungen waren stark (sogar 4x4 kann man sich geben). Von jenen abgesehen ist das Album aber eher entäuschend...der zweite Teil bricht total weg, ist gerade mal durchschnittlich und verfällt leider in die gleiche Problematik wie der Vorgänger...das Gesülze (Singen kann man es nicht nennen) was K sich im Refrain angewöhnt haben ist echt nervig... und die Solokarriere von Felix Brummer war nicht wrklich herrausragend, das Album noch mittelmässiger als dieses hier...

  • Vor einem Jahr

    Es ist halt ein klassisches Kraftklub-Album und das ist prinzipiell nicht schlecht wie ich finde. Wieder ein bisschen mehr back to the basics. https://youtu.be/mb5PYTXTehA

  • Vor einem Jahr

    Fast zwei Wochen nach dem Release hier mein Fazit: starkes Album, viele Highlights und starke Singles. Mein Favorit bisher „Kein Gott, Kein Staat, nur Du“.

    Auf Tour wird’s klasse sein, als Liveband liefern sie immer gut ab!

    Macht Spaß zu hören, Texte sind reifer und nachdenklicher. 4/5 passt. Wenn sie dieses Niveau weiter halten können, haben sie eine Daseinsberechtigung. ;)

  • Vor einem Jahr

    Insgesamt sehr gutes Album - mitreißend, Songs die live sicher gut laufen („4x4“, „Blaues Licht“, „Wittenberg ist nicht Paris“). Der musikalische Anspruch hält sich wie immer in Grenzen. Nach dem 6. Durchlauf in meinem Player tritt bei mir ein Sättigungseffekt auf. Die Zweite Hälfte der Platte ist schlechter als die erste Hälfte. Mit dem Song „Angst“ (gefällt mir nicht) kommt ein Bruch in die Platte. Dennoch 4/5 wegen der tollen ersten Hälfte.