laut.de-Kritik
Der Indierock-Slacker zwischen Geniestreich und Geduldsprobe.
Review von Alexander KrollIn ein fixes Format ließ sich Kurt Vile noch nie pressen. "Back To Moon Beach" bringt das besonders gut zum Ausdruck. Offiziell als EP vermarktet, lässt die neueste Songauswahl des Indierock-Slackers das Kurzformat weit hinter sich. Auf 52 Minuten sind ganze neun Stücke versammelt. Sechs davon dauern über fünf Minuten, zwei überschreiten die Acht-Minuten-Marke.
Selbst Viles Plattenfirma Verve Records räumt ein: "'Back To Moon Beach' ist nach keiner Definition eine EP, außer nach der von Kurt Vile". Am Release Day rudert dann sogar der Künstler zurück. Bewusst setzt er auf Instagram die EP-Plakette in Anführungszeichen und erklärt: "Wenn ich es nochmal machen müsste, würde ich gar nichts sagen, sondern es einfach rausbringen und schauen was passiert".
Einfach schauen was passiert – Lässigkeit bleibt auch nach dem neunten Studioalbum "(watch my moves)" das unerschütterliche Motto des Philly-Rockers. Anknüpfend an seinen frühen Titel "Beach On The Moon" zelebriert der Singer-Songwriter den Mondstrand als kreative Spielwiese. Ausgiebig testet Vile seine Signatur der unendlichen E-Gitarrenmeditation zwischen Geniestreich und Geduldsprobe.
"That's where I live / And that's where I give" lautet das Mantra des achtminütigen Titeltracks, um den die anderen Lieder kreisen. Doch mit seinen halluzinogenen Jazz-Licks und hypnotischen Slogans landet "Beach On The Moon" weniger auf dem Mond, als vielmehr im Modus einer unausgereiften Jamsession.
Mehr Raffinesse beweist in exakt der gleichen Dauer "Tom Petty's Gone". Mit einem Folkrock-Groove, der tatsächlich von Tom Petty selbst stammen könnte, führt das Stück selbstironisch durch eine musikalische Ahnengalerie, die auch David Berman von den Silver Jews und Großmeister Bob Dylan beherbergt.
Vom Vorbild zur Coverversion ist der Weg nicht weit. Bei der entzückend schwebenden, wenngleich zu lang geratenen Synthpop-Variante des Weihnachtslieds "Must Be Santa" orientiert sich Vile an der neueren Interpretation von Bob Dylan, der den 60s-Klassiker von Mitch Miller mit Polka aufpoliert hatte. Ein ähnlicher Twist fehlt beim Cover von Wilcos akustischer Beifahrerballade "Passenger Side", aber eine verträumte, geschmeidige Note kommt doch hinzu.
In bester Folk-Tradition reflektiert der Mitbegründer der Rockband The War on Drugs auch seine eigenen Liedschöpfungen als Fortsetzungen bereits vorhandener Werke. Jeder Song gibt sich als Hommage. "Another Good Year For The Roses" verneigt sich mit einem herrlich beschwingten Pianomotiv vor "the greatest country song", "A Good Year For The Roses", von George Jones aus dem Jahr 1970.
Bei der etwas durchhängenden Pandemie-Prophezeiung "Touched Somethin (Caught A Virus)", die Vile im September 2019 schrieb, leiht sich der Sänger die Wendung "the glorious pain" aus einem Song der Philadelphia-Punkband The Dead Milkmen um Rodney Linderman und gesteht es gleich in aller Ausführlichkeit: "I stole three words from Rodney, a man who came before me, from Philly like me".
Viles zeitübergreifende Verortung in der Musikgemeinschaft erweist sich letztlich als Familienangelegenheit. Poetisch kraftvoll verweist der Musiker in seiner von Vogelgezwitscher umgebenen Heartland-Träumerei "Like A Wounded Bird Trying To Fly" auf die Geschichte seiner Eltern. Ganz am Schluss benennt er dann seine Tochter Awilda als Urheberin des Songtitels.
Viles kontemplative Musik spiegelt sein Leben. Er wollte nie etwas anderes tun und wird es wahrscheinlich auch nicht. "Wir werden '24, '25, '26 Konzerte spielen und Musik aufnehmen", verkündet der 43-jährige am Ende seines Instagram-Posts, "ich werde das für den Rest meines Lebens tun".
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