28. September 2009
"Was wollen die denn im Wald?"
Interview geführt von Ulf KubankeIn diesen Tagen erscheint erstmals vollständig "Tracks and Traces" (Reissue), die wegweisende Krautrock/Elektro-Zusammenarbeit der legendären Pioniere Harmonia und dem jungen Brian Eno aus dem Jahr 1976. Warum das so lange gedauert hat, fragten wir Michael Rother und Hans Joachim Roedelius.Harmonia war eine Art Allstar-Projekt von Roedelius/Möbius (a.k.a. Cluster) und Michael Rother (u.a. Neu!, Ex-Kraftwerk), das als Kommune mitten im Waldgebiet zu Forst lebte und arbeitete. Ein auskunftsfreudiger Michael Rother plauderte am Telefon ausführlich und mit hamburgischem Charme aus dem Nähkästchen des Krautrock.
Die (größtenteils) gleichen Fragen gingen schriftlich an Hans Joachim Roedelius. Roedelius beantwortete jedoch nicht jede Frage und war größtenteils sehr einsilbig. Die Antworten der beiden Ikonen finden sich jeweils untereinander. Dabei lassen sich die bis heute nachwirkenden verschiedenen Sichtweisen und persönlichen Disharmonien der Harmonia-Member kaum verbergen.
Rother: Hi, ich bin der Michael. Oh Gott, dieser metallische Klang - gerade bei Mobiltelefonen - ist so gar nicht gut für meine Ohren.
laut: Das tut mir leid, Michael. Ich kann an den technischen Voraussetzungen momentan leider wenig ändern.
Rother:(fröhlich) Nee, ist ja gut. Ich komm' damit klar. Machen wir weiter. Leg mal los.
In diesen Tagen erscheint die tolle Kollaboration von Harmonia mit Brian Eno; "Tracks and Traces". Wie kam es überhaupt ursprünglich zu dem Kontakt?
Rother: Das ging alles aus von Brian Eno, der plötzlich 1974 in der ersten Reihe in Hamburg in der Fabrik bei einem Harmonia-Konzert saß. Die Vorgeschichte dazu ist, dass Brian - zu der Zeit auf einer eigenen Promotiontour - unterwegs war in Deutschland und an dem Tag Station hatte in Bremen. Dort wurde er interviewt von dem Musikjournalisten Winfried Trenkler; einem der zweieinhalb Journalisten in Deutschland, die sich überhaupt für unsere Musik interessierten. Genau dem hat Brian gesagt, wie sehr er unsere Kunst schätze. Da hat der Winfried ihm erzählt, dass Harmonia heute Abend in Hamburg spielen werde. Brian kam also und wollte uns sofort vorgestellt werden. Nach der Pause passierte das dann auch, und wir haben sogar auf der Bühne spontan noch eine Session gemacht. Da haben wir Brian natürlich auch eingeladen, uns in Forst zu besuchen, was dann ja zwei Jahre später auch passiert ist.
Gab es keinerlei Berührungsängste oder Vorurteile wegen der "mainstreamigen" Glamrockvergangenheit des Popstars Eno an der Seite eines Extrem-Dandys wie Bryan Ferry? Konnte man sich sofort künstlerisch verstehen?
Rother: Dazu muss man wissen, dass Eno völlig in schlichtem Schwarz gekleidet und völlig bescheiden auftrat. Da gab es keine Spur von der extrovertierten schrillen Figur, als die man Brian Eno als Mitglied der Rockband Roxy Music kannte. Deswegen fiel es uns auch ganz leicht, auf einer völlig gleichberechtigten sympathischen Ebene miteinander zu kommunizieren. Es ging ausschließlich um das gemeinsame Interesse an Musik. Und genau so setzte sich unsere Zusammenarbeit in Forst auch fort.
Wie ist denn heutzutage der Kontakt? Gibt es solchen überhaupt noch in diesem magischen Dreieck Roedelius/Möbius/Rother?
Rother: (seufzt tief) Tja, das ist fast schon ein bisschen komisch. Wir haben ja bereit 2007 ein Album veröffentlicht - "Harmonia live 1974" - ein Gig von '74, den ich im Archiv aufbewahrt hatte. Im Zuge dieser Veröffentlichung haben wir uns entschlossen, nach ca. 23-jähriger Unterbrechung auch wieder als Harmonia aufzutreten. So z. B. in Berlin, den USA und zuletzt noch Anfang diesen Jahres in Australien. Mit sehr schönem Erfolg. Es war wirklich erstaunlich, wie positiv gerade auch das teilweise sehr junge Publikum auf unsere Musik reagierte. Und in dieser Zeit haben wir uns einigermaßen zusammengerauft. Trotz aller Auseinandersetzungen der Vergangenheit.
Es gab eben immer Widersprüche in unseren Persönlichkeiten. Das ist sicherlich etwas, das man auch beschmunzeln kann. Dabei haben wir festgestellt, dass sich an den Grundproblemen nichts geändert hatte, mit denen Harmonia schon in den 70ern zu kämpfen hatte - nämlich, dass wir drei sehr unterschiedliche Charaktere sind mit entsprechend unterschiedlichen Vorstellungen von der Musik. Damals erschuf das eine sehr kreative Spannung, die uns zu sehr schönen Ergebnissen geführt hat. Das hat aber außerhalb des Studios das Zusammenleben und das Harmonieren recht schwierig gestaltet. Und so war es auch in diesem Fall. Wir haben im Frühjahr beschlossen, die Live-Kollaboration zu beenden; d.h. in diesen Tagen gibt es keinerlei aktive Pläne für Harmonia.
Roedelius: Kontakt gibt es meinerseits zu Rother nicht, aber natürlich zu Moebius, mit dem ich ja seit 2007 wieder als Cluster unterwegs bin!
"Wir haben Ping Pong gespielt und gejammt"
Herr Roedelius, Gibt es aus Ihrer Sicht einen künstlerisch signifikanten Unterschied zwischen Eno/Cluster vs. Eno/Harmonia.Roedelius: Nein überhaupt nicht. Die beiden Alben (Cluster & Eno) und (Harmonia & Eno 76) ähneln sich deutlich, nur dass eben bei Harmonia & Eno ein vierter Musiker mit im Spiel ist und damit auch andere Farben, aber der Tenor ist ähnlich! Mit der zweiten Produktion in Connis Studio "After the Heat" wird ein ganz anderes Kapitel aufgeschlagen.
Wie kam es denn dann überhaupt dazu, dass die Eno/Cluster-Sachen relativ zeitnah veröffentlicht wurden, während man auf Eno/Harmonia 20 Jahre warten musste, und auch 1997 nur ein unvollständiges Werk erschien?
Rother: Das ist eine etwas verworrene Geschichte. Man muss wissen, dass wir in den elf Tagen in Forst gar nicht das Ziel hatten, ein Album aufzunehmen. Es war einfach ein schöner Besuch, und wir wollten eben miteinander Musik machen. Aber es gab auch anderes. Wir haben uns auch persönlich miteinander befasst, sind spazieren gegangen, haben Ping-Pong gespielt und eben auch sehr ausgiebig gejammt. Alles vollkommen entspannt, ohne Druck, weil es nicht darum ging, am Ende mit einem veröffentlichungsfähigen Album da zu stehen. Im Vordergrund stand einfach das Interesse an dem Austausch von Ideen.
Bei Eno/Cluster war das anders. Ich glaube, die Jungs haben sich ein Jahr später im Studio von Conny Plank getroffen. Dort war von Anfang klar, dass ein Album aufgenommen werden sollte. Bei Harmonia war es im Herbst '76 so, dass Brian hinterher selbst die Bänder mitgenommen hat. Es gab sogar die Verabredung, dass wir uns nach seiner Arbeit mit David Bowie (in Berlin für die Bowie-Alben "Low" und "Heroes"; die Red) wieder treffen würden, um uns weiter auszutauschen und die Kommunikation noch weiter zu treiben. Dazu kam es dann aber nicht mehr. Ich war mit meinen erfolgreichen Soloprojekten sehr beschäftigt. Zwar habe ich noch 1977 einen Anruf von David Bowie bekommen, der mich einlud, mit ihm und Brian an dem Album, welches dann später "Heroes" wurde, zu arbeiten. Das ist allerdings aus mysteriösen Gründen sabotiert worden; ich glaube von Seiten seines Managements. Ich hatte dann keinen Kontakt mehr zu Brian.
Ich habe dann später immer bedauert, dass es keine Originalbänder der kompletten Sessions gab, weil ich mich an sehr kreative Tage erinnerte, an denen sehr viel Material entstanden ist. Ich hörte dann von Hans Joachim Roedelius, der mit Brian noch Kontakt hielt, dass die Bänder, die Brian mitgenommen hatte, als verschollen und unauffindbar galten. Damit musste ich mich zufrieden geben. Das habe ich dann so akzeptiert und gar nicht weiter darüber nachgedacht. Bis dann 1997 Achim plötzlich eine Nachricht faxte, dass er ein Band gefunden habe, bei einem Besuch in London bei Brian Eno. Sogleich hat er die Bänder transferiert und als Album vorgelegt. Der Hintergrund ist, dass derzeit die Kommunikation innerhalb der Band Harmonia sehr zerrüttet war. Es gab atmosphärische Störungen; insbesondere unter den Cluster-Musikern. Und das mag Roedelius dazu bewogen haben, das Ganze in Eigenregie zu vollenden; die erste Version von "Tracks and Traces".
Du erwähnst selbst das rege Interesse eines teilweise sehr jungen Publikums. Stört es nicht, dass ein cleverer Chartbreaker wie Bowie mit dem grandiosen "Low" in den Medien all die Lorbeeren geerntet hat und der Kraut-Novize Eno als Erfinder des Ambient gilt, obgleich diese Musik urdeutsch ist und von Visionären wie Euch stammt? Ernteten andere, was man selbst gesäht hat?
Rother: (lacht) Da hast Du mir die Antwort ja fast schon in den Mund gelegt.
Würde ich niemals tun.
Roedelius: So kann man das nicht sagen. Die sogenannte Ambient Musik der britischen Art ist in London entstanden und die deutsche Art in Forst, wobei Cluster & meine Wenigkeit wohl sehr deutlich federführend gewesen sind. Ich kenne jedenfalls niemanden aus dem Kreis der damals tätigen Kollegen, aus dessen Feder auch nur annähernd so etwas geflossen ist, wie aus unseren.
Rother: Ich würde mich persönlich selbst niemals so weit aus dem Fenster lehnen, zu behaupten, er habe alles von uns gelernt. Es ist sicher wahr - und das haben einige dieser international sehr bekannten Musiker, speziell auch in letzter Zeit, sehr deutlich gemacht, dass sie schon von uns beeinflusst waren; in den 70ern, was z. B. für David Bowie und Brian Eno galt, in den 80ern z. B. für U2 oder später Sonic Youth und Stereolab bis hin in die 90er und 2000er. Heute spüren wir sehr stark diese willkommene Anerkennung.
In der Vergangenheit hingegen hat mich das schon ein bisschen bekümmert hat. Speziell in den 80ern, als wir mit Neu! versucht haben, ein Album zu veröffentlichen, was uns damals nicht gelungen ist, weil das Interesse an uns völlig verschwunden war. In den 70ern waren wir ein wenig gefragt; in den 80er völlig weg von der Bildfläche. Andere Musiker haben in dieser Zeit unsere Ideen aufgegriffen und - wie Du auch zu Recht sagst - die Lorbeeren eingestrichen. Aber in dem Augenblick, wo solche Musiker in der Öffentlichkeit auch dazu stehen, ist es natürlich ein akzeptabler Vorgang, sofern es nicht in einer sklavischen Kopie ausartet. Inspirationen greife ich inzwischen schließlich auch auf. Das habe ich in den 70ern nicht getan. Ich hab damals kaum noch andere Musiken gehört, um mich nicht zu verfälschen.
Das ist jetzt mittlerweile etwas lockerer geworden, weil die eigene Sicherheit über das Werkzeug und die eigene Ausdrucksmöglichkeit mittlerweile doch sicher genug ist. Aber so was ist vielleicht auch ein unterschiedlicher Ehrgeiz. Mein Ehrgeiz war es - und da kann ich wohl auch für meine Kollegen von Harmonia sprechen - eine Eigenständigkeit auszudrücken. Und die setzte eben voraus, fremde Einfüsse so gering wie möglich zu halten und seinem eigenen Weg treu zu bleiben. Und es spricht manchmal nicht unbedingt für die internationale Musikszene - habe ich das Gefühl - dass ein Verarbeiten heutzutage geradezu als Qualitätsmerkmal angesehen wird; das Verarbeiten fremder Ideen.
Ich glaube auch, der Eindruck trügt Dich leider nicht. Das scheint tatsächlich über weite Strecken so zu sein. Aber dann könnte man doch auch sagen: Auch die Schattenseiten dieser Musik in der Enkelgeneration wie z. B. Scooter und Ballerman-Tekkno würde es ohne Dich, Harmonia, Cluster und Co. auch nicht geben,oder?
Roedelius: Wahrscheinlich ist es so, aber das war und ist nicht mein Thema!
Rother: Man kann sich seine Enkel und auch seine Kinder ja ohnehin nicht aussuchen. Aber das geht ja auch anders. Bei einer Kompilation zu Ehren von Neu! wurden letztens Oasis sehr belächelt. Dabei fand ich deren Interpretation mit am interessantesten. Diese verkrampfte Abgrenzung allgemein voneinander, diese weit verbreitete Verbissenheit, die teile ich so nicht. Man findet gute Qualität in allen Feldern der Musik. Da kann natürlich auch ganz normale Popmusik dazu zählen. Man muss nur länger suchen. Aber Scooter wären in der Tat nicht ganz so das, was ich spontan als erstes im Sinn hätte.
Was Brian Eno damals jedoch spontan auffiel und er auch Herrn Roedelius Frau fragte: "Was suchen die hier eigentlich im Wald?".
Gab es nie die Versuchung, einfach mal den kommerziellen Weg einzuschlagen und mit Elektropop reich und berühmt zu werden, wie es die Kollegen von Kraftwerk gerade mit "The Model" und Co. vormachten?
Rother: Also, da kann ich ja nur für mich sprechen. Ich war ehrlich gesagt nie so clever, wie mir immer unterstellt wurde. Auch '77, als ich "Fremde Herzen" herausbrachte, vermuteten Fans und Kritiker teilweise, dass das ganz gezielt so von mir beabsichtigt wäre. Das ist aber Zufall. Mal ist man vor der Zeit, mal ist man genau drauf; mal ist man nach der Zeit. Wenn man sich aber nur auf seine eigene kleine Welt konzentriert und die eigene Arbeit als Maßstab annimmt, kommt das heraus, was im Laufe der Jahrzehnte bei mir zu beobachten ist: dass es eben manchmal passt. So war es ja auch mit dem '74er Livemitschnitt von Harmonia. Jetzt bekommen wir nach der Veröffentlichung so viel Presse - allein schon in Uk - wie wir in 30 Jahren nicht bekommen haben. Das hat mich schon überrascht. Und die Frage, ob man mit ganz gezielten Popklängen und -attributen eine erfolgreiche Musik machen sollte. Da erinnere ich mich daran, dass Brian Eno mir mal sagte: " Wenn Du mal richtig viel Geld verdienen willst, dann musst Du Deine Musik und Deinen geilen Sound mit bekannten Melodien verbinden." Aber das war nun wirklich nicht das, was ich im Sinn hatte. Zum Glück war ich aber auch finanziell unabhängig genug - durch die Erfolge mit Neu! und auch solo - dass ich es mir leisten konnte, meinen eigenen Weg weiter zu verfolgen.
Roedelius: Berühmt sind wir (Cluster & Moebius & ich) allemal, reich nicht, aber das ist wohl gut so! Ja und Eno hat sich zwar im Wald, in dem wir unser Holz für die kalte Jahreszeit schlagen und wegtransportieren mussten, wohlgefühlt, aber er war ja bereits so berühmt und reich, dass er lieber ausgerechnet hat, wie viel Zeit wir sparen würden, wären wir auch so berühmt, bzw. würden wir uns um einen ähnlichen Erfolg, wie den seinen kümmern. Aber irgendwie ist ihm in der Zeit, in der er bei uns war, doch ein Licht aufgegangen darüber, wie sehr jegliche notwendige Arbeit in dieser Kommune die Musik beeinflusst hat, die wir geschaffen haben, auch die von "Harmonia & Eno 76". Das, was wirklich Wesensinhalt der Kunst war, die in Forst entstand, war eben, dass wir ein fast bäuerliches Leben zu führen hatten und das mit großer Liebe auch taten. Geht mal hin und schaut euch an, was dort entstanden ist. Rother und Moebius leben ja noch dort.
"Berühmt allemal, reich eher nicht"
Wie ist es denn dann überhaupt zu der Band gekommen? Denn Harmonia sind ja eigentlich Cluster plus Rother.Rother: Nee, komm, also da muss ich aber direkt mal widersprechen. Stell mal ruhig Deine Frage zu Ende. Aber ich darf gleich nicht vergessen, da mal einzuhaken.
Ok, Wie kam es zur Zusammenarbeit und dem Zusammenwohnen damals? Ist es nicht schwer, in ein derart eigenwilliges und eingespieltes Duo einzusteigen? Und im Ernst: Wie kommt man denn auf die Idee, mit so unterschiedlichen Charakteren gemeinsam in den Wald zu ziehen?
Rother: (lachend) Gut ... also klar ... aber da muss ich jetzt einiges erst mal korrigieren. Cluster sind 1971 nach Forst gezogen; aus Gründen, die sie wohl besser selbst erzählen. Ich vermute, das Leben war ihnen einfach zu heftig in Berlin. Der Wohnraum war preiswert hier. Und nachdem man viel Energie aufgebracht hat, es wohnlich zu machen, ist es dann auch atemberaubend schön in Forst; ganz besonders in den Sommermonaten. Ich bin 1973 nach Forst gekommen, um herauszufinden, ob die beiden Cluster-Musiker geeignet waren, eine Neu!-Tournee zu begleiten. In dem Sinne, dass sie mir helfen würden, meine Vorstellung der Neu!-Klänge auf der Bühne umzusetzen. Das war als Duo mit Klaus Dinger alleine aussichtslos und hat auch in Düsseldorf mit den anderen Musikern, die wir ausprobierten, nicht funktioniert. Ich erinnere mich da vor allem an ein Cluster-Stück. Das heißt "Im Süden". Das zeigte eine große Ähnlichkeit in der musikalisch harmonischen Auffassung.
Da bin ich einfach nach Forst gefahren und hatte meine Gitarre mitgenommen. Wir kannten uns auch von einem gemeinsamen Auftritt, als ich noch bei Kraftwerk war. Da hab ich zunächst mit Hans Joachim Roedelius gejammt. Er spielte Piano mit all seinen Effektgeräten und ich die Gitarre mit meinen wenigen Bearbeitungsgeräten. Es ging mir halt immer mehr um die Idee in der Musik als um die eingesetzte Technologie. Das wird auch gern verkannt. Also die Idee war immer das Entscheidende. Jedenfalls war ich begeistert von dem, was Roedelius und ich an harmonisch-melodischer Klangwelt schon kreieren konnten. Aus diesem Grund habe ich Neu! dann erstmal zurückgestellt und bin nach Forst gezogen, um mit diesen beiden die Gruppe Harmonia zu gründen. Ich bin nicht - ganz ausdrücklich nicht - nach Forst gegangen, um mit Cluster zu arbeiten! Ich habe dort zwei Einzelmusiker vorgefunden, die sehr unterschiedliche Qualitäten mitbrachten. Möbius war immer der Experte für die schrägen Einwürfe, die Störer, die oft das Ganze sehr bereicherten. Roedelius und ich haben uns um die Basis gekümmert. Er mit seinen Pianoläufen und ich mit der Gitarre oder elektronischer Percussion. Also, das heißt, es war wirklich eine neue Band mit drei individuellen Musikern, die hier entstanden ist.
Roedelius: Rother kam aus Düsseldorf nach der Auflösung von Neu! und hoffte, mit uns ungefähr im Sinne des Neu!-Images und damit auch mit dessen Markterfolgen weitermachen zu können. Das war aber nicht einfach und wurde mit der Zeit so schwierig, dass sich Harmonia ja auch wieder auflösten!
Michael, Du bist 2007 mit den Red Hot Chili Peppers unterwegs gewesen und auch schon mal mit John Frusciante solo. Juckt es Dich nicht manchmal in den Fingern, mal was ganz anderes zu machen; ein reines, typisches Gitarrero-Hard-Rockprojekt auf die Beine zu stellen? Irgend etwas, was den Guitar Hero in Dir zum Vorschein bringt?
Rother: Naja, ich habe in der Tat das Gitarrenspiel wieder lieb gewonnen. In den 80ern hatte ich ja den Computer für mich entdeckt, bin weit in die Elektronik eingestiegen und hab die Gitarre über Jahre vernachlässigt. Erst seit Ende der 90er hab ich sie wieder mehr ins Zentrum meiner Arbeit gestellt. Da bin ich auch sehr froh darüber. Die Gitarre ist mir sehr nah. Es gibt tatsächlich konkrete Ideen, im nächsten Jahr mit anderen internationalen Musikern, mit denen ich schon zusammen gearbeitet habe, ein Liveprojekt zu realisieren. Bei dem ich meine Vorstellung und Interpretation der Harmonia-, Neu!- und Solosachen aufführen werde. Und was Du vorhin erwähntest mit John Frusciante: Das ging ja tatsächlich auf eine Initiative von John zurück, der mich überredete, mal endlich meine Solosachen aufzuführen. Ich habe ja mit John und Josh Klinghofer am Schlagzeug 2004 in den USA zum ersten Mal "Flammende Herzen" live gespielt. Das war schon sehr schön.
Herr Roedelius, eine letzte Frage an Sie. Ihr umfangreicher und beeindruckender Backkatalog wird dieser Tage wieder neu aufgelegt. Gibt es Pläne für weitere aktuelle musikalische Veröffentlichungen?
Na klar, jede Menge. Ich fahre gerade nach Hamburg, um bei und mit meinen alten Freunden Asmus Tietchens und Okko Bekker eine neue Piano-Produktion anzufertigen. Gerade erst, (was hierzulande keiner weiß), ist eine Koproduktion von mir mit den Musikern/Produzenten Jez Coad (Simply Red) und Georg Taylor (NOH1) in UK zusammen mit dem Schlagzeuger Martin Barker, names "Fibre" herausgekommen. Die erste, noch vor TD und Schulze je in Berlin entstandene elektronische Live-Musik aus dem "Zodiak", "Human Being-live im Zodiak 1968" hat via "Nepenthe" in Toledo / Ohio das Ohr der Welt erreicht, danach ist bei der gleichen Firma "Qua", die erste Cluster-Studioproduktion nach etwa 15 Jahren, erschienen, die jetzt via Fausts "Klangbad" für Europa und den Rest der Welt veröffentlicht wird, Es steht noch viel mehr auf dem Plan, vor allem aber jede Menge Konzerte in nächster Zeit von Europa bis USA/Kanada.
1 Kommentar
Ich finde es erstaunlich, dass sich "Krautrock" immer noch im englisch sprechenden Westen so gut haelt. Schon 1997 hat mir der Australische Manager Michael McMartin (Hoodoo Gurus, Trafalgar Label) gesagt, dass es vor allem unter australischen Musikern unerhoert populaer ist, "Krautrock"-Platten zu sammeln. Vor allem Brad Shepherd (Beasts of Borbon, Fun Things, Hitmen, Hoodoo Gurus) ist auch heute noch begeisterter Sammlerprogressiver, deutscher Rockmusik aus den 70ern.