laut.de-Kritik

Eine Platte für Gaffer.

Review von

Die Kritik für "Montage Of Heck - The Home Recordings" hat Kurt Cobain bereits im März 1992 in einem Interview mit Flipside selbst geschrieben. "Wenn peinliche Dinge ans Licht kommen, so etwas wie das Zeug, das ich in meinem Keller auf einem Kassettenrekorder aufgenommen habe, Songs, die ich nicht fertig geschrieben habe, oder nur Fragmente von Songs ... Wenn so etwas an die Öffentlichkeit gelangt, finde ich das wirklich peinlich, und es frustriert mich." Nun pinkeln die Beteiligten an diesem Machwerk auf sein Testament.

Noch nie ging die Leichenfledderei im Musik-Business so weit wie mit diesem Longplayer. In solch einer verkommenen Niedertracht wurde weder mit dem Vermächtnis von Jimi Hendrix, Jim Morrison, Michael Jackson oder Rio Reiser umgegangen. Selbst der immer als Negativbeispiel herhaltende Tupac Shakur blieb von einer solchen Schandtat wie diesem Album bisher verschont. Ist es überhaupt ein Album? Ich glaube, nein.

Mit der uns als Solowerk und Soundtrack untergejubelten Widerwärtigkeit "Montage Of Heck - The Home Recordings" geht es dahin, wos weh tut. Hier kann man miterleben, wie die Beteiligten und Rechteinhaber das letzte Glas Milch aus ihrer Cashcow quetschen. Mit ihrer Missachtung des Künstlers verdeutlichen sie das fehlende Gespür für alles, was Cobain einst wichtig war und für was er stand.

Qualität spielt bei der Auswahl dieser privaten Demoaufnahmen keine Rolle. Allein der Voyeurismus steht im Vordergrund. Ein Album für Gaffer, die bei einem Autounfall auf der Autobahn nicht einfach nur kurz langsamer fahren, um vielleicht den Blick auf etwas Blut zu erhaschen. Viel eher fahren sie hier rechts ran, steigen aus, suchen sich einen Stock, überqueren die Straße und stochern in den Eingeweiden der Leiche herum.

Die Kritik an dieser Bloßstellung, die uns als "seltenen und ungefilterten Einblick in Cobains kreative Entwicklung" angepriesen wird, geht keineswegs in Richtung des Nirvana-Sängers und Gitarristen. Schließlich hat jeder Musiker bereits solche Aufnahmen angefertigt. Unausformulierte und unanhörbare Songschnipsel, aufgefangen von einem mit bunten Aufklebern beklebten Kinderkassetenrecorder. Sie sind ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses, dienen dazu, frühe Ideen festzuhalten. Aber ebenso würde jedem von uns die Schamesröte ins Gesicht steigen, wenn jemand die Frechheit besäße, diese an die Öffentlichkeit zu zerren. Sie sind alleine für die eigenen Ohren, maximal noch für Freunde und Bandmitglieder bestimmt.

Selbst dem hartgesottensten Nirvana-Fan dürfte es schwer fallen, sich "Montage Of Heck - The Home Recordings" am Stück anzuhören. Während es fröhlich aus den Boxen rauscht, darf man miterleben, wie Cobain seine Gitarre stimmt, auf die Pausetaste drückt, mit Effekten experimentiert, auf nicht angeschlossenen E-Gitarren und Bässen herum schrammelt, vor sich her summt und jodelt. In diesem Umfeld geht bereits sein uninspiriertes The Beatles-Cover "And I Love Her" als Höhepunkt durch. Kurt gibt hier den nachdenklichen und traurig schauenden Jungen vom Lagerfeuer, dem die Teenieherzen zufliegen.

Gerade als Fan des Künstlers und Menschen Kurt Cobain gilt es, "Montage Of Heck - The Home Recordings" zu boykottieren. Kein einziges Mal sollte dieser Schrund verkauft werden. In jeder zu Tode produzierten Pop- und Schlager-CD findet sich mehr Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Tiefer kann man von hier aus nur noch sinken, wenn man das von Courtney Love bestätigte Sextape auf DVD und Blu-ray veröffentlicht.

Um die aufgestaute Wut abrauchen zu lassen, hilft nur eins: Zu den Klängen von "In Utero" den Kopf gegen die Wand schlagen. Wieder, wieder und wieder. "Rape me / Rape me, my friend / Rape me / Rape me again."

Trackliste

  1. 1. The Yodel Song
  2. 2. Been A Son (Early Demo)
  3. 3. What More Can I Say
  4. 4. 1988 Capitol Lake Jam Commercial
  5. 5. The Happy Guitar
  6. 6. Montage Of Kurt
  7. 7. Beans
  8. 8. Burn The Rain
  9. 9. Clean Up Before She Comes (Early Demo)
  10. 10. Reverb Experiment
  11. 11. Montage Of Kurt II
  12. 12. Rehash
  13. 13. You Can't Change Me / Burn My Britches / Something In The Way (Early Demo)
  14. 14. Scoff (Early Demo)
  15. 15. Aberdeen
  16. 16. Bright Smile
  17. 17. Underground Celebritism
  18. 18. Retreat
  19. 19. Desire
  20. 20. And I Love Her
  21. 21. Sea Monkeys
  22. 22. Sappy (Early Demo)
  23. 23. Letters To Frances
  24. 24. Scream
  25. 25. Frances Farmer Will Have Her Revenge On Seattle (Demo)
  26. 26. Kurt Ambiance
  27. 27. She Only Lies
  28. 28. Kurt Audio Collage
  29. 29. Poison's Gone
  30. 30. Rhesus Monkey
  31. 31. Do Re Mi (Medley)

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