laut.de-Kritik
Keine Angst mehr vor dem 4/4-Takt.
Review von Giuliano BenassiDas Comeback-Album des Trip Hop-Duos aus Manchester, "5", war 2011 genau das: ein Comeback-Album. Ein Zeichen, dass man musikalisch wieder einen gemeinsamen Nenner gefunden hatte und dass es Lamb wieder gab. Eine Spur hat es sonst kaum hinterlassen.
Dafür hat sich seitdem einiges getan. Lou Rhodes hat zwei Kinderbücher geschrieben, Andy Barlow ein instrumentales Werk veröffentlich, vor allem aber sind Lamb auf Tour gegangen. Danach gaben sie Anfang 2013 fünf Konzerte in den Niederlanden in Begleitung eines 24-köpfigen Orchesters. Eine Zusammenarbeit, die Früchte tragen sollte.
Zunächst geht es auf ihrem vorliegenden sechsten Album aber dancemäßig ab wie noch selten bei Lamb. Den Beginn machen vereinzelte elektronische Klänge und Rhodes' kühle, leicht distanzierte, dennoch sinnlich angehauchte Frauenstimme. Dann setzen aber Beats ein, die schon fast an Techno erinnern. Dasselbe gilt für "We Fall In Love", das ruhig beginnt und vom Klang her immer reicher wird.
In "As Satellites Go By", zu Beginn schon fast so etwas wie eine Klavierballade, kommen zum ersten Mal Streicher zum Einsatz, arrangiert von Tom Trapp. Auch hier wird die Atmosphäre immer dichter, wobei sich Barlow mit seinem elektronischen Gefrickel vornehm zurückhält.
Dafür darf er sich im Titeltrack "Backspace Unwind" um so mehr austoben und wie zu den besten Zeiten in den 90ern ein wirkungsvolles Trip Hop-Stück abliefern. Mit einem ungewohnten Element. "Die Menschen, die wir während der Aufnahmen an unserem Album 'Fear Of Fours' waren, hätten sich wohl für diese ungenierten Dancefloor-Hi-Hats geschämt. Inzwischen aber sind wir an einen Punkt gekommen, an dem wir sogar unser eigenes Selbstbild hin und wieder über den Haufen werfen müssen" erklärt Rhodes selbstbewusst.
Die Angst vor dem 4/4-Takt ist offenbar besiegt. Die Stücke entstanden in Barlows Heimstudio in den südenglischen South Downs, in den Distillery Studios nahe Bath und bei einem gemeinsamen Aufenthalt im indischen Goa. "Die Arbeiten an diesem Album waren eine echte Entdeckungsreise, und zwar in vielerlei Hinsicht. Wenn man schon rund 20 Jahre lang zusammen Musik macht – nun gut, mit fünfjähriger Auszeit als Verschnaufpause zwischendurch, – dann fühlt es sich echt toll an, wenn man merkt, dass es an neuen Ideen und Ansätzen kein bisschen mangelt,", erklärt Rhodes.
"Ich denke, wir haben in diesen ganzen Jahren vor allem gelernt, dass sich diese Reise hervorragend ohne Landkarte bewältigen lässt. Genau genommen haben wir uns sogar angewöhnt, die Karte nach jeder Wendung, nach jeder Kurve zu zerreißen – was immer wieder ein Genuss ist."
So bleibt auch im weiteren Verlauf des Albums Zeit für Überraschungen. Nachdem "Shines Like This" und "What Makes Us Human" eine Spur zu lieblich, fast schon poppig ausgefallen sind, startet das große Finale. "Nobody Else" hätte das Zeug zum alternativen Bond-Song, im vertrackten "Seven Sails" klingt Rhodes' Stimme schon fast wie ein weitere elektronische Frickelei Barlows.
Die Ambient-Klavierballade "Doves & Ravens" könnte auch von Ludovico Einaudi stammen, der in Großbritannien fast noch berühmter ist als im Heimatland Italien. Diesmal aber mit entrücktem, hohen Gesang. Für die größte Überraschung sorgt jedoch das abschließende "Only Our Skin", das fast ausschließlich mit der Stimme Rhodes' auskommt, auf viele Spuren verteilt und mehr oder weniger elektronisch verzerrt, wie größtenteils auf dem Album. Ein Stück, das schon fast kirchlich anmutet.
Lamb klingen auch 20 Jahre nach ihrer Gründung noch immer erfrischend. Trip Hop mag zwar nicht mehr der neueste Schrei sein, doch Rhodes und Barlow ist es gelungen, mit ihrem sechsten Album an ihre besten Momente anzuknüpfen.
2 Kommentare
Für mich mit das interessanteste Release 2014! Die Orchester-Tour hätte ich ja gerne erlebt, war jemand da?
Die neue Ausrichtung klingt hochspannend!
Beste Platte seit "Fear Of Fours". Ausnahmslos starkes Material. So wie hier darf es weitergehen.